Kein anderes Volk der Erde hat sich so sehr der Astronomie verschrieben wie das chilenische. Das überrascht zunächst, ist aber damit zu erklären, dass in keinem anderen Land der Welt die äußerlichen Voraussetzungen für diese Wissenschaft dermaßen gut sind wie in dem südamerikanischen Andenstaat. Der chilenische Filmemacher Patricio Guzmán blickt in seiner Dokumentation „Nostalgia De La Luz" zunächst auf das Hobby seiner Landsleute, spannt dann aber einen Bogen zu einem weit düsteren Kapitel der Landeshistorie: den Morden unter dem Pinochet-Regime.
Eine geographische Besonderheit macht die chilenische Atacama-Wüste so außergewöhnlich und perfekt für astronomische Beobachtungen: Es herrscht praktisch immer null Prozent Luftfeuchtigkeit, so dass die Atmosphäre extrem lichtdurchlässig ist. Im Schatten der Anden regnet es eben sehr, sehr selten. Nur alle sieben, acht Jahre wird die Region von schweren Regenfällen heimgesucht. Die Zeiträume dazwischen ermöglichen den Astronomen einen freien Blick in weit entfernte Galaxien. In den Bergen sind mehrere große Sternenwarten beheimatet - unter anderem das Paranal-Observatorium, das Atacama Large Millimeter Array und das Atacama Pathfinder Experiment. Die NASA testet dort sogar ihre Marssonden, weil die Beschaffenheit des Bodens dem auf dem fernen Planeten besonders nahe kommt.
Durch den hohen Salzgehalt der Erde in der Atacama-Wüste konserviert der Boden aber auch sehr effektiv Knochen. Getötete Menschen und Tiere werden unter der Erde regelrecht mumifiziert. Während der Militärdiktatur des chilenischen Präsidenten Augustino Pinochet (1973 bis 1990) wurden Tausende von Regimegegner ermordet oder „verschwanden" einfach – vornehmlich in der Atacama-Wüste, wo deren Mütter bis heute nach Überresten ihrer verstorbenen Kinder graben, um durch einen Fund persönliche Gewissheit über das Verschwinden ihrer Liebsten zu erhalten. Sie wollen ihren Frieden machen und abschließen mit der Qual der Unsicherheit. „Wir sind das Problem der Regierung. Wir sind Chiles Leprakranke", sagt die 70-jährige Violeta an einer Stelle. Sie sieht die wehklagenden Frauen als gesellschaftliches Hindernis. Die Frauen fühlen sich als Ausgestoßene.
Regisseur Patricio Guzmán arrangiert diese beiden Themen nebeneinander – wobei der Astronomie der erste Teil gewidmet ist und den Pinochet-Opfern der zweite. Die Astromomen kommen zu Wort und illustrieren die Vorzüge der Region und dokumentieren ihre Faszination für ihr Fachgebiet. Dann aber rückt der Filmemacher unvermittelt immer mehr die verzweifelten Mütter in den Fokus und lässt sie ihre Anklage gegen das Pinochet-Regime auf herzzerreißende Weise formulieren.
So interessant dieser Ansatz der Verwebung auch ist, gibt er beiden Komplexen zwar emotionale Tiefe, aber inhaltlich bewegt er sich nur an der Oberfläche ohne großartiges Hintergrundwissen zu vermitteln. Die Bilder, die der auch den Off-Kommentar selbst sprechende Guzmán aufbietet, sind trotz des intelligenten Ansatzes konventionell. Die „sprechenden Köpfe" der Interviewsequenzen lockert der Regisseur mit Breitbildpanoramen auf. Am Ende versucht Guzmán seine beiden Elemente lose zu verbinden, was in letzter Konsequenz aber ein wenig gewollt wirkt.
Fazit: Patricio Guzmáns intelligente Dokumentation „Nostalgia De La Luz" bündelt zwei Kernpunkte der chilenische Gesellschaft, Neues und Vergangenes, und legt so zwei unvereinbar scheinende Themen als Allegorie übereinander.