„Drachenzähmen leicht gemacht" hat zwar bei der Oscar-Verleihung 2011 gegen den ebenfalls großartigen „Toy Story 3" den Kürzeren gezogen, aber das Computeranimations-Genre weiter vorangebracht hat trotzdem das Wikinger-Abenteuer aus dem Hause DreamWorks. Schließlich schuf Regisseur Chris Sanders gerade mit den Flugeinlagen einige Action-Sequenzen, die fulminanter und kinetischer waren als alles, was es zuvor in animierten Filmen zu sehen gab. Diesen Weg beschreiten Sanders und sein neuer Co-Regisseur Kirk De Micco mit „Die Croods" nun konsequent weiter. In dem 3D-Steinzeit-Abenteuer gibt es einige derart brillant inszenierte Verfolgungsjagden, dass sie im Kinojahr 2013 wohl allenfalls noch von Justin Lins „Fast & Furious 6" getoppt werden könnten. Und das ist noch lange nicht alles: „Die Croods" fühlt sich an, als ob die Macher einen Freifahrtschein bekommen hätten, grenzenlos und ohne Rücksicht auf gar nichts einfach nur kreativ sein zu dürfen. Und von diesem gerade für einen Big-Budget-Hollywood-Film unerhörten Geschenk macht das Regie-Duo zum Segen des Publikums ausgiebig Gebrauch!
Die Croods sind die einzige Steinzeitmenschen-Familie in der näheren Umgebung, die nicht von Dinosauriern totgetrampelt oder von Riesenschlangen aufgefressen wurde. Und das liegt vor allem am strengen Regelwerk von Familienpatriarch Grug (Stimme: Nicolas Cage, deutsch: Uwe Ochsenknecht): Wenn die Dunkelheit hereinbricht, wird ein großer Stein vor den Höhleneingang gerollt und niemand darf mehr nach draußen. Außerdem gilt immer das Motto: Habe niemals keine Angst! Grugs aufgeweckte Tochter Eep (Emma Stone, Janin Reinhardt) ist allerdings gar nicht damit einverstanden, immer nur im Dunkeln und voller Furcht zu leben. Doch mit ihrer Neugier stößt sie beim Rest ihrer Familie auf nichts als Unverständnis. Erst als die Kontinente sich spalten, die Erde aufbricht und die Höhle einstürzt, muss die Familie wohl oder übel ihre alten Regeln über Bord werfen und begibt sich auf eine abenteuerliche Suche nach einer neuen Behausung ...
Die Macher verlieren keine Zeit. Nach einem knappen, aber bereits den trockenen Humor des Films vorwegnehmenden 2D-Prolog artet ein harmloser Eierklau schnell in eine ausgewachsene Verfolgungsjagd aus - inklusive Football-Match-Atmosphäre und allerlei kreativ designtem prähistorischen Getier. Wie schon bei „Drachenzähmen leicht gemacht" (und davor „Wall-E") hat auch bei „Die Croods" der legendäre Roger Deakins (2013 als Kameramann von „Skyfall" zum insgesamt zehnten Mal oscarnominiert) dabei geholfen, die animierten Sets so auszuleuchten, dass sie genauso plastisch wirken wie bei einem gut fotografierten Realfilm. Und das zahlt sich aus: Vor „Die Croods" hätte man das allenfalls von „Die Unglaublichen" oder von „Kung Fu Panda 2" behauptet, aber das Husarenstück von Sanders und De Micco bietet tatsächlich einige der beeindruckendsten Action-Sequenzen des Kinojahres. Es ist schön zu sehen, dass sich die großen Studios immer öfter nicht mehr nur auf die Qualität der Animation (die ist auch bei „Die Croods" makellos), sondern eben auch auf die Qualität der Inszenierung konzentrieren.
Und dann wird's plötzlich richtig crazy: Brechen die Kontinente erst einmal auseinander, lassen die Croods ihr vermeintlich sicheres Wüstenplätzchen hinter sich und schlagen sich stattdessen durch eine farbenfroh-durchgeknallte Dschungelwelt im Stile von James Camerons „Avatar". Dort gibt es nicht nur Elefantenmäuse, sondern auch Wale auf Beinen, die von Piranhavögeln in Sekundenschnelle bis auf die Knochen abgenagt werden. Ab hier wirkt der Film, als hätten Steinzeit-Forscher auf LSD (mindestens!) Drehbuch und Animationen verantwortet. Dazu passt auch der oft extrem trockene Humor inklusive Zalando-artigem Schuh-Gekreische und einer Oma, die ohne mit der Wimper zu zucken als Münzersatz für eine Runde „Kopf oder Hintern" in die Luft geworfen wird.
Im spektakulären Finale kristallisiert sich zwar immer mehr Grug als eigentlicher Held der Geschichte heraus, trotzdem ist es meist seine Tochter Eep, die das Abenteuer mit ihrer Neugier vorantreibt. Nach der Veröffentlichung des ersten Trailers wurden deshalb bereits immer wieder Vergleiche zur Protagonistin aus Pixars „Merida - Legende der Highlands" angestellt – und die sind sicher auch nicht vollständig von der Hand zu weisen. Doch am Ende ist „Die Croods" sogar noch einen Tick mutiger: Denn auch wenn sich Merida mit Pfeil und Bogen ihre Freiheit erschießt, ist sie mit ihren langen lockigen Haaren eben immer noch ein kleines süßes Mädchen, dem ohnenhin niemand seine Aufmüpfigkeit übelnehmen kann. Mit ihren superbreiten Schultern und ihrem nahezu dreieckigen Körper ist Eep - trotz ihrer attraktiven Sprecherin Emma Stone („The Amazing Spider-Man") - hingegen nicht unbedingt hübsch, zumindest nicht im klassischen Sinne. Der Marketingabteilung dürfte das schlaflose Nächte bereitet haben. Aber der Zuschauer verlässt das Kino ohnehin mit dem Gefühl, dass den Machern bei „Die Croods" alles erlaubt war. Und dieses Vertrauen zahlen sie mit ihrem überbordend kreativen Film zigfach zurück.
Fazit: Mit seinen fulminanten Action-Sequenzen, seinen abgefahrenen Figuren-Designs, seinem trockenen Humor und überhaupt seinen Unmengen an kreativen Einfällen entpuppt sich „Die Croods" als extrem kurzweilige Familienunterhaltung und Mitternachtskino mit beträchtlichem Kultpotential in einem.