Mein Konto
    Crazy Heart
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Crazy Heart
    Von Carsten Baumgardt

    Die Geschichte eines abgehalfterten Musikers, der auf seine alten Tage taumelnd durch die Provinz tingelt, ist nicht gerade cineastisches Neuland. Warum Scott Coopers Regiedebüt „Crazy Heart" aber dennoch unbedingt sehenswert ist, lässt sich problemlos ausmachen: Jeff Bridges liefert derart unangestrengt eine meisterliche Performance, dass die Academy nur schwerlich an ihm vorbei kam. Es könnte sich gar der Gedanke aufdrängen, dass „Crazy Heart" nur dazu diente, Bridges nach vier Nominierungen endlich seinen ersten Oscar zuzuschanzen. Diese Simplifizierung wäre aber nicht ganz fair, schließlich hat die Verfilmung von Thomas Cobbs gleichnamigem Roman noch wesentlich mehr zu bieten und überzeugt auch abseits von Bridges‘ genialer One-Man-Show als stimmiges Musiker-Drama.

    Country- und Western-Sänger Bad Blake (Jeff Bridges) ist in die Jahre gekommen. Mit 57 zählt der einstige Star zum alten Eisen und tourt in der amerikanischen Provinz durch Bowlinghallen und Bars. Er zehrt von seinem früheren Ruhm und sein Treibstoff ist schon längst nicht mehr die Liebe zur Musik, sondern der Alkohol, nach dessen Genuss er seine Songs volltrunken runter leiert. Das Geld ist stets knapp. Erst als sein Manager (James Keane) Blake als Vorsänger für seinen einstigen Protegé, den mittlerweile zum Superstar aufgestiegenen Tommy Sweet (Colin Farrell), unterbringt, scheint es wieder ein bisschen aufwärts zu gehen. Auch privat läuft es für den notorischen Säufer besser. Er verliebt sich in die rund 20 Jahre jüngere Journalistin Jean (Maggie Gyllenhaal). Doch die Mutter des vierjährigen Buddy (Jack Nation) zögert erst, sich mit dem vierfach geschiedenen Altstar einzulassen. Aber obwohl sie weiß, dass sie in ihr persönliches Verderben rennt, nähert sie sich Blake trotzdem an...

    Selten war eine Charaktereinführung so prägnant wie in den ersten Minuten von „Crazy Heart": Antiheld Bad Blake entsteigt seinem rostigen Pick-up, in der Hand hält er einen mit Urin gefüllten Kanister, den er anschließend mit einer Kippe im Mundwinkel auf dem staubigen Boden entleert. Nach einem ordentlichen Cowboyfrühstück (Zigarette, Bier und Whiskey) an der Bar irrlichtert Blake durch den Tag, um am Abend sturzbesoffen auf der Bühne seine alten Hits vor ein paar Leuten runterzunudeln – zwischendurch wird schnell mal in einen Abfalleimer gekotzt und zur Krönung nachts noch ein Groupie im Rentenalter aufgerissen. Allein dieser Auftakt ist schon grandios. Und obwohl Bad Blakes Schicksal zumindest auf dem Papier zutiefst traurig anmutet, schwingt in Coopers Inszenierung anfangs doch der Hauch eines Feel-Good-Movies mit, weil Blakes Absturz neben aller Bitternis auch etwas Amüsantes hat – eben weil Cooper die sattsam bekannten Klischees mit leichter Hand und einem Augenzwinkern serviert.

    Starporträt

    Jeff Bridges

    Der Star aus "Die letzte Vorstellung", "The Big Lebowski" und "Iron Man".

