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    Bellflower
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Bellflower
    Von Robert Cherkowski

    Irgendwann kommt die Zeit, in der die Träumereien der Kindheit und Jugend ihren Reiz verlieren. Die alten Witze, über die man immer lachen konnte, erscheinen plötzlich fade. Die Heimat wird einem zum Gefängnis, dem man am liebsten den Rücken kehren möchte und auch die besten Freunde scheinen einem nichts Neues mehr erzählen zu haben. Auch Evan Glodells romantisches Action-Drama „Bellflower", mit dem der Produzent, Regisseur, Autor und Hauptdarsteller in Personalunion einen Achtungserfolg beim amerikanischen Sundance-Festival landete, handelt von jener Phase der Jugend, in der alle Zeichen auf Ausbruch und Veränderung stehen. Statt jedoch auf üblichen Wegen zu wandeln, dreht der Regie-Debütant voll auf und rührt eine bunte Mischung aus „Die letzte Vorstellung" und „Mad Max" an: Verträumte Coming-Of-Age-Dramatik und reifenquietschender Endzeit-Irrsinn gehen in diesem sehenswerten Erstling Hand in Hand.

    Wer im kalifornischen Wüsten-Vorort Bellflower aufwächst, sucht sich am besten ein spannendes Hobby oder nimmt den nächsten Bus in die große weite Welt. Die Freunde Woodrow (Evan Glodell) und Aiden (Tyler Dawson) haben sich für ersteres entschieden und sind mit ihrem Leben in Bellflower recht zufrieden. Als die beiden liebenswert-versponnenen Nerds als Kinder zum ersten Mal George Millers kultigen Endzeit-Western „Mad Max" gesehen haben, war es um sie geschehen: Wie ihr großes Idol Mel Gibson alias Mad Max wollen auch sie nach dem Ende der Welt wie wir sie kennen über die Pisten rasen und Heldentaten vollbringen. All ihre Zeit verschwenden sie darauf, in Comicheft-Phantasien zu schwelgen und einen Oldtimer zu einem apokalypsetauglichen Supergefährt aufzumotzen. Ein wenig scheint es sogar, als ob sie sich einen kleinen Weltuntergang herbeiwünschen würden, um dem tristen Alltag zu entfliehen. Tatsächlich verändert sich alles, als Woodrow eines schönen Tages die quirlige Milly (Jessie Wiseman) kennenlernt. Wird der Traum der Apokalypse nun aufgegeben oder findet sie im persönlichen Rahmen statt?

    Die Ausgangssituation liest sich wie eine typische Coming-Of-Age-Geschichte wie sie im amerikanischen Independent-Kino so oft zu sehen ist. Auch der Soundtrack passt zu diesem Verdacht, erklingt hier doch ein buntes Potpourri an eingängigem Dreampop mit melancholischem Einschlag. Eine leichte Wehmut liegt über den Bildern und ganz kann sich Glodell tatsächlich nicht von Genre-Vorbildern lösen. Seine Referenzen ergeben in der Zusammenschau allerdings etwas absolut Eigenständiges. Wenn mit Milly eine Frau erscheint, die Woodrow daran erinnert, dass irgendwann Wichtigeres als Nerd-Träume auf den Plan treten wird, erinnert Glodells verträumter Reigen zunächst an Peter Bogdanovichs Klassiker „Die letzte Vorstellung", der ebenfalls vom letzten Aufbäumen der Jugend handelt. Aber die Wendung zum Drama ist längst nicht der letzte Richtungswechsel. Schon beim Vorspann ist zu erahnen, dass der Ton nicht lange so harmlos und harmonisch bleiben wird. Bald schon mutiert Bellflower zu einem grimmigen Thriller-Drama vor suburbaner Kulisse. Zwar wird die Situation nicht so heftig eskalieren wie in einschlägigen Horror-Klassikern, aber die Wechselhaftigkeit des Erzähltons verlangt dem Betrachter schon eine gewisse Anpassungsbereitschaft ab.

    „Bellflower" ist ein höchst engagiertes Werk, Glodell schreckt vor formalen Experimenten ebenso wenig zurück wie vor den erwähnten erzählerischen Brüchen. Dabei gelingt es ihm hervorragend die White-Trash-Atmosphäre der kalifornischen Vorstädte einzufangen, seine Fähigkeiten als Geschichtenerzähler sind dagegen noch nicht ausgereift: Zu lose hält er die Handlungsfäden in den Händen und für lange Zeit findet er auch nicht den richtigen Erzählrhythmus. Immer wieder mangelt es an erzählerischer Dichte und Richtung, allzu oft bleibt unklar, ob das gerade Gezeigte nun heiter, melancholisch oder unruhig stimmen soll. Auch in der Arbeit mit den Schauspielern fehlt noch etwas die klare Linie, aber zumindest wird in der zentralen Freundschaft der verschrobenen Träumer Woodrow und Aiden die Verbundenheit zwischen zwei Außenseitern spürbar, die beide einen ähnlichen Traum verfolgen, so sinnlos er auch sein mag. Diese Jungs mögen linkisch und nicht die Coolsten sein, doch sie sind sympathisch und bieten sich von Anfang an, als Identifikationsfiguren an. Mit unverfälschtem Charme überspielen die Nachwuchsdarsteller kleinere Schwierigkeiten, da fallen dann auch einige allzu literarische Dialoge kaum ins Gewicht.

    Die Aufzählung von Defiziten kann leicht einen falschen Eindruck entstehen lassen: „Bellflower" ist ein gelungener Film. Von den erwähnten Einschränkungen abgesehen, gelingt es Glodell, eine wunderbar schwebende Stimmung zu entfalten, in die man sich als Zuschauer bereitwillig fallen lassen kann. Die Leistungen der Darsteller in allen Ehren – der wahre Star des Films ist auf jeden Fall Kameramann Joel Hodge. Speziell für die Dreharbeiten hat Hodge, der sich seine Meriten bisher vor allem als Kameramann für Extremsportaufnahmen verdiente, ein eigenes nicht ganz unkompliziertes Aufnahmesystem entwickelt, das ihm einen fantastischen Einsatz natürlicher Lichtquellen gestattet. Hodges eigenwillige Optik und die satten, intensiven Farben bleiben die eigentlichen Attraktionen in Glodells skurrilem vielgesichtigem Film. Die spektakulären visuellen Impressionen machen die zahlreichen erzählerischen Mängel wett und lassen „Bellflower" zu einem ästhetischen Erlebnis werden.

    Fazit: „Bellflower" ist ein filmisches Versprechen, dem man gern glauben möchte. Regiedebütant Evan Glodell und Kameramann Joel Hodge erweisen sich bei diesem eigenwilligen Genre-Mix als begnadete visuelle Talente, deren beeindruckende Bilder über einige erzählerische Holprigkeiten hinweghelfen.

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