Es schmerzt immer wieder - doch die Kürzung eherner Literatur ist unvermeidlich, soll beim Transfer auf die große Leindwand ein dramaturgisch schlüssiges Äquivalent gelingen. Ja, wir vermissen Tom Bombadil, trotzdem besteht Peter Jacksons Der Herr der Ringe-Trilogie als kongeniale Tolkien-Interpretation. Ja, Jean-Jacques Annauds Der Name der Rose schlägt einen weiten Bogen um all die historischen Exkurse Ecos, wohl aber bleibt der spannende Krimi-Kern intakt. Wenn eine Vorlage jedoch kaum 200 Seiten fasst, wenn ihre rasiermesserscharfen Dialoge nur darauf warten, potenten Darstellern in den Mund gelegt zu werden, dann sind umfangreiche Kürzungen nicht länger plausibel. Auch nicht mit dem fadenscheinigen Modernisierungs-Argument, auf das Oliver Parker bei der Adaption des Dandy-Prunkstücks „Das Bildnis des Dorian Gray" von 1891 setzt. Das überrascht umso mehr, als dass der Brite mit Ernst sein ist alles bereits eine saubere und hochkarätig besetzte Oscar-Wilde-Verfilmung vorgelegt hat. „Das Bildnis des Dorian Gray" ist oberflächlicher und schauderhaft reaktionärer Gothic-Horror, der die Narzissmus-Parabel des Originals bloß noch andeutet, mit einer spielfreudigen Nebendarsteller-Riege und schicker Ausstattung aber immerhin seicht unterhält.
Als Dorian Gray (Ben Barnes, Die Chroniken von Narnia: Prinz Kaspian von Narnia) die Bühne der Londoner Aristokratie betritt, verbirgt sich hinter seinem makellosen Antlitz wenig mehr als ein naiver Jüngling. Die Welt wird ihm zu Füßen liegen, so sein neuer Freund und Mentor Lord Henry Wotton (Colin Firth, A Single Man, Easy Virtue), sollte er Jugend und Schönheit ausspielen, bevor auch er der Grausamkeit des Alters zum Opfer fällt. Bald steht nicht bloß die High Society unter seinem Bann, auch die ärmliche Theater-Aktrice Sybil Vane (Rachel Hurd-Wood, Das Parfum) verliert ihr Herz an Dorian, als sich ihre Blicke erstmals treffen. Der eifersüchtige Maler Basil Hallward (Ben Chaplin, Mein Freund, der Wasserdrache, Stage Beauty) versucht auf seine Weise, sich des Emporkömmlings zu bemächtigen und fertigt ein perfektes Porträt seiner Muse an. Doch das Bild wird dem unter Henrys Ägide zum rücksichtslosen Hedonisten reifenden Dorian zur qualvollen Mahnung der eigenen Vergänglichkeit. In Rage verflucht er das Gemälde, wünscht, es solle an seiner statt altern...
...und die große Macht da draußen, welcher Name ihr auch zufallen mag, hört hin. Fortan zeichnen sich moralischer Verfall und narzisstischer Irrsinn auf dem sorgsam verborgenen Porträt ab, während Dorians Körper zur Fassade einer Bestie wird. Zumindest in der Theorie Oscar Wildes, an deren cineastischer Übersetzung Oliver Parker und Drehbuchautor Toby Finlay scheitern. Die Motive der Figuren werden auf triviale Phrasen heruntergebrochen, was etwa dem Subplot um Sibyl Vane jeden Tiefgang raubt. Entflammt von Henrys Monologen über das Wesen von Kunst und Schönheit - ein Topos, das im Prolog des Romans als Essenz der Erzählung vorweggenommen wird - verliebt sich Dorian nicht in Sibyl, sondern ihre passionierten Shakespeare-Darbietungen. Sie wiederum sieht den Prinzen gekommen, der sie aus den Niederungen des Arbeitermilieus befreien soll. Als Dorian das Mädchen hinter den Bühnen-Alter-Egos erkennt, wendet er sich kühl von ihr ab - und treibt sie so in den verzweifelten Suizid. Finlay hingegen interpretiert die bissige Perversion einer klassischen Liebesgeschichte als Teenie-Romanze, die an Sibyls verfrühtem Kinderwunsch scheitert.
Was über weite Strecken noch als Reduktion der Vorlage durchgeht, entgleist bei der Visualisierung der mephistophelischen Einflüsterungen Henrys in ärgerlichen Reaktionismus. Nicht länger konstituiert sich Dorians Sündenfall aus einer Mentalität zwischen zynischer Klarsicht auf die leeren Riten der High Society einerseits, und der Missachtung seiner Nächsten andererseits. Hier sind es Sex, Alkohol und Opium, die das Bildnis des Dorian Gray zur Teufelsfratze verzerren. Im Universum einer Stephenie Meyer (Autorin der „Bis(s)"-Romane) mag der Besuch im nebelgetränkten Bordell samt exotischer Schönheiten himmelschreiend anrüchig sein, Wilde selbst hätte über Parkers Inszenierung eines pubertären Befreiungsschlags wohl bloß mit den Achseln gezuckt. Spätestens, wenn die omnipräsente, aber stets latent gehaltene Homoerotik des Romans in unfreiwillig komisches Blowjob-Geplänkel übersetzt wird, erstickt der liberale Humor des homosexuellen Wilde im erzkonservativen Gestus einer Neuinterpretation für die Generation Twilight.
Als dramaturgisch schlüssige Anpassung darf immerhin das Finale gelten, das Parker von der Vorlage abweichend als Showdown zwischen Dorian und einem gealterten Henry zuspitzt und mit dem er Colin Firths gehässiger Darbietung weitere Spielzeit einräumt. Schade, dass Firth eines Großteils der schlangenzüngigen Dialogzeilen beraubt wurde, über die Wilde seine Figur schillern ließ. Im Schlussakt glänzt eine bezaubernde Rebecca Hall (Vicky Cristiana Barcelona) als Wotton-Tochter, deren Zuneigung dem verdorbenen Dorian zur Katharsis verhilft. Ben Barnes überzeugt mehr als Blickfang für das weibliche Publikum, die komplexe Wandlung Dorians bleibt oft bloße Behauptung. Das ist symptomatisch für die Konzeption einer Literaturverfilmung, die mit ihren schönen Kostümen und der gelungenen Innenausstattung konsequent Style über Substanz ansiedelt. Parkers Adaption ist leicht konsumierbares Gothic-Kino, Wilde-Liebhaber werden bei Albert Lewins wesentlich kraftvollerem „The Picture Of Dorian Gray (1945)" deutlich besser bedient.