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    Der letzte Tango in Paris
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Der letzte Tango in Paris
    Von Stefan Ludwig

    Mit Marlon Brando ist am 1. Juli 2004 einer der letzten großen Schauspieler seiner Generation nach langen Leiden an den folgen einer Lungenfibrose verstorben. Zu Weltruhm brachte er es vor allem durch seine Frühwerke „Endstation Sehnsucht“, Die Faust im Nacken und „Meuterei auf der Bounty“. Seine Auftritte Francis Ford Coppolas Geniestreichen Der Pate und Apocalypse Now machten ihn dann endgültig zur Legende. Doch im gleichen Jahr seines Auftritts Coppolas grandioser Trilogie, sollte er einer eher kleinen italienisch-französischen Co-Produktion mit seinem Namen zu internationaler Beachtung verhelfen. Regisseur Bernardo Bertolucci (“Der letzte Kaiser”) wagte ein filmisches Experiment über einen gebrochenen Mann, der versucht, sich selbst mit einer flüchtigen Sexbeziehung am Leben zu halten. Zu seiner Zeit ein Skandalfilm, vermag “Der letzte Tango in Paris” heute noch zu schockieren, wenn auch lediglich bedingt. Das erotische Drama zeigt eine weitere grandiose Leistung Brandos und schafft es durch seine Erzählweise hervorragend, den Zuschauer von Beginn an in einen beklemmenden Bann zu ziehen, der erst im Mittelteil langsam aufgelöst wird.

    Paul (Marlon Brando) ist mit der Welt am Ende. Nach dem Selbstmord seiner Frau, die ihn schamlos betrogen hat, weiß er nicht wohin mit sich selbst. Er beginnt in einem Pariser Hotelzimmer eine kuriose Sexbeziehung mit der zwanzigjährigen Jeanne (Maria Schneider), die dort eigentlich nur auf Wohnungssuche war. Seine Regeln für ihr Verhältnis sehen vor, dass sie das Leben außerhalb des Zimmers völlig ausblenden – sie nennen sich nicht einmal die eigenen Namen und erzählen sich auch sonst nichts über sich. Jeanne war zwar im Begriff den Filmregisseur Tom (Jean-Pierre Léaud) zu heiraten, doch von dem fühlt sich hintergangen. Er überfällt sie mit der Idee, eine Dokumentation über sie zu drehen. Um ihr Einverständnis dazu kümmert er sich herzlich wenig bzw. gar nicht. Nun ist sie hin und her gerissen zwischen dem spannenden Hoteldasein, das ihr erlaubt, der Welt jenseits dessen Fenstern zu entfliehen, und ihrem gewöhnlichen Leben.

    Bei Erscheinen des Films im Jahre 1972 lösten die drastischen, für ihre Zeit ungewöhnlich freizügigen Sexszenen große Unruhe aus. “Der letzte Tango in Paris” wurde in Italien verboten, sämtliche Kopien mussten vernichtet werden. Bernardo Bertolucci wurden die Bürgerrechte für fünf Jahre aberkannt und Brando, Schneider und Produzent Alberto Grimaldi wurden zu je zwei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Erst 1987 wurde der Film wieder vom Index genommen. Heute schockiert der Film weniger wegen seiner Freizügigkeit, sondern vielmehr aufgrund der drastischen Szenen und der teilweise auch für heutige Verhältnisse sehr vulgären Sprache.

    Bernardo Bertolucci hat später mit “Der letzte Kaiser” seinen größten Erfolg verbuchen können, der mit neun Oscars ausgezeichnet wurde. Das Drehbuch für “Der letzte Tango in Paris” schrieb er selbst unter Mithilfe von Franco Arcalli und seiner Freundin Agnes Varda. Der fertige Film brachte Bertolucci eine Nominierung für den Regie-Oscar ein und wurde zu dem beabsichtigten internationalen Kassenerfolg. Er macht zunächst den Eindruck, als wolle er mit dem Film ausdrücken, dass sich wahre Lust nur noch außerhalb der sozialen Gesellschaft spüren lässt - doch am Ende ist erkennbar, dass auch dies nicht die wahre Erfüllung sein kann.

