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    Michael Collins
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Michael Collins
    Von Robert Cherkowski

    Bevor sich Liam Neeson mit spaßigen Kloppern wie „96 Hours" oder „Unknown Identity" als rustikaler Actionheld neu erfand, war er lange Jahre einer der angesagtesten Darsteller für historische Stoffe. Regisseure vertrauten auf die historische Anpassungsfähigkeit des markant-maskulinen Hünen – für Roland Joffé warf er sich ins Missionarsgewand („The Mission"); als Oskar Schindler gab er für Steven Spielberg in „Schindlers Liste" den heldenhaften Industriellen im dritten Reich; in Martin Scorseses „Gangs of New York" trieb er Ende des 19. Jahrhunderts als schlagkräftiger Priester sein rabiates Unwesen. Kaum verwunderlich, dass der irische Edelmime Neil Jordans erste Wahl für die Besetzung des IRA-Gründers „Michael Collins" war – für die einen der Begründer einer mörderischen Terrororganisationen, für andere ein beherzter Freiheitskämpfer und für wieder andere ein Wendehals: Collins' Leben ist der perfekte Stoff für ein packendes Biopic im ganz großen Stil. Und tatsächlich: „Michael Collins" ist ein wuchtiges, aber auch etwas substanzloses Historienepos mit einem über Gebühr heroisierten Titelhelden.

    Nach der blutigen Niederschlagung der Osteraufstände von 1916 durch die britischen Besatzungstruppen wird Michael Collins (Liam Neeson), ein junger Kämpfer der „irisch republikanischen Bruderschaft" (IRB), für ein Jahr interniert. Nach seiner Freilassung denkt Collins jedoch nicht daran, Politik und Freiheitskampf an den Nagel zu hängen. Nach einer kurzen Zeit des Wundenleckens beginnt er damit, die unterjochte Bevölkerung von Stadt und Land im Untergrundkampf zu schulen, die britischen Besatzer mit brutalen Guerilla-Aktionen mit dem Rücken an die Wand zu drängen und zu Verhandlungen zu zwingen. Als er sich im Rahmen der Anglo-Irischen Vertäge, die den Grundstein für den Freistaat Irland bildeten, auf Kompromisse zugunsten der Briten einlässt, bricht er mit seinem einstigen Freund und Waffenbruder Éamon de Valera (Alan Rickman). Aus einem vereinten Kampf gegen Besatzer wird ein erbitterter Bürgerkrieg...

    Die für irische Verhältnisse hochbudgetierte Prestige-Produktion „Michael Collins" sollte Neil Jordans großer Durchbruch werden. Bis dato hatte sich der irische Regisseur vor allem als Schöpfer kleiner und vertrackter Kinomärchen behauptet, die mit geringen Mitteln maximal faszinierten. Mit Kleinoden wie der ungeschliffenen, rohen Thriller-Romanze „Mona Lisa", dem schräg-verschrobenen IRA-Drama „The Crying Game" oder der Horrormär „Die Zeit der Wölfe" hatte sich Jordan einen Ruf als irischer Roman Polanski erkämpft, der auch durch verkorkste US-Stippvisiten wie dem grottigen Remake von „Wir sind keine Engel" mit Robert De Niro und Sean Penn keinen Schaden nahm. Mit einem historischen Epos im Stile David Leans wollte er sich in die erste Liga großer Regisseure vorkämpfen, wie es einige Jahre zuvor dem einstigen Popcorn-Auteur Steven Spielberg mit „Schindlers Liste" gelungen war: ergreifendes Kino über eine umstrittene historische Figur samt Schlachtengetümmel, feurigen Reden auf Barrikaden, großem Drama und noch größeren Gefühlen – und natürlich Liam Neeson.

    Aber abgesehen davon, dass alles besonders groß, toll und hochkarätig sein sollte, hat Jordan keinen Ansatz gefunden, sich dem Phänomen Collins zu nähern. Auch wenn hier in jeder Beziehung geklotzt statt gekleckert wird, macht „Michael Collins" einen seltsam unfertigen und beizeiten planlosen Eindruck. Die Darsteller trifft dabei keine Schuld, schon gar nicht Neeson, der Collins als physisch einnehmenden Berserker mit Gefühl gibt. So hart er auch handelt und so rabiat seine Befehle auch sein mögen – nie scheint dieser Collins ein Mann des Krieges zu sein, stets eher ein Romantiker, der Gewalt als notwendiges Übel zu begreifen scheint und darüber verbittert. Ob Neesons wohlgesonnene Interpretation eines Kämpfers wider Willen nun historisch haltbar ist, soll besser von Historikern ausdiskutiert werden. Für eine klassische Historienfilm-Dramaturgie ist seine Larger-than-Life-Deutung freilich pures Gold. Dem kraftmeiernden Neeson steht ein als Éamon de Valera nicht minder faszinierender, jedoch entschieden subtiler aufspielender Alan Rickmann gegenüber: Realo gegen Fundi.

