Über 20.000 Menschen haben sich auf dem Chiang-Kai-Shek-Gedächtnisplatz in Taiwans Hauptstadt Taipeh versammelt und jubeln frenetisch. Sie feiern weder den Gewinn einer Meisterschaft noch sind sie Besucher eines Open-Air-Rockkonzerts. Diese Menschen haben vielmehr gerade den Auftritt der Berliner Philharmoniker in ihrer Stadt auf großen Leinwänden verfolgt und nun gelten ihre Ovationen dem Dirigenten Simon Rattle und Musikern des Orchesters, die sie vom Balkon aus begrüßen. Die Philharmoniker sind von dieser für sie ungewohnten Begeisterung sichtbar beeindruckt. Eine Euphorie wie sie klassischer Musik und ihren Interpreten hierzulande kaum begegnet. Thomas Grube fängt die außergewöhnliche Hochstimmung in seiner Dokumentation „Trip To Asia“ zwar plastisch ein, der Funke dürfte jedoch kaum auf das Kinopublikum des Orchesterporträts überspringen. Während Grube mit seinem Vorgängerfilm „Rhythm Is It!“, der ein Tanzprojekt der Philharmoniker mit Berliner Schülern dokumentiert, zeigte, dass die sogenannte Hochkultur auch soziale Schichten, die mit ihr sonst kaum in Berührung kommen, erreichen und begeistern kann, überfrachtet er „Trip To Asia“ formal und inhaltlich.
November 2005: Die Berliner Philharmoniker und ihr Chefdirigent Simon Rattle sind für drei Wochen in Asien unterwegs und geben in sechs Städten zwölf Konzerte. In lockerer Folge verbindet Regisseur Grube unter dem Motto „Die Suche nach dem Einklang“ - so der Untertitel des Films - Reiseimpressionen von Skylines, Sehenswürdigkeiten und Straßenszenen mit kurzen Proben- und Konzertausschnitten, dazu zeigt er Freizeitaktivitäten der Musiker. Den Schwerpunkt bilden aber viele kurze Aussagen der Orchestermitglieder und ihres Dirigenten, die Grube in kleine thematische Blöcke einfügt. Als loser dramaturgischer Leitfaden dienen die Sätze von Richard Strauss' sinfonischer Dichtung „Ein Heldenleben“, die als eine Art spiritueller Wegweiser dienen sollen. „Trip To Asia“ ist nicht so sehr eine Reisereportage mit den Stationen Peking, Seoul, Shanghai, Hongkong, Taipeh und Tokio wie vielmehr ein Versuch, das Geheimnis der Harmonie und die Macht der Musik zu ergründen.
„Trip To Asia“ ist zumindest in Teilen ein aufschlussreiches Dokument für all jene, die sich für das Innenleben einer Orchester-Gemeinschaft interessieren. Recht freimütig äußern sich die Musiker über den ständigen Druck, die Spannungen zwischen Einzel- und Gruppeninteressen sowie die Schwierigkeiten, Privat- und Berufsleben unter einen Hut zu bringen. Eingeständnisse, erst nach einigen Gläsern Bier oder nur mit Beruhigungsmitteln abschalten zu können, stehen neben Erinnerungen an Kindheits- und Jugendjahre als Außenseiter. Besonders spannend ist die Situation der jungen Musiker in der Probezeit, leider erfährt man aber nichts Genaues über die internen Regeln und (Macht-)Strukturen. Erst dem Abspann kann entnommen werden, dass eine Betroffene bei der orchesterinternen Abstimmung nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit erhalten hat, um auf Lebenszeit übernommen zu werden. Die Aussagen bleiben grundsätzlich unkommentiert, ein Fragesteller gibt sich nicht zu erkennen. In diesem lockeren Rahmen wirken gerade die grundsätzlichen Äußerungen über die Bedeutung des gemeinsamen Musizierens unbefriedigend.
Die grundlegende fast paradoxe Anforderung einer Vereinigung von über hundert hochsensiblen und ehrgeizigen Persönlichkeiten zu einem homogenen Ganzen kann offenbar in Worten kaum angemessen erfasst werden. Das musikalische Erlebnis wird viel beschworen, findet im Film aber kaum Platz, die eigentliche Arbeit des Orchesters bleibt somit unterbelichtet. Dabei zeigt sich in einer kurzen Sequenz aus der Probenarbeit zu dem erst 1997 entstandenen Werk „Asyla“ des britischen Komponisten Thomas Adès vieles von dem konkret, was sonst nur behauptet wird. Die unterschiedlichen Haltungen der Musiker zu diesem modernen Stück, die spezifischen Herausforderungen des Zusammenspiels und die Rolle und Strategie des Dirigenten werden hier einmal am musikalischen Gegenstand nachvollziehbar. Leider scheint Grube dieser Aspekt weniger zu interessieren. Er multipliziert ungewöhnliche Kameraperspektiven sowie Groß- und Detailaufnahmen, die Schnittfrequenz erreicht über weite Strecken MTV-Dimensionen.
„Trip To Asia“ ist von Anfang an unter Hochspannung. Bereits die Startvorbereitungen des Charterflugzeuges werden durch eine auf Effekt und Rhythmus abgestimmte Montage mit Bedeutung aufgeladen. Der Versuch, das Thema der Suche nach Einklang und Harmonie in den Großaufnahmen asiatischer Passanten, in Bildern von Tempeln und Parkanlagen zu spiegeln und in Bezug zur musikalischen Seite dieses Strebens zu setzen, schlägt fehl. Der ernsthafte Ansatz gerät viel zu häufig in die Nähe esoterischer Prätention. Grube scheint Abwechslung um jeden Preis bieten zu wollen und keinem optisch reizvollen Fundstück seiner vier Kameraleute widerstehen zu können. Zwar ist die Reizüberflutung durchaus kennzeichnend für eine kurze Reise mit vielen Stationen, aber die zunehmende Auflösung konkreter Bezüge lässt den Film ins Beliebige schweifen.
„Trip To Asia“ ist ein Beispiel dafür, dass vielversprechende thematische Ansätze auch für einen guten Dokumentarfilm nicht ausreichen. Regelrecht verblüffend und kennzeichnend für die Probleme der Inszenierung ist Grubes Umgang mit der Musik. Er ignoriert die innere Logik der hier in Ausschnitten präsentierten Werke weitgehend ebenso wie die Dramaturgie der Konzertprogramme. Wenn sich Andacht und Rührung während des Finalsatzes des „Heldenlebens“ auf den Gesichtern der Zuschauer zeigen, ist dies Grubes Versuch die Wirkungsmacht der Musik für Mitwirkende und Publikum zu beglaubigen, ohne sich wirklich auf ihr Werden und ihr Wesen einzulassen. So schreibt er prosaisch den Mythos fort, den er zu ergründen vorgibt und lässt letztlich weder Emotion noch Erkenntnis zu.