Wie sieht ein Actionfilm mit einem 91-jährigen Helden aus?
Von Jochen WernerDer Fremde ohne Namen ist gebrechlich geworden. „Lord, I've made my share of mistakes“, barmt Will Banister über dem Vorspann von „Cry Macho - ein sanfter Countrysong über die zahllosen Fehler, die man in einem so langen Leben wie dem von Mike Milo (Clint Eastwood) halt zwangsläufig macht. Und vielleicht noch ein paar mehr, die vermeidbar gewesen wären. Dieses lange Leben ist auch dem Körper Clint Eastwoods inzwischen unübersehbar eingeschrieben: Gebeugt und zerbrechlich ist der Leib des Mannes, der ebenso ikonischer Western- wie urbaner Actionheld war, der als Regisseur 40 Filme auf dem Kerbholz hat.
Gerade in dieser Rolle hinter der Kamera wurde er lange Jahre immer etwas zu wenig beachtet und dann plötzlich in höherem Alter mit Lob und Oscars („Erbarmungslos“, „Million Dollar Baby“) überschüttet – nur um danach einfach mit sturer Beharrlichkeit nicht mehr aufzuhören und immer weiter Filme zu machen, große und kleine, wütende und melancholische. Heute ist Clint Eastwood 91 Jahre alt, und „Cry Macho“ wirkt vermutlich wieder nur scheinbar wie ein weiterer Abschiedsfilm, natürlich nur so lange, bis dann mit 92 oder 93 das nächste politische Pamphlet oder die nächste sanfte Roadmovie-Ballade abgedreht ist.
Selten hat man im Kino einen derart gebrechlichen Actionhelden gesehen - ein faszinierender Bruch mit dem eigenen Image.
Mike Milo, der von Eastwood selbst gespielte Protagonist von „Cry Macho“, war viele Jahrzehnte lang Pferdetrainer und einstmals sehr erfolgreicher Rodeo-Reiter. Der Prolog des Films spielt im Jahr 1979, man kann also davon ausgehen, dass er die letzten Tage des mythenumwobenen Wilden Westens als Kind noch mit eigenen Augen gesehen hat. Aber die Zeit ist nicht gnädig zu Mike gewesen, nach dem Unfalltod seiner Familie kamen die Verletzungen, die Tabletten, der Alkohol, schließlich der Verlust seiner Arbeit im Gestüt seines langjährigen Bosses Howard (Dwight Yoakam). Allerdings engagiert ihn dieser nun ein Jahr später, um für ihn nach Mexiko zu fahren und dort seinen entfremdeten, bei der Mutter lebenden Sohn Rafo (Eduardo Minett) zu entführen und zu ihm in die USA zu bringen.
Dort angekommen erfährt Mike, dass der von den Liebhabern seiner Mutter immer wieder brutal misshandelte Rafo als Kleinkrimineller auf der Straße lebt und sich mit illegalen Hahnenkämpfen durchschlägt. Gleichwohl braucht es nicht viel, um den gar nicht so harten Jungen zu überzeugen, mit dem Unbekannten und dem Hahn Macho im Gepäck in ein neues Leben aufzubrechen – mit leuchtenden Augen beginnt er zu schwärmen, vom gelobten Land USA, dem ersehnten Vater und davon, einem waschechten Cowboy gegenüberzustehen. Einer der vielen nur potenziellen narrativen Konflikte, die Eastwood hier mit federleichter Hand einfach übergeht – „Cry Macho“ ist im Kern ein ungemein friedvoller Film, der seine Geschichte als maximal entschleunigtes Roadmovie erzählt.
Zwar ist der Film der Form halber durchaus als Verfolgungsjagd angelegt, schließlich heften sich die brutalen Liebhaber der Mutter sowie die mexikanische Polizei an Mikes Fersen. Aber wie Eastwood diese Jagd erzählt und inszeniert, wie er ihr im Grunde bewusst jegliche Spannungsdynamik entzieht, das ist schon bemerkenswert ungewöhnlich. Mit einfachsten Mitteln lassen sich die Verfolger immer wieder abwimmeln, und selbst das Interesse der Polizei an den beiden Flüchtigen verpufft am Ende mit unspektakulärer Nonchalance gewissermaßen im Nichts. „Cry Macho“ ist also alles andere als ein aktionsgetriebener Genrefilm, sondern konzentriert sich als Charakterstück vollständig auf seine Protagonisten, die sich auf ihrer ohnehin recht gemütlichen Flucht auch noch eine ausgiebige Pause gönnen, wenn sie in einer kleinen Stadt auf dem Weg die verwitwete Cafébetreiberin Marta (Natalia Traven) kennenlernen.
