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    Red, White & Blue
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Red, White & Blue
    Von Robert Cherkowski

    Die mühsam und mit viel Liebe zum Detail kuratierte Störkanal-Edition des deutschen DVD-Anbieters I-On ist nicht zuletzt dank Feuilleton-Rückendeckung und Mundpropaganda zu einer Instanz für Ausnahmefilme und Festival-Lieblinge geworden, die im Einerlei der Heimkino-Neuerscheinungen wohl unter den Tisch gefallen wären – dafür nämlich sind Störkanal-Veröffentlichungen zu unique und verquer. Allesamt müssen sie – in Ermangelung einer präziseren Kategorie – dem Arthouse-Horror zugeschrieben werden, einem Zwitter, der schwer unters Volk zu bringen ist. Auf der einen Seite der elitäre Kunstfreund, der vom spekulativen Effekt des Genre-Kinos nichts wissen will und auf der anderen der Splatter- oder Gruselfan, der es gern ohne intellektuelle Schnörkel mag. Störkanal geht einen gesunden Mittelweg; die Veröffentlichungen werden als filmische Erfahrungen und kleine Events verkauft. Die hochästhetischen Digipacks vom koreanischen Rache-Reißer („Bedevilled - Zeit der Vergeltung") über den Auslands-Oscar-nominierten Arthouse-Downer („Dogtooth") bis zu amerikanischen Low-Budget-Wagnissen („White Lightning") unterstreichen den exklusiven Charakter der Label-Politik. Eine der neuesten Störkanal-Erscheinungen ist Simon Rumleys brutaler Rache-Thriller „Red, White and Blue".

    Erica (Amanda Fuller) ist eine Gestrandete, die sich im hitzigen Austin im Süden der USA antriebslos durch die Spelunken treiben lässt. Dort wirft sie sich jedem Mann an den Hals, der ihren Weg kreuzt, bis sie auf Nate (Noah Taylor) trifft, einen bedrohlichen Schrat, mit dem sie Tür an Tür wohnt. Nate ist anders. Nicht nur, dass auch er unter der ein oder anderen mentalen Störung zu leiden scheint, so erzählt er ihr sehr frei von seinen Jugendsünden im Bereich der Tierquälerei und seinen „speziellen" Einsätzen im Irak. Er ist außerdem der einzige, der in ihr mehr als ein Betthäschen sieht. Seine Bereitschaft zur emotionalen Anteilnahme verstört sie zunächst, doch langsam und von einigen Rückschlägen begleitet kommt sie dem bärtigen Sonderling näher. Für einen kurzen Moment sieht es aus, als könnten sie die Wunden des anderen heilen...

    Doch „Red, White an Blue" ist mehr als die Geschichte trauriger Seelen, die durch die Liebe vom Schmerz des Daseins erlöst werden. Etwa zur Halbzeit, im Moment größtmöglicher Harmonie rückt ein dritter Protagonist ins Zentrum: der Mittzwanziger Franki (Marc Senter), ein Möchtegern-Rockstar und sympathischer Tagedieb. Ähnlich wie Nate und Erica scheint es auch bei ihm endlich bergauf zu gehen. Seine Mutter hat gerade den Krebs besiegt, seine Ex-Freundin bandelt wieder mit ihm an und seine Band steht kurz vor einer Europa-Tournee, als ihm eine schreckliche Nachricht ins Haus steht. Er ist HIV-positiv. Nach kurzer Überlegung macht er einen One-Night-Stand als Infektionsherd aus: Erica. Zusammen mit seinen Band-Kollegen sucht er sie auf und entführt sie, um sie zur Rede zu stellen. Wenig später ist Nate auf Frankis Fersen...

    Mysteriös und vieldeutig kommt der Titel mit seiner Farbsymbolik daher - den Blues haben hier viele, rot wird es fließen und das unschuldige Weiß ist nur noch hinterm Gilb auszumachen. Ebenso wird damit auf den Star-Spangled Banner angespielt. Rumley versteht seinen Low-Budget-Horrortrip als Bestandsaufnahme des weißen Amerikas der Gegenwart; einem Land geplatzter Träume, verloren gegangener Werte, psychotischer Kriegsheimkehrer und dem guten alten Faustrecht, das so tief in den Knochen der Nation zu stecken scheint, dass es – zumindest in der Welt von „Red, White and Blue" - stets wie ein amerikanischer Reflex erscheint, nach eigenem Befinden alttestamentarisches Recht zu sprechen. „Red White and Blue" ist jedoch keineswegs der x-te Eintrag ins Logbuch des Rachefilms, sondern ein dringlicher und persönlicher Autorenfilm, dessen nächster Verwandter eher in literarischen Kreisen zu finden ist. So erinnert das Dreigestirn der traurigen Träumer, das hier mit erschütternden Konsequenzen aufeinandertrifft, an die unglückseligen Gestalten im Schaffen Hubert Selby Juniors („Letzte Ausfahrt Brooklyn", „Requiem for a Dream").

    Mit einer ähnlichen Mischung aus Zärtlichkeit und grausamer Konsequenz wie der Gottvater der transgressiven US-Schockliteratur schnürt auch Rumley die Schlinge immer enger. Wenn Erica und Nate eines Nachts, nach einem dieser perfekten kleinen Tage, wie Lou Reed sie besingt, in platonischer Umarmung im Bett liegen, ahnt man, wie schrecklich der Horror über sie hineinbrechen wird. Rumleys Höllenfahrt wird von starken Darstellern und mit einfachen Mitteln gefahren. Reichlich eingesetzte Jump Cuts reduzieren den Alltag der Antihelden auf leere Rituale, Spielereien mit Tiefenschärfen isolieren die Protagonisten von der Außenwelt. Rumley demonstriert einen ausgeprägten Stilwillen, der zwar noch nicht die Sicherheit der ersten Garde erreicht, dabei aber nie ins Prätentiöse kippt. Leider – und das macht sich besonders im drastischen Schlussakt bemerkbar – ist seine Erzählkonstruktion ein wenig zu instabil geraten. Die enorme Fallhöhe seiner Figuren gerät in den Hintergrund, wenn er zur Herstellung der finalen Eskalation auf staubige Genre-Standards zurückgreift.

    So führt er etwa Frankis Bandkollegen meilenweit entfernt vom Klischee langhaariger Metal-Clowns à la „Wayne's World" ein, nur um sie schlussendlich doch irrational austicken und in Nates Schusslinie torkeln zu lassen. Dabei werden unangenehme Erinnerungen an das Horror-Kanonenfutter vom Dienst wach, wie man es sonst aus Höher-Schneller-Weiter-Slashern vom Hollywoodfließband kennt. Weniger wäre hier mehr gewesen. Sein Formtief im Abgang sei Rumley derweil verziehen, denn platt wird seine Gewaltorgie dabei nie. Hier wird nicht auf Sturzbäche roter Farbe, sondern auf psychologisch unangenehme Nuancen gesetzt, über die er das klassische Wohlfühl-Leindwandrächertum sicher umschifft. Die Pointe, dass Nate schlussendlich eine kranke Art geistiger Gesundung erfährt, ist in ihrer explizit amerikanischen Archaik bemerkenswert mutig - zu einem so vollkommen unmoralisch-stillen Ende wird es im Mainstream-Kino nie kommen. „Red, White and Blue" ist kein Meisterwerk, allemal aber ein unvergessliches, unbequemes Kleinod der düstersten Sorte.

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