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    Hundstage
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Hundstage
    Von Björn Becher

    Regisseur Sidney Lumet konzentriert sich in seinem auf einem der spektakulärsten Banküberfälle der US-Geschichte basierenden Psycho-Drama „Hundstage“ nicht so sehr auf eine genaue Rekonstruktion der Geschehnisse (auch wenn diese fast zwangsläufig ebenfalls stattfindet), sondern entwickelt aus dem Stoff ein beeindruckendes Psychogramm über die beiden Bankräuber. Auch wenn der Film immer einen dokumentarischen Touch hat (so wird zum Beispiel bis auf die Anfangssequenz keine Filmmusik verwendet), ist die Intensität von Lumet doch eine andere. Obwohl „Hundstage“ von der ersten bis zur letzten Minute hochspannend ist und dem Zuschauer nur einige wenige Minuten zum Verschnaufen gibt, steht die Thrillerhandlung nur im Hintergrund. Lumet zeichnet stattdessen ein genaues Psychogramm der beiden naiven Amateurgangster, die völlig unvorbereitet in diese sensationelle Geiselnahme hineingeschlittert sind. Es dauert eine ganze Weile, bis sie verarbeiten können, dass ihr ursprünglicher Plan nicht mehr funktioniert, dass es sich hier nicht um eine Sache von zehn Minuten handelt. Sie müssen umdenken, um lebend aus der Sache herauszukommen.

    The robbery should have taken 10 minutes. 4 hours later, the bank was like a circus sideshow. 8 hours later, it was the hottest thing on live T.V. 12 hours later it was all history. And it’s all true.

    Brooklyn, 22. August 1972, ein heißer Sommertag: Es sollte ein einfacher und schneller Rein-Raus-Banküberfall werden, den Sonny (Al Pacino) geplant hatte und mit Sal (John Cazale) und Stevie (Gary Springer) verüben wollte. Doch schon zum Start gibt es leichte Schwierigkeiten. Stevie sieht sich dem Job nicht gewachsen, er kann den Wachmann nicht mit der Waffe bedrohen und flieht. Immerhin lässt er noch die Fluchtwagenschlüssel zurück, die er beinahe mitgenommen hätte. Die zweite Enttäuschung folgt sogleich. Obwohl Sonny den Zeitpunkt genau geplant hatte und der Annahme war, dass die Kassen der Bank voll seien, ist kaum Geld vorrätig. Doch das Schlimmste kommt erst, als Sonny und Sal die Bank wieder verlassen wollen. Es wimmelt überall von Polizei. Unter dem Kommando von Detective Sergeant Eugene Moretti (Charles Durning) stehen über zweihundert Polizisten vor der Bank und es werden von Minute zu Minute mehr. Moretti weiß, dass er die Geiselnahme unblutig beenden muss, denn vor nicht allzu langer Zeit starben bei einer ähnlichen Aktion in Attica fast fünfzig Menschen. Die Schuld bekam hauptsächlich die Polizei. Doch auch Sonny weiß nur zu gut um Attica. Er schafft es schnell, sowohl die Geiseln als auch die Öffentlichkeit für sich einzunehmen. Ein stundenlanger dramatischer Belagerungszustand nimmt seinen Lauf...

    Regisseur Lumet konzentriert sich vor allem auf die Position von Sonny, dessen soziale Hintergründe sehr ausführlich beleuchtet werden. Sonny ist Vater von zwei Kindern, scheinbar glücklich verheiratet, in Wirklichkeit homosexuell. Er träumt davon seinem Partner, seiner neuen „Frau“ Leon (Chris Sarandon) eine Geschlechtsumwandlung bezahlen zu können. Das ist unter anderem seine Motivation für den Banküberfall. Lumet nimmt sich dabei viel Zeit, dem Zuschauer die Person Sonny näher zu bringen. Schnell empfindet man eine Sympathie für ihn, hofft mit Sonny, dass die Sache gut ausgeht. Dass diese Charakterisierung so gut gelingt, ist auch ein großes Verdienst von Al Pacino. Pacino, der in seiner Karriere bisher viele hervorragende Leistungen abgeliefert hat, hat dies in seinen beiden Filmen unter der Regie von Sidney Lumet noch einmal auf die Spitze getrieben. Wie schon in „Serpico“ (1973) wurde auch zwei Jahre später in „Hundstage“ der Film vollkommen auf Pacino zugeschnitten. Er ist fast in jeder Szene zu sehen und zeigt durch seine Performance eine ungemeine Präsenz. Am intensivsten sicherlich die Szene, als er einer der Kassiererinnen in der Bank sein Testament diktiert.

    Neben Pacino verkommen die anderen Darsteller fast ein wenig zur Staffage. Charles Durning hat zwar noch einige wenige sehr starke Szenen und Chris Sarandon hat bei seinen kleinen Auftritten als Leon so überzeugen können, dass es sogar für eine Oscarnominierung reichte, doch hauptsächlich gehört die Bühne Pacino. Sogar John Cazales Rolle als Komplize beschränkt sich hauptsächlich darauf, nervös in der Ecke zu stehen, abgeschafft zu wirken und zwischendurch in einigen Szenen dem Zuschauer immer wieder zu Gemüte führen, dass Sonny der Planer der beiden ist und Sal nur ein dummer Mitläufer, nicht fähig eigene Gedanken zu fassen. Hier nimmt sich Lumet auch immer mal wieder Zeit eine Prise Humor in die ernste Thematik zu bringen. Sei es nur einfach die Dummheit Sals, der auf die Frage von Sonny, in welches Land man fliehen wolle, mit Wyoming antwortet, um von Sonny dann belehrt zu werden, dass dies ein Staat und kein Land sei. Dazu kommt auch etwas derberer Humor durch Sonnys dauerndes Gefluche, bei dem in fast jedem Satz das Wort „fuck“ vorkommt. Ein TV-Reporter, der Sonny per Telefon interviewt, missbilligt das sogar so sehr, dass er die Verbindung kappt. In dieser Szene übt Lumet, wie in einigen anderen ebenfalls, Medienkritik. Auch diese Ebene des Films trägt dazu bei, dass das Meisterwerk „Hundstage“ zu Lumets besten Arbeiten gehört.

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