Hier laden Film und Inszenierung dann allerdings auch durchaus zu Irritationen und Kritik ein, die nicht ganz von der Hand zu weisen sind – dem ganz und gar unbeirrten Regisseur Eastwood jedoch auch völlig egal sein dürften. Die Figuren bleiben nämlich weitestgehend an der Oberfläche, wirken eher wie Schablonen als wie lebendige, nachvollziehbare, gar widersprüchliche Menschen aus Fleisch und Blut. Rafo macht nicht wirklich eine Entwicklung durch im Film, seine Konflikte – die Flucht aus einer missbräuchlichen Kindheit in das Leben auf der Straße, die Unfähigkeit zu vertrauen, die Suche nach einem eigenen Weg und einer eigenen Zukunft – treten im Grunde vollständig zurück hinter Eastwoods altersmilde, im Kern utopische Skizze einer Welt, in der alle Konflikte lösbar und zwischenmenschliche Solidarität und Hilfsbereitschaft unverbrüchlich sind.
Clint Eastwood schwingt sich auch mit 91 Jahren noch aufs Pferd - nur wilde Ritte sollte man besser nicht mehr von ihm erwarten...
Die Bedeutung und die Schönheit von „Cry Macho“ sind deshalb nicht in dem zu finden, was er erzählt oder wie er es erzählt, sondern vielmehr in dem, was er nicht erzählt – zwischen den Handlungen, den Worten, den Bildern. Das macht aus Eastwoods 40. Regiearbeit einen ungemein flüchtigen, geradezu jenseitigen Film – und in mancher Hinsicht auch, das ist nicht von der Hand zu weisen, einen ziemlich bizarren Film. Denn Eastwood ist schlicht körperlich nicht mehr imstande, die ihm nur theoretisch auf den Leib geschriebene Rolle zu spielen, in der er aller Gebrechlichkeit zum Trotz Fausthiebe austeilt, wilde Pferde reitet und von Frauen umgarnt wird, die nicht seine Töchter, sondern (mindestens) seine Enkelinnen sein könnten.
Der Regisseur Eastwood traut sich allerdings, diese Lücke, die von keiner „suspension of disbelief“ mehr zu schließen ist, weit klaffen zu lassen. Der kleine, gebeugte, zerbrechliche Greis auf der Leinwand muss nichts mehr beweisen und muss hier auch keine Rolle mehr glaubhaft spielen. Es genügt Eastwood völlig, sie zu verkörpern, ebenso wie der Film seine Konflikte nicht mehr wirklich erzählt, sondern sie eher in den Raum stellt und sie vom Geschehen gemächlich umspülen lässt.
„Cry Macho“ ist ein Film, der sich in den Zwischenräumen und Lücken ereignet, der den im Stoff durchaus als Potenzial angelegten Spannungsbogen immer bereits im Keim erstickt und sich stattdessen – voll bewusst, muss man wohl annehmen – für die denkbar sanftesten Fließbewegungen entscheidet. Ein Film, der, wie Eastwood selbst, einfach da ist, nach wie vor, stur und beharrlich insistierend, sich nicht einen Millimeter vom eingeschlagenen Pfad abbringen lassend. Seine zentrale Sensation, so es eine gibt, ist vielleicht der Körper seines Protagonisten selbst, der zunehmend seinen Dienst verweigert und die Lücke zu dem, was seine Rolle ihm abverlangt, immer weiter aufreißt – eine Lücke, durch die wir der Zeit selbst bei der Arbeit zusehen können. „There's a crack in everything / That's how the light gets in.“
Fazit: Ein ungewöhnliches und durchaus seltsames Alterswerk, das man ein bisschen gegen den Strich lesen muss, um seine Schönheit zu entdecken. Wenn man sich darauf einlassen kann, wird man allerdings im Übermaß belohnt.