In den USA ist zum Start von Lee Daniels‘ „Der Butler“ eine heiße Debatte entbrannt. Soll man das starbesetzte Biografie-Drama nun mit „Forrest Gump“ in Verbindung bringen oder schon aus Gründen der politischen Korrektheit eher nicht? Der Vergleich liegt in gewisser Weise durchaus nahe, schließlich wird in beiden Filmen ein erzählerischer Galoppritt durch mehrere Jahrzehnte US-amerikanische Geschichte unternommen und in ihrem Zentrum steht jeweils ein passiver Teilhaber an diesen historischen Ereignissen. Selbst Regisseur Daniels bezeichnete „Der Butler“ in einem Interview als seinen „schwarzen ‚Forrest Gump‘“, allerdings verweist er mit dem Adjektiv „schwarz“ auch auf die Unterschiede zwischen den Produktionen und die sind wichtiger als die Ähnlichkeiten. Während Robert Zemeckis die politischen Aussagen in seinem famosen (und im Kern vollständig fiktiven) Generationenporträt in Pralinenpapier einwickelte, zeigt Daniels ein hohes Maß an gesellschaftlichem Sendungsbewusstsein. Er verfolgt bei seinem Blick auf die schwierige Beziehung von schwarzen und weißen Amerikanern zwischen den 1950er und 80er Jahren ganz offen aufklärerische Absichten. Mit der (wahren) Lebensgeschichte eines afro-amerikanischen Weißes-Haus-Bediensteten als rotem Faden macht er aus „Der Butler“ ein Feel-Good-Drama über die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung. Das ist zuweilen durchaus packend und informativ, aber insgesamt bleibt Daniels nur an der glattpolierten Oberfläche.
Ein traumatisches Ereignis in seiner Südstaaten-Kindheit in den 1920er Jahren verändert das Leben des jungen Schwarzen Cecil Gaines (Michael Rainley Jr.) nachhaltig: Sein geliebter, fürsorglicher Vater Earl (David Banner) wird vor seinen Augen auf der Baumwollplantage erschossen, weil er es wagte, dem sadistischen Farmer Thomas Westfall (Alex Pettyfer) ein schüchternes Widerwort zu geben, nachdem dieser Cecils Mutter Hattie (Mariah Carey) vergewaltigt hatte. In der Folge jedoch darf der nun verwaiste Junge vom Feld zu Westfalls Mutter Annabeth (Vanessa Redgrave) ins Haus wechseln und dort bedienen: der Beginn einer Karriere als Butler. Cecil (jetzt: Aml Ameen, später: Forest Whitaker) ist so gut in seiner Arbeit, dass er zu Beginn der 50er Jahre nach einer Zwischenstation in einem Hotel die Aufmerksamkeit des Weißen Hauses erregt und dort als Butler angestellt wird. Über die Jahrzehnte verwächst Cecil immer mehr mit dem Machtzentrum Amerikas und dient hier und da auch als Meinungsgeber für die vielen Präsidenten, die kamen und gingen. Wesentlich turbulenter als Cecils Butler-Job ist allerdings sein Privatleben: Seine Frau Gloria (Oprah Winfrey) hat mit Alkoholproblemen zu kämpfen und sein ältester Sohn Louis (David Oyelowo) engagiert sich mit höchstmöglicher Leidenschaft bei der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Dessen Proteste gegen die Rassentrennung bringen ihn immer wieder ins Gefängnis, aber trotz schwerer Misshandlungen gibt er nicht auf, während der zurückhaltende Cecil die politischen Aktivitäten seines Sohnes missbilligt: Es kommt zum Streit.
„Der Butler“ basiert auf der Lebensgeschichte von Eugene Allen, die schon in der Dokumentation „Workers At The White House“ von Marjorie Hunt sowie in dem Zeitungsartikel „A Butler Well Served By This Election“ der Washington Post aufgegriffen wurde. Lee Daniels gestaltet aus der Vorlage ein rührig-unterhaltendes Drama über gut drei Dekaden US-Geschichte aus afro-amerikanischer Perspektive - was aber nicht heißt, dass der Filmemacher dem New Black Cinema von Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre nacheifert, als Spike Lee („Do The Right Thing“), John Singleton („Boyz N The Hood“) und Mario van Peebles („New Jack City“) selbstbewusst auf sich und ihre kulturellen Wurzeln aufmerksam machten. Daniels legt dagegen einen mehrheitsfähigen und versöhnlichen Film vor, glättet kontroverse Kanten und hält sich selbst im Vergleich zu eigenen Werken wie dem oscargekrönten Sozialdrama „Precious“ oder der exzentrischen Genrevariation „The Paperboy“ auch inszenatorisch zurück. Er folgt der Qualitäts-Tradition des minutiös-detailreich ausgestatteten und lehrreichen Hollywood-Historiendramas und setzt der schwarzen Bürgerrechtsbewegung ein filmisches Denkmal.
