Kaum zu glauben und doch wahr: Auch Menschen jenseits der 60 haben Sex. Lust und Liebe im Alter werden im Kino seit jeher nur durchs Fernglas beobachtet. Die einzigen Ausnahmen waren da zuletzt Andreas Dresens Wolke Neun und der augenzwinkernde Japan-Import Tasogare - Liebestoll im Abendrot. Doch solange verlässliche Wege zur Unsterblichkeit noch Utopie sind, bleibt auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Alter und Libido aktuell. Mit „Bis später, Max!“ wirft Theater-Regisseur Jan Schütte („SuperTex“) einen seltenen Blicke auf das schambehaftete Thema. Sein sensibler Trip in die Seele eines alternden Lebemannes verknüpft drei Kurzgeschichten des 1991 verstorbenen Nobelpreisträgers Isaac Bashevis Singer, der als einer der Hauptvertreter jüdischer Exil-Literatur gilt. Mit lakonischem Humor greift Schütte dessen Motiv der ständigen Rast- und Bindungslosigkeit auf und verhandelt nebenher geschickt literarische Mechanismen. „Bis später, Max!“ ist eine nachdenkliche Beziehungsstudie mit einem Hauch Woody Allen, der leider ein klar erkennbares Ziel fehlt. Otto Tausig als Singer-Alter-Ego Max ist dabei aber so liebenswürdig, dass sein melancholisches Mäandern trotzdem bis zum Abspann interessant bleibt.
Der New Yorker Schriftsteller Max Kohen (Otto Tausig) ist alt geworden. Seine Libido aber ist trotz Prostata-Problemen hellwach, sehr zum Missfallen seiner eifersüchtigen Langzeitfreundin Reisel (Rhea Perlman). Max will nicht bemuttert werden, der Rastlose sehnt sich vielmehr nach weiblicher Aufmerksamkeit jenseits sorgsam gepackter Taschen. Die braucht er eines Tages dennoch, als er zu einer Lesung ins ferne New England eingeladen wird. Unterwegs verarbeitet er Gedanken und Erlebnisse mit kleinen Kurzgeschichten. An Frauen mangelt es seinen Tagträumen dabei keineswegs. Sein lyrisches Ich trifft auf eine lüsterne Hoteldame (Elizabeth Peña, Goal II), eine schniecke Urlaubsbekanntschaft und die Witwe Ethel (Tovah Feldshuh), die ihm gleich beim ersten Date hofiert. Doch selbst seine Phantasien enden stets bindungs- und glücklos...
„Bis später, Max!“ ist eine Literaturverfilmung der etwas anderen Art. Max selber ist das frei erfundene Alter Ego von Isaac Bashevis Singer, während seine Kurzgeschichten („The Briefcase“, „Alone“ und „Old Love“) tatsächlich aus der Feder des Autors stammen. Durch die flüssigen Übergänge zwischen Film-im-Film-Prosa und eigentlichem Plot verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Etwa wenn Max in einem Café sitzt und sich vorstellt, wie die junge Dame am Eingang wohl im pinken statt im blauen Dress aussähe. Und voilà, schon wechselt es die Farbe. Und als Max die Nacht mit einer attraktiven Ex-Studentin (Barbara Hershey, Die letzte Versuchung Christi) verbringt, wird nie endgültig klar, ob das Schäferstündchen nun real oder fiktiv ist. Schmerzhaft echt ist dann wiederum der nachträgliche Ego-Dämpfer: Gerne hätte die Studentin eine Thesis über Kohens Werk verfasst, doch dummerweise gab es nicht ausreichend Sekundärliteratur.
Max’ fragiles Ego ist der Dreh- und Angelpunkt des Films. Wie sein Vorbild Singer ist er ein Holocaust-Flüchtling, der nie eine echte neue Heimat finden konnte. Schweißgebadet schreckt er aus Albträumen zwischen Gestapo und Impotenz hoch. Die Furcht vor räumlicher und sexueller Restriktion macht ihn bindungsunfähig. Wie ein verdurstender Seefahrer inmitten endloser Wassermassen irrt er auf der vergeblichen Suche nach emotionaler Nähe durch seinen Lebensabend. Max’ auch mit 80 Jahren noch hochgradig aktive Libido, ja seine Sehnsucht nach weiblicher Anerkennung überhaupt, ist schlicht und ergreifend das letztverbliebene Stück Treibholz, an das er sich noch klammert. Die Angst vor dem Verblassen und der damit einhergehenden Einsamkeit ist stets präsent und hält so selbst in seine hoffnungsvollsten Prosa-Episoden Einzug.
Ohne irgendwie geartete Eigeninitiative werfen sich ihm die Frauen seiner Kurzgeschichten an den Hals. Regelrecht stürmisch ist die Hotelmaid in einer der Episoden, die vor einem Unwetter auf sein Zimmer flieht und in seinem Bett Zuflucht sucht. Was vorerst lust- und verheißungsvoll klingt, erweist sich schnell als Tragödie. Die Frau ist körperbehindert, ihr Selbstbewusstsein liegt brach. Kaum hoffnungsvoller wird es später mit der Witwe Ethel. Voller Euphorie ergießt sie sich über Seelenverwandschaften und neue Beziehungsaussichten, bis ihr blitzartig der Glauben daran abhanden kommt und sie den Hotelbalkon als Sprungbrett nutzt. In den Frauenfiguren spiegelt sich Max’ Paradoxie, der Versuch, die eigene Existenz über leidenschaftliche Verhältnisse zu bestätigen, während echte Nähe ein zu großes Wagnis bleibt.
Damit siedelt Schütte „Bis später, Max!“ zumindest thematisch in der Nähe Woody Allens an. Während dessen Abhandlungen zur hysterischen Bindungsunfähigkeit mit ihren pointierten Dialogen und kauzigen Figuren aber immer auch Lebenslust vermitteln, gehen „Bis später, Max!“ diese Qualitäten leider ab. Lust und Liebe im Alter als rastloses Kompensationstreiben – das kann nicht die ganze Wahrheit sein. Dass Schüttes dennoch sehr präzise und sensible Beziehungsstudie ihr Publikum nicht ratlos sitzen lässt, ist Otto Tausig zu verdanken. Der österreichische Theatermime versprüht einen so liebenswürdigen Spitzbuben-Charme, dass Sympathien einfach unausweichlich sind.