Jahrelange Strapazen haben sie für diese Schiffstour auf sich genommen. Jetzt sitzen sie zusammengepfercht in einer kleinen Nussschale, Spanien ist bereits in Sichtweite. Hohe Wellen schlagen an die Bordwand, das Boot droht zu kentern. Täglich versuchen hunderte Flüchtlinge auf diese Weise aus Afrika nach Europa zu gelangen. In der Dokumentation „Hotel Sahara“ erzählt Regisseurin Bettina Haasen von ihren Schicksalen. Doch der Film verlässt sich auf nur lose verknüpfte Interviews ohne weiteren Kommentar: zu wenig für einen 85-minütigen Kinofilm.
Nouadhibou, die zweitgrößte Stadt Mauretaniens: Unter den 90.000 Einwohnern tummeln sich viele Flüchtlinge, die sich gerade auf ihrem Weg über die kanarischen Inseln nach Europa befinden. Bettina Haasen lässt die Afrikaner von ihrem Schicksal berichten, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Die deutsche Regisseurin verzichtet dabei auf jeglichen Kommentar. Stattdessen erzählen die Interviewten frei von ihrem Leben, ihrer Reise und ihren Träumen. Die Geschichten handeln von korrupten Behörden, tödlich endenden Bootsfahrten über das Mittelmeer und Familien, deren Kinder mit dem Geld aus Europa in der Heimat zur Schule geschickt werden sollen…
Für eine Reportage, die sich um ganz ähnliche Biographien drehte, gewann der Spiegel-Autor Klaus Brinkbäumer 2006 den Henri-Nannen-Preis. Er hangelte sich darin an der Reise des Flüchtlings John Ekow Ampan entlang. Der Journalist setzt auf eine einzelne Hauptperson und deren Schicksal. So wurde das ganze Elend einer Flucht quer durch Afrika auch für europäische Leser greifbar. „Hotel Sahara“ hingegen wählt die Momentaufnahme als erzählerisches Mittel. Die Figuren der Dokumentation sind alle in derselben Stadt gestrandet, bevor es weiter nach Europa geht. Haasen beschränkt sich auf diesen Ausschnitt der oft tragischen Lebensgeschichten und reicht den Rest mittels Erzählungen der Protagonisten nach. Allerdings fehlt diesen Bildern die Wirkung: Die Interviewten schildern ihre Tragödien eben nur mit Worten.
Gewiss lässt sich so die Misere der Flüchtlinge ablesen. Der Verzicht auf weitere Hintergrundinfos und Statistiken ist allerdings nicht wie beabsichtigt erfrischend. Vielmehr ist er bisweilen anstrengend: Selbst wer sich gut auskennt, kommt mit den spärlichen Infos oft nicht aus. Anstatt den Zuschauer bei der Hand zu nehmen, lässt Haasen ihn allein mit den Erzählungen. Es fehlt an Fakten, um die Einzelschilderungen richtig einzuordnen: Wie viele Flüchtlinge brechen aus Afrika auf? Wie viele überleben? Wie viel Geld fließt wieder zurück in die Heimat? Diese spannenden Fragen bleiben unbeantwortet.
Für dieses Manko entschädigt die Fülle an beeindruckenden Bildern Mauretaniens nur bedingt. Mittels dieser Aufnahmen verschafft Haasen dem Zuschauer zwischen den Interviews Zeit zum Luftholen. In den Landschaftsbildern zeigt sich auch, welches eigentlich gute Konzept hinter „Hotel Sahara“ steckt: Die dramatische Reise der Migranten soll auf einen einzigen Augenblicken ihrer Reise mit unbestimmtem Ausgang verdichtet werden. Dieser Verzicht auf einen roten Faden spiegelt auch das Schicksal der Flüchtlinge: Selten erreichen sie ihr ursprüngliches Ziel. Der Anspruch von Haasens Ideen ist letztlich aber derart komplex, dass er der umfassenden Information über die „afrikanischen Odysseen“ eher im Wege steht.