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    Lollipop Monster
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Lollipop Monster
    Von Moritz Stock

    Die Probleme des Erwachsenwerdens sind ein zeitloses Thema mit vielen Genre-Gesichtern. In Deutschland haben sich diesbezüglich etwa Hark Bohm mit „Nordsee ist Mordsee", Uli Edel mit „Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", Benjamin Quabeckk mit „Nichts bereuen" oder zuletzt Detlev Buck mit „Knallhart" und Dennis Gansel mit „Die Welle" verdient gemacht. All diese Filme beleuchten Adoleszenzerfahrungen aus verschiedenen Blickwinkeln. Mit „Lollipop Monster" widmet sich nun auch die Comic-Künstlerin, Drehbuchautorin und Musikerin Ziska Riemann dem Coming-Of-Age-Drama – und schafft dabei ein kreatives Kinodebüt, das verstört, fasziniert und begeistert.

    Oona (Sarah Horvath) und Ariane (Jella Haase) wachsen in dysfunktionalen Familien auf. Oonas Vater beging Selbstmord, nachdem er von der Affäre seiner Frau mit seinem Bruder erfuhr; Arianes Mutter will derweil nicht wahrhaben, dass ihr Sohn ein psychopathischer Tyrann ist und ihre Tochter ein zügeloses Sexualleben führt. Der Hass auf ihre Familien und die Liebe zum Gothic-Rock-Künstler „Der Baron" lässt aus Oona und Ariane Freunde werden. Gemeinsam kämpfen sie gegen das Ungetüm Leben, gegen Liebeskummer, Wut, Trauer und Weltschmerz...

    Ziska Riemanns Film ist ein filmischer Rausch, der die fiebrige Stimmung eines David Lynch mit den analytischen Momenten eines „American Beauty" vereint, in der Zeichnung der ungewöhnlichen Mädchenfreundschaft an Peter Jacksons „Heavenly Creatures" erinnert und in der schonungslosen Darstellung jugendlicher Sexualität Parallelen zum Werk von Larry Clark („Kids") aufweist. Aus ihren Comic-Wurzeln macht die Regisseurin keinen Hehl. Immer wieder wird die Filmhandlung durch surreale Animationssequenzen ergänzt. Überhaupt ist Riemanns visuelle Gestaltung ausgesprochen abwechslungsreich: Super-8-Aufnahmen wechseln sich mit Gesangseinlagen und absurder Videoclipästhetik ab, die Farbpalette reicht von knallig pink bis grau-schwarz.

    Diese kreative Verspieltheit verkommt dabei nie zum Selbstzweck. Vielmehr wird so das chaotische Seelenleben der zwei pubertierenden Mädchen visualisiert. Erwachsene bieten hier keinen Halt mehr, sie verstören ihre Schutzbefohlenen nur weiter – oder beuten sie sogar aus. So taumeln die Jugendlichen orientierungslos durch eine bedrohlich ambivalente Welt und büßen dabei Schritt für Schritt ihre kindliche Unschuld ein. Oonas und Arianes schwere Erfahrungen werden phasenweise auffällig überhöht inszeniert, Riemann gelingt es dennoch jederzeit, ihre Figuren lebendig, glaubhaft und ihn ihrem Schmerz nachvollziehbar zu halten.

    Konsequent behält sie die ultrasubjektive Perspektive ihrer Protagonistinnen bei und verleiht „Lollipop Monster" so gerade durch die pointierte Stilisierung einen hohen Authentizitätsgrad. In Ansätzen basiert der Film auf den Jugenderfahrungen der Regisseurin selbst – dass sie persönlich hochgradig in ihre Erzählung involviert ist, schimmert immer wieder durch. Dass ihre Annäherung an die Erfahrungswelt pubertierender Teenager so gut gelingt, liegt auch am durch die Bank starken Cast, aus dem die beiden Hauptdarstellerinnen Sarah Horváth und Jella Haase nochmals herausragen – mit welcher Energie und Ausdruckstärke die beiden ihre konfliktbeladenen Figuren verkörpern, ist beeindruckend.

    Besonders Jella Haase in der Rolle der 15-jährigen Lolita Ari meistert den Balanceakt zwischen kindlicher Naivität und sexueller Offenherzigkeit mit Bravour. Selbstverstümmelung und ungebremste Fleischeslust: Es herrscht Anarchie im zu eng gewordenen Kinderzimmer. Das deutsche Kino, der oft als bieder bezeichnet wird, erfährt mit Ziska Riemanns bemerkenswertem Debüt frischen Aufwind. Es wäre wünschenswert, würden sich in Zukunft mehr deutsche Regisseure trauen, ihrem Beispiel zu folgen, ausgetretene Pfade zu verlassen und dem deutschen Kino neue Impulse zu geben.

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