An der Vergangenheit festzuhalten und sie gleichzeitig zu verdrängen – zwischen diesen widersprüchlichen Emotionen bewegt sich der türkisch-kurdische Film „Babamin Sesi – Die Stimme meines Vaters". Regisseur Orhan Eskiköy bricht mit der filmischen Tradition und erzählt mehr durch Worte als durch Bilder. Trotz des authentischen Schauspiels der beiden Hauptdarsteller Basê und Zeynel Dogan, die eine Variation ihrer eigenen Lebensgeschichte zum Besten geben, ist das Drama vor allem wegen des recht spröden Erzählkonzepts nicht über die gesamte Laufzeit gleichermaßen fesselnd geraten.
Seit ihre Söhne erwachsen sind und ihr Mann Mustafa verstorben ist, lebt die Kurdin Basê (Basê Dogan) alleine in ihrem Haus auf dem Land. Ihre einzige Ablenkung sind der Fernseher und alte Tonbänder, die einst als gesprochene Briefe zwischen ihr und ihrem Mann kursierten. Da Basê Analphabetin ist, waren diese Kassetten der einzige Weg, um mit dem im Ausland arbeitenden Mustafa in Kontakt zu bleiben. Nun dienen sie ihr als Erinnerung an eine Vergangenheit, die sie zumindest anderen gegenüber zunehmend verklärt. Während sie den Aufenthaltsort ihres Sohnes Hasan nicht kennt, steht sie in regem Kontakt zu ihrem jüngsten Sohn Mehmet (Zeynel Dogan). Der sorgt sich um seine Mutter und möchte sie zu einem Umzug in die Stadt überreden. Doch Basê ist nicht im Stande, die Vergangenheit ruhen zu lassen und sich auch geographisch von ihr zu verabschieden.
Regisseur Orhan Eskiköy erzählt die Geschichte der Familie Dogan hauptsächlich über die Tonbänder, die sich Basê regelmäßig anhört und die auch Mehmet zunehmend in ihren Bann ziehen. Manchmal berichtet die alte Mutter auch selbst von der Vergangenheit, doch die Dialoge zwischen ihr und ihrem Sohn sind rar und knapp. Von einer Handlung im klassischen Sinn kann man kaum sprechen, die äußeren Geschehnisse sind auf ein absolutes Minimum reduziert, in erster Linie reiht Eskiköy alltägliche Vorgänge in Haus und Garten aneinander. Der erzählerische Kern des Films liegt in der mündlich überlieferten Vergangenheit und in der Auseinandersetzung mit ihr. So wie Basê auf Grund ihres Analphabetismus an diese orale Tradition gebunden ist, wird auch für Eskiköy vornehmlich das gesprochene Wort zum Motor seines Dramas. Dabei ist „Babamin Sei – Die Stimme meines Vaters" jedoch beileibe kein uninspiriert abgefilmtes Theater. Ausgefeilte Bildkompositionen und besonders die Inszenierung ländlicher Panoramen unterstreichen immer wieder den dezidiert filmischen Charakter des Werks. Die Enge von Basês Haus wird dabei mit der menschenleeren Weite der Landschaft kontrastiert, in der sich das einstige Familiengrundstück befindet.
Da die Geschichte auf ihrem eigenen Leben basiert, spielen sich die Darsteller in „Babamin Sesi – Die Stimme meines Vaters" im Grunde selbst. Die familiäre Vertrautheit, die insbesondere zwischen Mutter und Sohn zu spüren ist, verleiht der ruhig erzählten Geschichte große Intensität. Einige Fragen, insbesondere bezüglich des verschollenen Bruders Hasan, bleiben unbeantwortet, doch gerade solche Leerstellen machen die Geschichten, die Basê über das Leben einer kurdischen Familie in der Türkei zu erzählen hat, ergreifend. Und das, obwohl sie ähnlich undramatisch erzählt wie ihr Regisseur. Diese Ruhe und Distanz, die Inhalt und Konzept eigen sind, machen es dem Publikum nicht immer leicht, sich auf die Geschichte zu konzentrieren. Während das Sehen sonst im Kino der bedeutendere Sinn ist, fordert Eskiköy hier von seinem Zuschauer vor allem aufmerksames Zuhören.
Fazit: Hier wird eine Geschichte fast ausschließlich über das gesprochene Wort erzählt – das ist ein interessanter Bruch mit den Konventionen des visuellen Mediums Kino, verlangt dem Publikum jedoch erhöhte Aufmerksamkeit ab.