So wie bei dem europäischen Schlagerwettbewerb, den heute alle als Eurovision Song Contest kennen, inzwischen fast nur noch Englisch gesungen wird, entwickelt sich die Sprache Shakespeares (und Hollywoods) auch zunehmend zur Lingua franca des internationalen Autorenkinos. Dieser Trend ist im Wettbewerb von Cannes 2015 besonders deutlich zu erkennen: Neben dem Griechen Yorgos Lanthimos („The Lobster“) sowie den Italienern Matteo Garrone („Das Märchen der Märchen“) und Paolo Sorrentino („Ewige Jugend“) kehrte auch der Norweger Joachim Trier seiner Heimat verbal den Rücken und drehte mit internationalen Stars in englischer Sprache. Anders als seine Kollegen kann Trier seinem dritten Film „Louder Than Bombs“ unter den veränderten Voraussetzungen allerdings kaum seinen persönlichen Stempel aufdrücken, auch wenn die Ähnlichkeiten zu seinen ersten Werken unübersehbar sind..
In dem überfrachteten Familiendrama folgt er den Konventionen des internationalen Arthouse-Kinos und verzettelt sich dabei in einem Wust aus nicht vertieften Ideen und Themen. Vor Jahren ist die berühmte Fotografin Isabelle (Isabelle Huppert) bei einem Autounfall gestorben. Nun bereitet ihr Witwer Gene (Gabriel Byrne) eine Ausstellung mit ihren Fotos aus Kriegsregionen vor. Sein älterer Sohn Jonah (Jesse Eisenberg) ist gerade selbst Vater geworden und besucht Gene in seiner Heimatstadt. Der kleine Bruder Conrad (Devin Druid) hingegen steckt noch mitten in der Pubertät und fremdelt mit Gene. Der hat zu allem Überfluss eine Affäre mit Conrads Lehrerin (Amy Ryan). Nach und nach kommen lang unterdrückte Geheimnisse an die Oberfläche – vor allem ein Gedanke belastet die Familie: Möglicherweise war Isabelles Unfall in Wirklichkeit ein Selbstmord.
Mit seinen ernsten Familienkonflikten, die nebenbei gesamtgesellschaftliche Fragestellungen widerspiegeln, bewegt sich Joachim Trier in „Louder Than Bombs“ auf typischem Arthouse-Terrain: von den komplexen Verstrickungen über Generationen- und Geschlechtergrenzen hinweg bis zu den vielen nach und nach aufgedeckten Geheimnissen. Während sich die Darsteller redlich, aber mit wenig Erfolg bemühen, dem dichten Geflecht aus oft nur angedeuteten Motiven emotionales Gewicht und psychologische Glaubwürdigkeit zu verleihen, sabotiert der Regisseur diesen Versuch mit einer betont komplizierten Erzählstruktur. Es wird willkürlich die Perspektive gewechselt und zwischen verschiedenen Zeitebenen hin- und hergesprungen, mal sehen wir Conrads Phantasien, dann Jonahs Erinnerungen, mal verschwimmen Isabelles Fotos mit Nachrichtenbildern. Irgendwo in diesem Wust aus Ideen und Andeutungen mag das Gerüst eines komplexen Dramas stecken, doch diesmal hat sich Joachim Trier im Labyrinth seiner Ambitionen verrannt. Gelang es ihm in „Oslo, 31. August“, dessen Selbstmordthematik er hier erneut aufgreift, noch auf wunderbare Weise, die Melancholie des letzten Tages eines lebensmüden Mannes zu schildern, überfrachtet Trier „Louder Than Bombs“ thematisch und erzählerisch. Und das elegische Flimmern zwischen Träumen und Visionen gelang ihm in seinem Debüt „Auf Anfang“ weitaus überzeugender.
Fazit: Kompliziert statt komplex: Joachim Trier verzettelt sich bei seinem ersten englischsprachigen Film.