In einer der berühmtesten Szenen aus James Whales Horror-Klassiker „Frankenstein“ von 1931 trifft das von Boris Karloff gespielte Monster am Ufer eines Sees auf das kleine Mädchen Maria. Sie freunden sich an und spielen mit Blumen, ehe das Geschehen eine herzzerreißend-tragische Wendung nimmt. Das von Dr. Frankenstein aus Leichenteilen zusammengesetzte und durch Elektrizität animierte Wesen erfährt Menschlichkeit und entdeckt sie in sich, aber es findet dennoch keinen Platz in unserer Welt. Dieses zeitlose Thema von Mary Shelleys bereits vielfach verfilmtem Schauerroman, den Whale so unvergesslich auf die Leinwand gebracht hat, inspirierte den Autor, Schauspieler und „Underworld“-Co-Schöpfer Kevin Grevioux zu einer Art Fortsetzung der Geschichte in Form einer Graphic Novel. In ihr überlebt Frankenteins Kreatur, wird mehrere hundert Jahre alt und gerät zwischen die Fronten einer epischen Schlacht zwischen Gut und Böse - die Frage nach dem Menschlichen und was es ausmacht bleibt dabei ein zentrales Motiv. In der Filmversion des Comics (die Bearbeitung hat Grevioux gemeinsam mit Regisseur Stuart Beattie vorgenommen) wird der thematische Reichtum des Stoffes nun jedoch zugunsten einer Effektorgie in 3D vernachlässigt. Die ist zwar immerhin kurzweilig und visuell imponierend, aber die filmische Erzählung von der Suche nach einer Seele bleibt am Ende selbst seelenlos.
Vor 200 Jahren hat das namenlose Monster (Aaron Eckhart) die Flucht vor seinem Schöpfer Dr. Victor Frankenstein (Aden Young) ergriffen, schließlich ist der Wissenschaftler bei der Verfolgung in der Eiswüste ums Leben gekommen. Nun wird das seither auf der Erde herumirrende Wesen von vier Dämonen angegriffen, die im Dienste des finsteren Naberius (Bill Nighy) stehen. Der will die Menschheit mit Hilfe einer Armee reanimierter Leichen unterjochen, braucht für deren erfolgreiche Wiederbelebung aber die Aufzeichnungen des Dr. Frankenstein oder wenigstens dessen Geschöpf als Studienobjekt. Die Kräfte des Guten machen Naberius jedoch einen Strich durch die Rettung und retten das Monster. Bei den Gargoyles, himmlischen Kräften, die sich im Verborgenen für das Wohl der Menschheit einsetzen und sie vor Naberius‘ 666 Dämonen beschützen, kommt das verwirrte Wesen wieder zu Kräften. Königin Leonore (Miranda Otto) sieht etwas Menschliches in ihm und gibt ihm den Namen Adam. Der will mit dem Kampf zwischen Gut und Böse nichts zu tun haben, aber als Naberius der Realisierung seines Plans mit Hilfe der Wissenschaftlerin Dr. Terra Wade (Yvonne Strahovski) immer näherkommt, kann sich Adam nicht mehr länger heraushalten.
