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    Sweetgrass
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Sweetgrass
    Von Christian Horn

    Das Forum der Berlinale ist immer wieder für Überraschungen gut: In seinem Programm finden sich theoretische Experimente neben knalligem Mainstream und subversivem Trash aus aller Welt. Auch 2009 war dort Ungewöhnliches zu sehen, einer dieser etwas anderen Filme kommt nun in die Kinos: „Sweetgrass“ von Lucien Castaing-Taylor und Ilisa Barbash ist ein elegischer Dokumentarfilm aus den USA, ein Porträt von Schafen, Hirten und der Natur, durch die sie ziehen. Ein Film, der im besten Sinne sperrig und unzugänglich, poetisch und erfrischend langsam ist.

    In den Bergen Montanas verbringen die letzten Schafhirten mit ihren riesigen Herden die Sommermonate auf entlegenen Wiesen. Jahr für Jahr legen die norwegisch- und irisch-stämmigen Männer 150 Meilen zurück, allein mit den Tieren, umgeben von Wäldern und Felsen, fernab der Zivilisation.

    Insgesamt neun Filme haben Castaing-Taylor und Barbash seit 2001 mit diesen Männern gedreht. Gedacht waren die Produktionen zunächst für die Ausstellung in Galerien, doch dann entschieden sich die beiden Künstler aus dem visuell eindrucksvollen Material einen Dokumentarfilm fürs Kino zu erstellen. In „Sweetgrass“ spielen weder die Schafe, noch ihre Hirten die Hauptrolle, denn „während der Arbeit am Schnitt zeigte es sich [...], dass sich Tiere und Menschen zu unserer großen Überraschung zu verwandeln und vermischen schienen“ (Barbash). Die wie Cowboys wirkenden Hirten sind in den hochgradig ästhetischen Bildern mitunter gar nicht oder nur ganz weit im Hintergrund zu sehen. Einzig die Natur ist immer präsent.

    „Sweetgrass“ ist nicht einfach ein Film über Schafhirten und deren Leben oder über die Tiere. Viel entscheidender ist die Inszenierungsweise, durch die der Stoff transzendiert wird und die dem Film große Offenheit verleiht. Ohne didaktischen Off-Kommentar und klassische Interviewsituationen, ohne Musik und ausgewalzte Dramatik nehmen die beiden Filmemacher am Leben ihrer Protagonisten (Mensch, Tier, Natur) teil. Lange Plansequenzen, die trotz ihrer konsequenten Anwendung nie langweilig werden, geben dem Betrachter die Möglichkeit, sich in die Situation einzufinden und die Gedanken schweifen zu lassen. Das Blöken der Schafe, das Rauschen des Windes und das Bellen der Hunde dominieren die Tonspur, die Weite der Landschaft, die Männer und deren Tiere das Bild – „Sweetgrass“ ist ein überaus meditativer Dokumentarfilm. Nie geben die Regisseure etwa durch eine erzählende Montage eine bestimmte Lesart der Bilder vor, und zu keiner Zeit liefern sie Antworten. Sie stellen nicht einmal offene oder einfache Fragen: Im Grunde handelt „Sweetgras“ von allem und nichts.

    Wer sich nicht furchtbar langweilen will, muss sich einlassen auf diesen Film, der seine Wirkung am besten auf der großen Leinwand und in der Dunkelheit des Kinosaals entfaltet. Dort entwickelt „Sweetgrass“ einen ganz eigenartigen Sog und entrückt den bereitwilligen Zuschauer für zwei Stunden von der Welt.

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