    Im Gegensatz zu vergleichbaren Filmen wie den Musiker-Biopics Ray und Walk The Line basiert „Crazy Heart" nicht direkt auf dem Leben einer realen Person – selbst wenn der Film gewisse Anleihen bei der Country-Legende Hank Williams, der in seinen letzten Jahren ebenfalls dem Alkohol und Drogen verfiel, nimmt. Nicht umsonst ist das Drama nach einem B-Seiten-Song von Williams benannt. Da „Crazy Heart" nicht in das Korsett einer Biographie gezwängt wird, ist Regisseur Cooper nicht genötigt, im Schnelldurchgang Stationen im Leben seines Protagonisten abzuspulen, sondern kann sich voll und ganz auf die Charakterentwicklung konzentrieren. Das verleiht „Crazy Heart" Homogenität und Geschlossenheit. Bezeichnend ist auch die Beiläufigkeit, mit der Cooper Bad Blakes große zweite (Über-)Lebenschance in Szene setzt. Der Regisseur verzichtet auf Effekthascherei und lässt den Film einfach fließen. Das bringt fast zwangsläufig ein paar kleine Längen mit sich, die aber zu vernachlässigen sind.

    Das Drehbuch von Scott Cooper bedient sich zwar durchaus bekannten Versatzstücken, aber der Debütfilm bleibt dennoch immer glaubhaft und stimmig. Mehr noch: „Crazy Heart" baut eine atmosphärische Dichte auf, die aus einem kleinen unaufgeregten Film eben noch etwas mehr macht. Vielleicht hat er nicht ganz die Brillanz eines The Wrestler, aber charakterlich schlägt das Musiker-Drama in eine ganz ähnliche Richtung. Und genauso wie das Drama von Darren Aronofsky wird auch Coopers Film von einem überragenden Hauptdarsteller befeuert.

    Da Jeff Bridges‘ Auftritt als Der Dude in dem Coen-Kultfilm The Big Lebowski nur schwer zu toppen ist und auch seine vier Oscarnominierungen (Rufmord, „Starman", „Die Letzten beißen die Hunde", Die letzte Vorstellung) oder seine Performance in König der Fischer kein unwesentliches Gewicht haben, fällt es nicht einfach, gleich von der besten Karriereleistungen des Kaliforniers zu sprechen, aber es kommt dieser zumindest schon sehr nahe. Bridges gelingt es, das Publikum in seinen Bann zu ziehen, obwohl das Bühnentier Bad Blake unzweifelhaft ein Wrack ist. Aber er verdient sich trotzdem Mitgefühl und Hoffnung auf Besserung. Bridges bleibt jederzeit geerdet, überzieht seinen Ritter von trauriger Gestalt nie. Er übernahm übrigens wie auch Colin Farrell den Gesangspart im Film selbst. Die perfekt passenden Originalsongs stammen aus der Feder des Grammy-Gewinners T Bone Burnett und des 2009 verstorbenen texanischen Songwriters Stephen Bruton. Diese Songs nehmen im Film die Funktion einer mitschwingenden Seele ein.

    Maggie Gyllenhaal (The Dark Knight, Schräger als Fiktion, Mona Lisas Lächeln) steht zwar im Schatten des großartigen Jeff Bridges, kann sich aber mit eigenen Akzenten freispielen. Nur einen Haken hat ihre Beziehung zu Bad Blake: Warum sich Jean in den abgetakelten alkoholkranken Musiker verliebt, ist nicht wirklich nachvollziehbar („It's like living with a rattlesnake"), aber das muss es auch nicht. Manchmal lässt sich Liebe eben einfach nicht erklären. Die kleineren Nebenrollen sind ebenfalls ausnehmend gut besetzt. Robert Duvall (Der Pate, Open Range), der auch mitproduzierte, überzeugt als Barkeeper mit leisen Momenten. Colin Farrell (Brügge sehen... und sterben?, Miami Vice, Alexander) gefällt desweiteren als Toby-Keith-Version eines Country-Stars. Mit seinem Superstar-Status bildet der Country-Crockett den exakten Gegenentwurf zu seinem ehemaligen Mentor Blake.

    Fazit: „Crazy Heart" ist ein scharf gezeichnetes, atmosphärisch dichtes Porträt eines Gescheiterten, das durch einen überragenden Jeff Bridges in vorderster Front getragen und durch seine gut aufgelegten Zuspieler perfekt ergänzt wird.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top