Die tiefe gesellschaftliche Spaltung der heutigen USA, die weiterhin auch durch ethnische Spannungen geprägt ist, hinterlässt in diesem Erbauungswerk dagegen keine Spuren – vielmehr bekräftigt Daniels durch einen bestätigenden Sprung in die Obama-Gegenwart am Ende des Films sogar noch seine Heile-Welt-Vision. Lee Daniels ist auf Konsens und nicht auf Provokation bedacht, so zeichnet er das „Weiße Amerika“ in „Der Butler“ auch nicht als eindimensional böse. Wichtiger als eine Rekonstruktion etwa des Ku-Klux-Klan-Terrors (für den er dennoch deutliche und abschreckende Bilder findet) ist es ihm zu zeigen, dass bei der Überwindung einer absurden gesellschaftlichen Ordnung auch Weiße immer wieder für Lichtblicke gesorgt haben – ob sie die Veränderungen nun von Herzen gewollt haben (wie John F. Kennedy) oder ob sie sie nur aus politischem Kalkül vorangetrieben haben (wie Lyndon B. Johnson, der hier in einer satirisch überzeichneten Szene auf dem Klo als Rassist geoutet wird). Die wahren Helden sind in „Der Butler“ aber jene Menschen, die offensiv für ihre Bürgerrechte eingetreten sind und dabei ihr Leben riskiert haben. Dass Daniels‘ Sympathien bei den gemäßigten Stimmen um Martin Luther King liegen und nicht so sehr bei den radikal-gewaltbereiten Black Panthers, versteht sich dabei von selbst. Nur ein einziges Mal schwimmt Daniels offen gegen den Strom der politischen Korrektheit: Die Schauspiel-Ikone Sidney Poitier („In der Hitze der Nacht“), immerhin der erste Afro-Amerikaner, der mit einem Oscar als Bester Hauptdarsteller (1964 für „Lilien auf dem Felde“) ausgezeichnet wurde, kommt in „Der Butler“ gar nicht gut weg und wird als Schwarzer, wie ihn sich die Weißen wünschten, als „Onkel Tom“, als einer, der sich freiwillig und ohne Not der herrschenden Klasse unterwerfe, gebrandmarkt.
Für einen weitläufigen Streifzug durch die hier behandelte Epoche der US-amerikanischen Geschichte ist die außergewöhnliche Biografie von Eugene Allen alias Cecil Gaines der perfekte Aufhänger, aber unter erzählerischen Gesichtspunkten erweist sich der Langzeit-Präsidenten-Butler als problematischer Protagonist. Dieser einfache, zurückhaltende, demütige und politisch neutrale Diener ist eine durch und durch passive Figur, die sich nur bedingt als Schwungrad für eine kurzweilig-dramatische Spielfilmhandlung eignet. Die Arbeit des Butlers, wo diese Wesenszüge voll durchschlagen, nimmt daher auch nur recht wenig Filmzeit ein, der Akzent liegt stärker auf Cecils Privatleben, über das wesentlich einfacher Dynamik und Reibungen in die Erzählung eingeführt werden können. Besonders reizvoll ist dabei der Gegensatz zwischen dem defensiven, immer nur reagierenden Cecil und seinem stets wüst die Dinge in die Hand nehmenden Sohn Louis. Der wird zwischendrin sogar zur zweiten Hauptfigur, denn anhand seines Schicksals erzählt Daniels exemplarisch wichtige Stationen in der Historie des Civil Rights Movement nach. Die Szenen mit den mutigen Bürgerrechtlern gehören zu den packendsten und aufschlussreichsten des Films, aber im weiteren Verlauf lässt Daniels diese Parallelhandlung fast völlig fallen anstatt sie auszubauen.