    Während Collins die grausigen Konsequenzen des bewaffneten Kampfes aus nächster Nähe kennt und darüber zum kompromissbereiten Danton wird, steht ihm mit de Valera ein Robespierre (also ein Ideologe wie aus dem Bilderbuch) gegenüber. Rickmann spielt seine Figur nicht als zynischen Schreibtischtäter, sondern als von Gram gezeichneten Mann, der das Unglück kriegerischer Konflikte besorgt zu Kenntnis nimmt, jedoch von der Notwendigkeit seiner Methoden überzeugt ist. Auch wenn sie kaum gemeinsame Szenen bestreiten, drängen beide mit ihrem Konflikt den Rest des Ensembles völlig an den Bildrand. Weder Aidan Quinn als Collins Weggefährte und Sidekick Harry Boland, noch Jordans Stammschauspieler Stephen Rea bekommen die nötige Leinwandzeit, um sich wirklich hervorzuspielen. Das größte Ärgernis bleibt jedoch Julia Roberts, die als Collins Love Interest Kitty Kiernan eine ihrer lustlosesten Performances überhaupt abliefert. Ihr Zusammenspiel mit Neeson wirkt ermüdend keusch und darüber schlichtweg uninteressant. Hier wurde wohl auf den amerikanischen Markt geschielt – Neeson, Rickman und ein Haufen irischer Charaktermimen, das war den Studiobossen zu knapp kalkuliert. Gebracht hat es nichts, trotz Roberts als Zugpferd spielte „Michael Collins" am US-Box-Office nicht einmal die Hälfte seines 25-Millionen-Dollar-Budgets wieder ein.

    Als dialoglastiges Geschichtskino ist Jordans Biopic derweil durchaus unterhaltsam, wenn auch nicht begeisternd. Zu oft stolzieren die Darsteller durch irisch-vernebelte Kulissen und tragen ihre historisch verbrieften Überzeugungen in etwas abgedroschener Filmsprache vor. Nicht selten meint man dabei noch die Drehbuchseiten rascheln zu hören. Einige der Collins-Reden klingen gar, als wären sie gleich vom Schmierzettel abgepaust, auf dem Mel Gibson ein Jahr zuvor seine pathostriefenden „Braveheart"-Ansprachen niederschrieb. Als Collins' Strategie der Härte aufgeht und sich das Empire endlich zu Gesprächen bereit erklärt, kommt er ganze sieben Minuten zu spät – darauf angesprochen meint er: „Die haben mich und mein Land 700 Jahre warten lassen. Auf sieben Minuten kommt es nicht mehr an". Was als schneidiger Einzeiler gedacht war, wirkt in der Praxis aufgesetzt und albern.

    Jordans Skript ist voll von derart bedeutungsschwangeren Zeilen, die er seine Darsteller im rhythmischen Wechsel mit zahlreichen Schlachten, Hinterhalten und Morden abfeuern lässt. Die wuchtigen Krawall-Szenen können sich dabei sehr wohl sehen lassen. Seinen Höhepunkt findet Jordan in der Inszenierung des „Blutsonntags" von 1920, beginnend mit einer – bewusst an das Finale der „Pate"-Reihe angelehnten – Montage, in der Collins' Henkerskommando eine Reihe britischer Agenten ermorden lässt. Kalt und präzise reiht Jordan hier Mord an Mord und verschweigt zu keinem Zeitpunkt die Kaltblütigkeit der Aktion. Wenige Minuten später fängt er die perverse Reaktion der Besatzer ein, die am helllichten Tage ein Massaker unter den Besuchern eines Fußballspiels anrichten. Wenn Jordans Ambition eines klassisch erzählten Historiendramas in den Hintergrund tritt und er stattdessen einen Teufelskreis gewalttätiger Aktion und Reaktion in all seiner grausamen Absurdität beschreibt, ist sein Film wahrhaft groß, konsequent und von aggressiver Stärke.

    Der Gewaltrausch erinnert – wenn auch nur inhaltlich – an Alan Clarkes Experimental-Gewaltorgie „Elephant". Während Clarkes beißend-böser Film jedoch ein vierzigminütiges Manifest über die Banalität der Gewalt ist, verfällt Jordans IRA-Sause immer wieder in betuliches und formal uninspiriertes Kostümkino, welches letztendlich wenig über Terrorismus und Freiheitskampf aussagt und viele interessante Aspekte unter theatralem Pomp begräbt. Jordan hat es tatsächlich fertig gebracht, einen nahezu unpolitischen Film über ein höchst politisches Thema zu drehen. Jederzeit merkt man seiner Regie den Respekt vor dem Stoff und der Größe der Produktion an, der er sich kaum gewachsen gefühlt haben kann, so sehr, wie er sich mit einer klaren Haltung zum Thema und bis zur Selbstverleugnung mit seiner persönlichen Bildsprache zurückhält. „Michael Collins" bleibt ein solides Period Piece aus bewegten Zeiten, das mit seinen Konsens-Phrasen über Gewalt und Gegengewalt niemandem weh tut, aber so auch keine tiefergehende Beschäftigung mit dem Titelhelden provoziert.

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