Stuart Beattie und Kevin Grevioux erschaffen für ihre Fortschreibung des Frankenstein-Stoffes eine spektakuläre Fantasy-Welt und bieten von der monumentalen, mit Kerzenlicht erleuchteten Kathedralen-Heimstatt der Gargoyles bis zur äußeren Erscheinung dieser majestätischen Menschheitsbeschützer und ihrer furchteinflößenden höllischen Widersacher jede Menge beeindruckender Schauwerte. Die Wesen, die hier im epischen Widerstreit liegen, besitzen zudem die Fähigkeit, sich zu verwandeln („Buffy“ lässt grüßen), was den Effektspezialisten ausgiebig Gelegenheit gibt, sich auszuzeichnen. Der Look des Films ist eine reizvolle Kombination aus Neo-Noir-Düsternis, High-Tech-Designs und Gothic-Chic mit einer Vorliebe für das Blau der Nacht, die sicher nicht ganz zufällig an das „Underworld“-Universum erinnert. Auch in der ebenfalls von Lakeshore produzierten Erfolgsreihe mit Kate Beckinsale (und Bill Nighy) bekriegen sich übernatürliche Mächte auf Erden, ohne dass deren menschliche Bewohner davon etwas ahnen – nur sind es diesmal keine Vampire und Lykaner, sondern Gargoyles und Dämonen. Die Menschen, um deren Wohl und Wehe hier so erbittert gerungen wird, kommen allerdings so gut wie gar nicht vor. Und dadurch fehlt dem zentralen Thema der Selbstfindung und endgültigen Menschwerdung von Frankensteins Kreatur – sie wird nicht umsonst auf den Namen Adam getauft – die erzählerische Unterfütterung.
Die einzige wichtige Menschenfigur ist die von Yvonne Strahovski („Chuck“, „Dexter“) gespielte Wissenschaftlerin, deren Stellvertreter-Funktion schon in ihrem Namen Terra (= Erde) deutlich wird. Sie leitet im Auftrag von Dr. Wessex (das ist die menschliche Tarn-Identität des Ober-Dämonen Naberius) die Reanimations-Experimente und wird von den Ereignissen schnell überrollt. Für moralische Fragen bleibt da abgesehen von Worthülsen keine Zeit, die existenzielle Dimension des Ringens um die Seelen der Menschen zeigt sich nur einmal in einer kurzen Szene in einer Halle voller präparierter Leichen, die wiederbelebt werden und als Naberius' Monster-Armee die Menschheit unterwerfen sollen. Nun muss ein Genrefilm wie dieser sicher nicht unbedingt philosophische Tiefe besitzen, aber hier ist noch nicht einmal etwas von der Faszination und der Verführungskraft des Bösen spürbar – und das trotz der Besetzung der Rolle des teuflischen Schurken mit einem Könner wie Bill Nighy („Alles eine Frage der Zeit“). Nach einer vielversprechenden Einführung und einigen gelungenen Momenten zwischen süffisanter Belustigung und arroganter Ungeduld fällt die Fassade des scheinbar Übermächtigen auf überaus enttäuschende Weise zusammen.
Die breitgefächerten erzählerischen Erfahrungen, die Stuart Beattie als einer der Drehbuchautoren von Filmen wie dem ersten „Fluch der Karibik“ und „Collateral“ gesammelt hat, hinterlassen in „I, Frankenstein“ wenig Spuren. Ausstattung, Effekte, Beleuchtung, Sound und Action – alles das ist hier wichtiger als die Handlung und ihre Themen. So ist Adam mit seiner Langlebigkeit, seiner Regenerationsfähigkeit, seiner Kraft, seiner Schnelligkeit und seinem starken Willen weniger ein verlorenes Wesen, das seine Seele entdeckt, als ein übermenschlicher Außenseiter mit Superheldenpotenzial. Für ein angebliches Monster ist Aaron Eckhart, der hier nicht halb so furchteinflößend aussieht wie als Two-Face in „The Dark Knight“, schon äußerlich viel zu attraktiv und auch sonst kommen seine dunklen Seiten sehr kurz – von einer tiefgreifenden Wandlung kann jedenfalls keine Rede sein. In Ermangelung anderer schauspielerischer Herausforderungen stürzt der Star sich mit Eifer in die ausgedehnten Kampfsequenzen: Sein ausgiebiges Training mit dem Kali-Stock macht sich bezahlt und so erleben wir schließlich Frankenstein als Action-Helden.
Fazit: Stuart Beatties „I, Frankenstein“ ist eine visuell ansprechende und temporeich inszenierte Fantasy-Variation des berühmten Stoffes, wobei der mythologische Gehalt allerdings deutlich zu kurz kommt.