Mit seinem bedeutsamen Stoff im Gepäck war es für Regisseur Lee Daniels trotz eines moderaten Budgets von 30 Millionen Dollar ein Kinderspiel, eine überaus prominente Besetzung zusammenzutrommeln. Allein fünf Oscar-Preisträger (Forest Whitaker, Jane Fonda, Cuba Gooding Jr., Vanessa Redgrave und Robin Williams) tummeln sich auf der Leinwand, selbst in kleinsten Rollen sind echte Stars zu sehen. Überstrahlt werden sie alle von Hauptdarsteller Forest Whitaker („Der letzte König von Schottland“, „Ghost Dog“), der als Cecil Gaines stets stoisch bleibt, Würde und Anstand bewahrt und eisern versucht, allem etwas Positives abzugewinnen. Konflikten mit seinem rebellischen Sohn und seiner schwierigen Frau geht er, wo er nur kann, aus dem Weg, aber sein gutes Herz schlägt dennoch für die richtige Sache. Whitaker gewinnt einer schwer zu fassenden Figur erstaunlich viele Facetten ab, während David Oyelowo („Jack Reacher“, „Lincoln“) als Louis Gaines das berührende Porträt eines unnachgiebigen Aktivisten und Überzeugungstäters zeichnet. An ihrer Seite glänzt US-Talk-Queen Oprah Winfrey (1986 oscarnominiert für „Die Farbe Lila“), die seit 1998 in „Menschenkind“ keine Kinorolle mehr übernommen hat, in einem mit Spannung erwarteten Auftritt. Nachdem die einflussreiche US-Showgröße bereits an Lee Daniels‘ Durchbruchswerk „Precious“ als Co-Produzentin beteiligt war, wollte der Regisseur sie dieses Mal unbedingt auch als Schauspielerin dabei haben und seine Beharrlichkeit zahlt sich auf der Leinwand definitiv aus. Für ihre Darstellung der alkoholkranken Frau und Mutter zwischen den Familienfronten ist Winfrey schon jetzt für eine erneute Oscar-Nominierung im Gespräch.
Neben den Aktivposten in den Hauptrollen sind in „Der Butler“ allerdings auch die fatalen Folgen von einigen der absurdesten Besetzungsentscheidungen überhaupt zu bestaunen. Unter acht Präsidenten hat der reale Eugene Allen gedient, fünf davon bekommen in „Der Butler“ einen kleinen Auftritt. Das Casting dieser US-Oberhäupter könnte kaum kurioser sein. Robin Williams („Mrs. Doubtfire“) als Dwight D. Eisenhower? Er wirkt eher wie Harry Truman! James Marsden („X-Men“) als John F. Kennedy? Keine Sekunde glaubhaft! John Cusack („High Fidelity“) als Richard Nixon? Grotesk! Liev Schreiber („X-Men Origines: Wolverine“) als Lyndon B. Johnson? Eine Karikatur! Alan Rickman („Harry Potter“) als Ronald Reagan? Voll daneben! Die mehr oder weniger prominenten Akteure passen schon rein äußerlich mehrheitlich kaum in ihre Rollen, den spezifischen Gestus und Tonfall der weltbekannten historischen Vorbilder verfehlen sie allesamt. Es bleibt unklar, was sich Casting-Direktorin Lee Daniels-Butler (übrigens die kleine Schwester des Regisseurs) dabei gedacht haben könnte. Einzig Jane Fonda („Barbarella“) überzeugt als Nancy Reagan in einer kleinen, aber nicht unbedeutenden Promi-Rolle. Da kann der amtierende US-Präsident Barack Obama froh sein, dass er nur in TV-Archivbildern von der Wahl 2008 zu sehen ist.
Fazit: Lee Daniels‘ Biografie-Drama „Der Butler“ bietet oft hochspannenden, zumindest in den Schlüsselpositionen gut gespielten und von ehrbaren Motiven durchtränkten Historien-Stoff, krankt allerdings stark an einer unausgewogenen erzählerischen Struktur. Das Ergebnis ist ein wohlgemeintes, aber auch zwiespältiges Kino-Denkmal für die schwarze Bürgerrechtsbewegung und ein mittelmäßiger Film.