Pixar meldet sich zurück – und wie! Nachdem drei der letzten vier Filme Sequels waren, bringt das seit 2006 zu Disney gehörende Studio mit „Alles steht Kopf“ nun wieder eine Originalstory in die Kinos, mit der die Animationskünstler klarmachen, dass sie die Standards im Genre endlich wieder selbst setzen wollen – denn während die Vorreiterrolle des Studios vor zehn Jahren noch absolut selbstverständlich war, hat die Konkurrenz in den vergangenen Jahren nicht nur mächtig aufgeholt, sondern Pixar teilweise sogar überholt. Aber so leicht geben die Schöpfer von Klassikern wie „Toy Story“, „Wall-E“ oder „Oben“ zum Glück nicht auf! „Alles steht Kopf“ von „Die Monster AG“-Regisseur Pete Docter besitzt alles, was ein großer Animations-Blockbuster braucht – und noch mehr: Der kunterbunte Ausflug in die Gefühlswelt eines jungen Mädchens vereint kühne Ideen, jede Menge Witz und Herz, eine herausragende Optik, eine wirklich originelle Geschichte und Figuren, denen man vom ersten Moment an die Daumen drückt.
Die elfjährige Riley Anderson (Stimme: Kaitlyn Dias) erlebte in einer Kleinstadt in Minnesota bisher eine fröhliche und unbeschwerte Kindheit. Aber als die Familie nach San Francisco umziehen muss, ist Riley sehr skeptisch: Das gartenlose Haus mitten in der Großstadt ist muffig und klein, während es in der neuen Schule und im Eishockey-Team auch nicht auf Anhieb läuft. So geraten die Gefühle in Rileys Kopf zunehmend in Aufruhr: Freude (Amy Poehler), Angst (Bill Hader), Wut (Lewis Black), Ekel (Mindy Kaling) und Traurigkeit (Phyllis Smith) sind bald hoffnungslos überfordert. Und als Freude und Traurigkeit in Folge des emotionalen Durcheinanders auch noch aus dem Kommandozentrum in Rileys Gehirn herausgerissen werden, gerät das Mädchen endgültig außer Kontrolle. Ohne die fehlenden Gefühle ist das Einleben in der neuen Stadt unmöglich. Zum Glück treffen die verzweifelten Freude und Traurigkeit auf dem Weg zurück in den Kommandostand auf Rileys verschollen geglaubten imaginären Freund Bing Bong (Richard Kind), der gerne hilft…
Endlich haben die Pixar-Verantwortlichen die Zeichen der Zeit erkannt – was nützen risikolos kalkulierte Einspielergebnisse von Sequels, wenn die Kreativität dabei langsam aber sicher auf der Strecke zu bleiben droht? Stattdessen kehrt das Studio wieder zu jener legendären Risikofreude zurück, von der seit dem Start von „Oben“ 2009 immer weniger zu spüren war – und dabei ist es sicherlich auch kein Zufall, dass mit Pete Docter ausgerechnet der Regisseur von „Oben“ diese Comeback-Mission übernommen hat. Was „Alles steht Kopf“ dabei von den Pixar-Fortsetzungen wie „Cars 2“ oder „Die Monster Uni“ abhebt, ist vor allem der überbordende und nicht zu stoppende Wille, dem Publikum etwas zu geben, was es zuvor noch nicht gesehen hat. Schon die Grundidee, dass Menschen von fünf elementaren Gefühlen in einer Kommandozentrale wie in einem Raumschiff gesteuert werden, ist ebenso charmant wie clever. Die anfängliche Befürchtung, dass sich der Kniff nach der Exposition schnell abnutzen könnte, ist zudem völlig unbegründet. Denn sind die Regeln der gefühlsgesteuerten Welt erst einmal etabliert, geht die Reise emotional und visuell erst so richtig los!
Freude ist die Anführerin der Gefühle, die allesamt eine eigene unverwechselbare Persönlichkeit haben: Wut ist dabei der Mann für die trockenen Oneliner, ein typischer Disney-Sidekick also, während Ekel und Angst eher untergeordnete Nebenrollen einnehmen. Die beiden stärksten Emotionen, die sich nicht immer grünen Freude und Traurigkeit, nimmt Pete Docter folgerichtig auch als Protagonisten mit auf die Reise, die auch eine Chance dafür ist, bestehende Gegensätze zu überwinden – nachdem Freude bisher immer den großen Boss hat raushängen lassen, ist es an der Zeit zu erkennen, dass auch Traurigkeit einen wichtigen Part in Rileys Leben spielen sollte. „Alles steht Kopf“ ist auch deshalb so unterhaltsam, weil den Autoren Pete Docter, Meg LeFauve und Josh Cooley niemals die verrückten Ideen ausgehen, ohne dass sie dafür je auf die im Animationsgenre ach so gern geplünderte Popkultur-Zitatenkiste zurückgreifen müssten: Ihr einzigartiges Werk ist etwas völlig Eigenes und total Neues.
Wenn die verzweifelt um das Zurückerlangen der Kontrolle kämpfende Reisegruppe schließlich endgültig nicht mehr weiterzukommen scheint, legen Docter und seine Crew mit ihrem schon beim fantasievollen Figurendesign der Gefühle hell lodernden Einfallsreichtum erst richtig los: Hinter jeder Ecke öffnet sich eine völlig neue Welt, die auch Jules Verne begeistert hätte - von der Traumproduktion (ein eigener Studiobetrieb à la Hollywood, der böse und gute Träume produzieren kann) über den Zug der Gedanken bis zum düsteren Friedhof der Erinnerungen. Die Botschaft des Films ist dabei so simpel wie reif, typisch Pixar eben: Man kann nicht immer nur fröhlich sein – ohne Traurigkeit, Angst und Wut ist auch die Freude nichts wert.
Fazit: Mit seinem turbulenten, witzig-charmanten Animations-Abenteuer kehrt das Studio nicht nur zu alter Stärke zurück, „Alles steht Kopf“ ist sogar einer der bisher kreativsten Pixar-Filme überhaupt – grandios-clevere und emotional packende Unterhaltung für alle Altersklassen!