Bent Hamer hätte man einen solchen Film nicht zugetraut. Zuletzt hat er einen Zugführer in der filmischen Skurrilität „O'Horten" in die Rente verabschiedet, im Vorgänger „Factotum" zeichnete er Charles Bukowskis blühenden Niedergang in Suff und Poesie, und davor bediente er mit „Kitchen Stories" die staubtrockenen Erwartungen an einen skandinavischen Film par excellence: Zwei Männer beobachten sich gegenseitig in einer Küche. Und nun? Ein Weihnachtsfilm. Fünf Episoden zeigen Menschen zu Heiligabend. Programmatik: Besinnung bis zur Besinnungslosigkeit. Was nicht heißt, es würde nicht auch gestritten, betäubt oder gestorben. Am Ende erstarrt nichtsdestotrotz alles in der Pose weihnachtlicher Fraternisierung. Auch Joachim Calmeyer aus „Kitchen Stories" schafft keine Linderung.
Heiligabend im norwegischen Kaff Skogli: Paul (Trond Fausa Aurvaag) ist am Ende. Eine Ewigkeit hat er seine beiden Kinder nicht mehr sehen dürfen, seit seine Frau sich einen neuen Freund angelacht hat. Und nun untersagt sie ihm auch noch, Weihnachten gemeinsam zu verbringen. Er fasst einen Plan und bittet seinen Freund und Arzt Knut (Fridtjov Såheim) um Hilfe. Der wiederum steckt in einer Ehekrise und entzieht sich auch diesmal wieder dem Fest, indem er sich entschließt, einem Flüchtlingspärchen bei der Geburt zu helfen. Andernorts trifft der geheimnisvolle Obdachlose Jordan (Reidar Sorensen) unerwartet seine Jugendliebe Johanne (Ingunn Beate Øyen), beginnt der mittelalten Karin die Zukunftslosigkeit ihrer Affäre zu dämmern, finden die beiden Kinder Bintu (Sarah Bintu Sakor) und Thomas (Morten Ilseng Risne) unter dem Sternenhimmel zueinander und bereitet Simon (Joachim Calmeyer) die lang ersehnte Heimkehr seines Sohnes vor...
„Home For Christmas" beginnt unerwartet drastisch: Ein Kind im ehemaligen Jugoslawien gerät beim Versuch, einen Weihnachtsbaum zu ergattern, in das Zielkreuz eines Scharfschützen, ein Knall ertönt, Szenenwechsel ins hoch verschneite Norwegen. Dort entspinnen sich im Wechsel die einzelnen Episoden. Allen ist ein trauriger Grundton gemein, der unterm Strich jedoch nur als Besinnlichkeitsvehikel dient. Das mag bei einigen Weihnachtsklassikern wie „Die Geister, die ich rief" oder auch beim populären „Kevin - Allein zu Haus" gleichermaßen der Fall sein. Deren Stories funktionieren allerdings für sich, während „Home For Christmas" sich in weihnachtlicher Kontemplation und Befindlichkeitsgedusel ergeht. Teils zwar interessant, sind die Episoden indes zumeist ziellos und werden nicht befriedigend beendet, geschweige denn zusammengeführt. Alles ist eher ein Nebenher, ein Stimmungsteppich, dem das kohärente narrative Element abgeht.
Am liebsten verfolgt man noch Pauls Plan, seine Kinder zu Weihnachten zu sehen und ihnen persönlich ihre Geschenke zu überreichen. Ausgeladen vom Fest mit „seiner" Familie, betäubt er kurzerhand den neuen Freund der Mutter und schlüpft im Weihnachtsmannkostüm in dessen Rolle. Diese Episode ist humorvoll, traurig, anrührend und ein bisschen brutal. Hier verliert sich das Drehbuch nicht in Besinnlichkeitsaufforderungen. Nachdem Paul dem bewusstlosen Freund Alkohol eingeflößt und ihn in eine Christkindwiege gelegt hat, beobachtet er aus dem Cafe gegenüber, wie die Polizei ihn aufsammelt. Besser wird's leider nicht.
Verbindet man mit der skandinavischen Filmkultur in erster Linie schmerzhafte Tapetenmustern und Lakonie, offenbart vor allem Letztere in Hamers Film eine Kehrseite. Lakonie ist Reduktion, die einen aufgrund ihrer verkürzten Präzision stutzen lässt. Geht dies daneben, kippt die Szene schnell in ein Gestelltsein, in ein „gewollt, aber nicht gekonnt". Dieses Moment des Artifiziellen durchzieht unfeiwillig den Film und führt dazu, dass man oft weiß, was gemeint ist, was bezweckt werden soll, es einen aber nicht so recht berührt. Seltsam steril ist auch das Setting. Warum bitte sieht man im arschkalten Norwegen nur selten den Atem der Menschen in der Winterluft? Liegt es daran, dass einige Bauten arg den Eindruck eines Studios erwecken? Der in Weihnachtsfilmen fast schon obligatorische Obdachlose schaut nach Dusche und Rasur aus wie geleckt. Das jahrelange Straßenleben hat ihm äußerlich offenbar nichts anhaben können. Das Schauspiel ist passabel, bar eines Ausreißers nach unten oder oben, eingedenk eines Drehbuchs, das nur wenige Auszeichnungsmöglichkeiten bietet.
Eine Muslimin und ein Christ finden klammheimlich zueinander, ein Serbe und eine Albanerin sind schon ein Paar, eine eigentlich tote Ehe wird reanimiert und an einem gebrochenen Obdachlosen entzünden sich nostalgische Erinnerungen: Hamer bebildert einen völker- und religionsübergreifenden Aufruf zur Menschlichkeit. Wir müssen alle besser aufeinander aufpassen, das ist schon richtig. Dazu gehört auch, vor gefühlsduseligen Filmen wie diesem zu warnen. Sollte man bei der Bewertung des Films die darin angemahnte Barmherzigkeit walten lassen? Nein. Ist ja auch noch hin mit Weihnachten. „Home For Christmas" hat die Anmutung einer unfreiwilligen Auftragsarbeit. Und ist das kitschgekleisterte Schlussbild des Polarhimmels wirklich ernst gemeint? Alter Schwede, äh Norweger! Dann lieber „Die Geister, die ich rief".