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    Lost Highway
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Lost Highway
    Von Deike Stagge

    Wer David Lynch kennt, weiß, dass dieser Name für außergewöhnliche Filmprojekte und ungewöhnliche Regiearbeit steht. Mit „Der Elefantenmensch“ und „Blue Velvet“ wurde der Amerikaner kult und nach der genial-verschrobenen Mystery-TV-Serie „Twin Peaks“ hat der durchgeknallte Filmemacher auch endlich bei einem breiteren Publikum immer mehr Ansehen. Mit dem Mystery-Thriller „Lost Highway“ schuf David Lynch 1997 einen echten Klassiker über Alptraum und Verfolgung.

    Fred Madisons (Bill Pullman) Ehe mit Renee (Patricia Arquette) ist alles

    andere als glücklich. Der verträumte Saxophonspieler verdächtigt seine

    Frau, eine Affäre mit dem Playboy Andy (Michael Massee) zu haben. Auf einer Party in Andys Haus lernt Fred einen mysteriösen Fremden (Robert Blake) kennen, der ihn zum ersten Mal mit den Grenzen seiner Vorstellung konfrontiert. Zeitgleich finden die Madisons Videokassetten vor ihrer Haustür, die

    zeigen, wie jemand in ihr Haus einbricht und sie beim Schlafen filmt. Als Fred die neueste Kassette abspielt, zeigt sie dem Ahnungslosen, wie er selbst gerade seine Frau ermordet. Er wird ins Gefängnis gesteckt, wo er auf die Hinrichtung warten soll.

    Doch am nächsten Morgen erleben die Wärter eine böse Überraschung. In

    der gut bewachten Zelle von Fred sitzt der junge Automechaniker Pete (Balthazar Getty) und kann sich an absolut nichts erinnern. Pete wird freigelassen, findet sich aber in seinem Leben mit Freundin Sheila (Natasha Gregson Wagner) nicht mehr zurecht. Über einen Job bei Mr. Eddy (Robert Loggia) lernt er Alice (Patricia Arquette) kennen, eine Femme Fatale, die nicht nur erstaunliche Ähnlichkeit mit Renee hat, sondern ihn auch vor eine folgenreiche Entscheidung stellt. Und auch der mysteriöse Fremde taucht plötzlich bei Pete auf.

    Über die Interpretation der Werke von David Lynch ist zu jeder Zeit viel

    spekuliert worden. Nicht ganz zu unrecht, denn der Ausnahmeregisseur

    verzichtet in seinen Drehbüchern bewusst oft auf logisch aufeinander aufbauende Handlungsschritte und spielt gern mit der zeitlichen Abfolge seiner Geschichten. Diese Technik fand in Lynchs Meisterwerk „Mulholland Drive“ seinen vorläufigen Höhepunkt. Das Verwirrspiel ringt dem Zuschauer Geduld, Konzentration und zumindest den Willen ab, sich auf diese Reise durch die filmischen Möglichkeiten einzulassen. Hinsehen wird bei Lynch zur Herausforderung. Man kann sich schon mal so vorkommen, als wäre man kurz eingeschlafen und hätte dadurch eine wichtige Wendung einfach nur verpasst.

    Doch auch wer wenig Freude an solch extravaganten Spielchen hat, kann

    „Lost Highway“ ausgiebig genießen. Das liegt zunächst an der ganz außergewöhnlichen Aufmachung des Films, der Lynchs markante Handschrift trägt: Die intelligent konstruierten Sequenzen unterliegen ihrer eigenen dominierenden Farbgebung und werden fast immer ins Schwarze abgeblendet, eine Technik, die in Hollywoodproduktionen meist gar nicht

    mehr eingesetzt wird. Die Kamera nimmt ungewöhnliche Positionen ein; der Regisseur ermöglicht dem Publikum hin und wieder durch die gezielte Einstellungswahl die sprichwörtliche Draufsicht auf seine Charaktere. Auch der Soundtrack wird bei „Lost Highway“ zum Instrument der Inszenierung. Musik wird als Stilelement bewusst eingesetzt und dient nie zur reinen Untermalung der Handlung. Statt dessen liegt unter

    vielen Szenen ein kaum hörbares, eintöniges Brummen. Zudem machte Lynch die deutschen Dumpfrocker Rammstein („Ein Mensch brennt“) international bekannt.

    Neben dem einzigartigen Stil fesseln auch die Figuren von „Lost Highway“. Der Film ist eine spannende sowie markerschütternde Charakterstudie und kommt trotzdem ohne viele erklärende Worte aus. Wenn Fred in einem Club gedankenverloren auf das Notausgangsschild starrt, wird bereits angedeutet, dass er nach einem Ausweg aus seinem Leben sucht. Diese Art der Streuung subtiler Anhaltspunkte ist das

    Markenzeichen von David Lynch. Nach seinen Enttäuschungen stellt sich Fred einfach vor, wie ein besseres Leben aussehen könnte, wenn er noch einmal jung wäre und ihm alle Türen offen stünden. Doch Fred kann seinen Dämonen auch in der Traumwelt nicht dauerhaft entfliehen und leitet schließlich seine eigene Apokalypse ein.

    Freds Verfolgungswahn wird von Bill Pullmans („Während du schliefst“, „E-Mail für Dich“) Darstellung hervorragend herausgestellt. Neben ihm kann besonders Patricia Arquette („True Romance“, „Human Nature“) in ihrer Doppelrolle zeigen, was sie kann. Selbst kleinste Sprechrollen sind mit charakteristischen Originaltypen besetzt: Wer genau hinschaut, entdeckt neben Henry Rollins („Heat“) auch Schockrocker Marilyn Manson („Bowling For Columbine“). „Lost Highway“ ist ein grandios inszenierter Film, der seine Zuschauer auf eine apokalyptische Reise jenseits aller filmischen Regeln entführt. Man muss ihn sich sicherlich mehrfach ansehen, um ihn in allen seinen Einzelheiten zu erfassen.

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