    Die Faszination des Films ergibt sich im Besonderen durch die Charaktere und deren Beziehung zueinander. Bertolucci entwickelt diese ausschließlich durch die Bilder auf der Leinwand. Es gibt keinerlei zusätzliche Erklärungen und viele Zusammenhänge erschließen sich erst recht spät. So bleibt der Zuschauer in der Beziehung von Paul und Jeanne in einer ihnen ebenbürtigen Position und kann sich ein Urteil nur durch Beobachtungen ihrer Handlungen erlauben. Schauspieler und Drehorte sind dabei stets grandios in Szene gesetzt, was besonders der eingesetzten Beleuchtung und der Kameraarbeit zuzuschreiben ist. Letztere stammt übrigens von Bertoluccis langjährigerem Weggefährten Vittorio Storaro. Dessen Stil findet sich auch in je zwei Filmen von Francis Ford Coppola (Apocalypse Now, “Tucker”) und dem spanischen Regisseur Carlos Saura (“Flamenco”, “Taxi”) wieder.

    Paul ist im Grunde ein von Selbstzweifeln geplagter Mann, doch er lässt sich davon nichts anmerken. Trotz der unmittelbaren Konfrontation mit dem Tod seiner Ehefrau und deren Untreue wirkt er gefestigt. Nur gelegentliche heftige Gefühlsausbrüche lassen seine innerliche Gebrochenheit erkennen. Marlon Brando verkörpert diese Zwiespältigkeit grandios. Er wird dabei überwiegend in zunehmend oranges oder helles Licht getaucht, was seiner Wirkung weiter zu Gute kommt. Dabei schafft er es mit einer beeindruckenden Ernsthaftigkeit aufzuspielen und in schwierigen Szenen besonders aufzutrumpfen. So wie beim ausgezeichneten Monolog vor dem Totenbett seiner Frau. Diesen soll Brando übrigens größtenteils improvisiert haben.

    Jeanne ist mit ihren zwanzig Jahren nicht einmal halb so alt wie Paul. Sie verhält sich jugendlich bis kindlich, was sich besonders im Umgang mit Tom ausdrückt, der sie heiraten möchte. Ihr Verhältnis zu Paul scheint für sie eine Art Traumwelt zu sein, auch wenn sie anfangs nicht weiß, warum sie immer wieder zu ihm zurückkehrt. Maria Schneider spielt die Rolle offenherzig und wirkt stets natürlich. Sie interpretiert ihre Rolle dabei ähnlich wie Sue Lyon die ihrige in Lolita. Allerdings ist Bertolucci hier wesentlich freizügiger als Kubrick und lässt zudem seine Charaktere kein Blatt vor den Mund nehmen. Tom wird von Jean-Pierre Léaud verkörpert. Er sieht in der Welt eine einzige Bühne, sein spielerischer Umgang damit scheint zu Jeannes Art zu passen. Aber eigentlich unterdrückt er sie, indem er ihr seinen Willen für seine Zwecke aufzwängt.

    Wenn Bertolucci in “Der letzte Tango in Paris” jedenfalls eines gelungen ist, dann die Charaktere für sich sprechen zu lassen. Die Bildsprache ist dank ausgefeilter Perspektive und Farbwahl ebenfalls maßgeblich am Funktionieren des Films beteiligt. So ist dem italienischen Regisseur ein Meisterwerk gelungen, das aus den pornographischen Ansätzen ein anspruchsvolles und begeisterndes Drama formt. Dem ist in einigen Szenen eine ganz eigenwillige Komik zu Eigen, was den Unterhaltungswert weiter erhöht. Die zu Beginn aufgebaute, mysteriöse Atmosphäre wird zwar im späteren Filmverlauf abgebaut – was ein wenig Faszination verschwinden lässt – aber nur so kann Bertolucci die Story tatsächlich vorantreiben.

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