Wer im Moment einen Paranoia-Thriller dreht, hat es nicht leicht. Egal wie weit sie ihre Verschwörungstheorien auch treiben, spätestens in den 20-Uhr-Nachrichten werden sie doch wieder von der Realität überholt: von den unfähigen Geheimdiensten im Fall der NSU-Morde bis zu den US-Spionen, die ohne jedes schlechte Gewissen selbst das Handy der angeblich verbündeten Bundeskanzlerin abhören – würde jemand all das in einem Skript verwursten, müsste er damit rechnen, mit der Begründung „Zu weit hergeholt!“ abgewiesen zu werden. Deshalb darf man dem britischen Regisseur John Crowley zumindest positiv anrechnen, dass er mit der auf die Spitze getriebenen, bitterbösen Verschwörungstheorie seines Thrillers „Unter Beobachtung“ wohl gar nicht so weit von der Realität entfernt liegt. Allerdings spielt das keine große Rolle, wenn die klischeehaften Figuren dem Zuschauer bis zum Ende fremd bleiben und der Film keine einzige erinnernswert inszenierte Sequenz aufweist. In „Unter Beobachtung“ erhält nichts das erzählerische Gewicht, das es verdient hätte – und wenn einem die Protagonisten gleichgültig sind, dann springt auch ihre Paranoia nicht auf das Publikum über.
Nach dem Selbstmord eines Kollegen übernimmt der Rechtsanwalt Martin Rose (Eric Bana) die Verteidigung des mutmaßlichen Terroristen Farroukh Erdogan (Denis Moschitto). Gemeinsam mit seinen bei dem Anschlag umgekommenen Komplizen soll dieser einen mit Sprengstoff beladenen LKW auf einem Marktplatz mitten in London in die Luft gejagt und so mehr als 120 Menschen getötet haben. Weil die Staatsanwaltschaft zur Untermauerung der Anklage Beweise vorlegen will, deren Kenntnis die nationale Sicherheit gefährden könnten, kommt bei der anstehenden Verhandlung eine Sonderregelung zum Tragen: Die möglicherweise gefährlichen Beweise werden nur in geschlossenen Sitzungen erörtert, in denen weder der Angeklagte noch sein Anwalt zugegen sein dürfen. Stattdessen bestimmt das Gericht die Juristin Claudia Simmons-Howe (Rebecca Hall) als Sonderverteidigerin, die die Interessen des Beschuldigten in diesen abgeriegelten Sitzungen wahren soll. Dabei ist es ihr streng verboten, mit dem eigentlichen Anwalt über das Vorgebrachte zu sprechen, was Claudia auch deshalb nicht leichtfällt, weil sie mit Martin auch eine private Vergangenheit verbindet…
„Unter Beobachtung“ ist als Hieb mitten in die Magengrube des Publikums angelegt – aber leider fehlt diesem jegliche Durchschlagskraft! Das liegt weniger am Plot selbst, der trotz der Vorhersehbarkeit der Wendungen doch einiges an politischem Sprengstoff birgt, als vielmehr an seiner Präsentation: Dem Zuschauer werden zur Identifikation zwei Anwälte angeboten, deren Charakterzeichnung so alibihaft daherkommt, dass man trotz der starken Schauspieler Eric Bana („München“) und Rebecca Hall („The Town“) einfach keinen Zugang zu ihnen bekommt: sei es die frühere Affäre der beiden Juristen, Claudias schwieriges Verhältnis zu ihrem erfolgreichen Anwalts-Vater oder Martins Beziehung zu seiner Exfrau – all das wird ohne spätere Folgen einfach nur so eingestreut. Was Tiefe erzeugen soll, kommt so nie über den Status in dieser Form überflüssiger Fußnoten hinaus. Besonders schade ist das im Fall von Jim Broadbent („Cloud Atlas“), der den obersten Rechtsberater der Regierung überzeugend als zynisch-unterkühlten Pragmatiker anlegt, aber dann doch nur Klischee-Brocken über die Unkontrollierbarkeit der Geheimdienste und die Notwendigkeit von Opfern für die Sicherheit der Nation vortragen muss. Subtilität sieht anders aus und so wird aus einem potentiell ambivalent-grandiosen Bad Guy schnell eine platte Karikatur.
Man muss nicht gleich bis zu den großen Paranoia-Klassikern der 1960er („Botschafter der Angst“) und 1970er („Der Dialog“) zurückgehen, um zu erkennen, wie sehr sich das Genre für ausgefeilte Spannungs-Sequenzen anbietet: So hat etwa Paul Greengrass in „Das Bourne Ultimatum“ erst vor wenigen Jahren vorgemacht, wie hervorragend sich gerade die in London so allgegenwärtigen Überwachungskameras für filmische Zwecke ausnutzen lassen. In „Unter Beobachtung“ sucht man solche inszenatorischen Kniffe mit Ausnahme der immerhin soliden Eröffnungssequenz (die Bilder von neun Ü-Kameras im Split Screen bis zur Explosion) hingegen vergeblich. Und es fehlen nicht nur solche filmischen Sahnestücke, auch mit den Grundrezepten des (Spannungs-)Kinos haben Regisseur Crownley und seine Cutterin Lucia Zucchetti zuweilen ihre liebe Mühe. So wirkt eine in der Theorie hochdramatische Sequenz im Wembley-Stadion völlig zerfahren und an anderer Stelle versäumen es die Macher, dem Tod einer wichtigen Nebenfigur auch nur einen Hauch von Gewicht zu verleihen. Von dem erfährt Martin über die Lektüre einer Zeitungsmeldung, aber seine Reaktion wird uns vorenthalten – und damit auch seine Gefühlswelt. Wenn es aber schon die Protagonisten selbst kaum zu jucken scheint, warum sollte sich dann das Publikum um das Schicksal der Figuren scheren?
Fazit: „Boy A“-Regisseur John Crowley präsentiert in „Unter Beobachtung“ eine superzynische Verschwörungstheorie – aber aufgrund der schwachen Inszenierung und des zerfahrenen Drehbuchs fehlt dieser am Ende aller Radikalität zum Trotz jeglicher emotionaler Punch!