Mit dem Schlagwort Bollywood verbinden sich spontan positive wie negative Assoziationen. Es mischen sich Farbenpracht mit mannigfaltigen musikalisch untermalten Tanzeinlagen, viel Pathos mit einer seichten Liebesgeschichte, die immer dem gleichen Schema folgt. Der indische Regisseur Ashutosh Gowariker, der mit „Jodhaa Akbar“ seinen fünften Spielfilm vorlegt, ist vor allem mit seinen Kinohit „Lagaan – Es war einmal in Indien“ weltweit berühmt geworden. Das jüngste Werk des so genannten „kommerziellen Autorenfilmer“ – Gowariker schreibt im Regelfall die Drehbücher zu seinen Filmen selbst – gilt als sein bislang ehrgeizigstes Projekt. Für Bollywood-Produktionen untypisch, waren mehrere Jahre der Vorbereitungszeit und mehrere Monate Drehzeit vonnöten, um das historische Liebesdrama „Jodhaa Akbar“ umzusetzen. Das sprengt eindeutig den üblichen Rahmen, der es ansonsten zulässt, pro Jahr mehr als 300 Filme zu produzieren. Die Vermutung liegt nahe, dass sich hier ein Trend äußert, der seit den 90er Jahren in Bollywood um sich greift: Die Filme sind mehr und mehr so zugeschnitten, dass sie auch auf dem westlichen Markt erfolgreich Geld in die Kassen spülen können. Legt man an „Jodhaa Akbar“ allerdings dieselben Maßstäbe an, an denen man Filme aus anderen Ländern misst, überzeugt das Ergebnis kaum noch.
In der Zeit um 1550 regiert in Indien der muslimische Großmogul Jalaluddin Mohammad Akbar (Hrithik Roshan). Als noch jugendlicher Herrscher wird Jalaluddin von Mittelsmännern protegiert. Die wichtigen Entscheidungen bei den Schlachten um neue Ländereien werden von engen Vertrauten des kleinen Moguls getroffen. Der Ausdehnung des Machtbereichs kommt dies durchaus zugute. Als Jalaluddin alt genug ist, selbst Entscheidungen zu treffen, übernimmt er das Ruder des Staatsschiffs und lenkt es in völlig neue Bahnen. Die neue Politik steht nun unter dem Zeichen des Appeasements, was den Besiegten zunächst einmal den Kopf sprichwörtlich rettet. Die entscheidend neue Strategie besteht nämlich darin, das Reich nicht durch Krieg, sondern durch eine Zweckehe zu vergrößern. Jalaluddin beschließt, die hinduistische Prinzessin Jodhaa (Aishwarya Rai Bachchan) des angrenzenden Großreiches zu ehelichen, um sein eigenes Reich mit friedlichen Mitteln zu vergrößern. Was mit einem Zweckbündnis beginnt, entwickelt sich zur Leidenschaft. Zusehens verlieben sich Jalaluddin und Jodhaa ineinander. Dies geschieht sehr zum Argwohn der Ziehmutter von Jalaluddhin, Maham Anga (Ila Arun), die sehr eifersüchtig auf die neue Gespielin des Moguls ist. Sie bekleidet selbst ein politisches Amt, das mit einem gewissen Macht- und Einflussbereich verbunden ist. So kann Maham in aller Ruhe an ihren Intrigen gegen Jodhaa spinnen und schafft es letztendlich, Jodhaa von Jalaluddin zu trennen. Als Jalaluddin den Schwindel durchschaut, setzt er alles daran, seine Liebe zurück zu gewinnen…
Die Handlung von „Jodhaa Akbar“ ist in ein historisches Kostüm gewandet. Das Geschehen in die Zeit des 16. Jahrhunderts zu verlagern, forderte von Regisseur Gowariker, sich bis zu einem gewissen Grad an die historischen Fakten zu halten. In der ersten Hälfte des Films geschieht das mit einer erkennbaren Exaktheit. So werden die Schlachten historisch genau verortet. Den Danksagungen zu Beginn ist zu entnehmen, dass wohl gleich mehrere Doktoren bei der Beratung zu Hilfe gezogen wurden. Wenn im zweiten Teil die Liebesgeschichte zwischen Jodhaa und Jalaluddin in den Vordergrund gerät, ist es jedoch vorbei mit den geschichtlichen Fakten. Der Großmogul hatte nicht, wie die Geschichtsbücher wissen, 200 Ehefrauen im Harem, sondern liebt, ordentlich säkularisiert und monogam, genau eine – die hinduistische Prinzessin Jodhaa. Gowariker äußerte sich zu diesem Punkt, dass er letztlich keinen Historienfilm drehen wollte, sondern sein eigentliches Thema die Liebe wäre. Diese zwar schlüssige Erklärung lässt allerdings weiterhin die Frage offen, warum er sich dann zunächst bemüht, historische Ereignisse richtig darzustellen, wenn es darum doch offenbar gar nicht geht. Der indische Zuschauer fühlte sich freilich empfindlich verletzt, um nicht zu sagen betrogen, würde ihm ein Film von nur rund zwei Stunden präsentiert – also die Filmhandlung ohne den historischen Rahmen.
Der zweite kritische Punkt, der mit der Genrefrage verknüpft ist, ist die Konzeption der Charaktere. Insbesondere Jalaluddin nimmt man seine Rolle als Großmogul aus dem 16. Jahrhundert nicht im Geringsten ab. Er erscheint als moderner, aufgeklärter Mann, der sogar die Emanzipation der Frau schon völlig verinnerlicht hat. So wird dem indischen Herrscher, der es durch seine Heiratspolitik ja tatsächlich geschafft hat, die zwei so unterschiedlichen Kulturen des Hinduismus und des Islams in einem Reich zu vereinen, auch noch zugeschrieben, dass er bereits vor 400 Jahren die Gleichstellung der Geschlechter gelebt hat. Sicherlich hätte die Dramaturgie des Bollywoodstreifens nicht mehr funktioniert, wäre man bei der historischen Wahrheit geblieben. Eine Traumfabrik muss eben Träume produzieren – koste es, was es wolle. Nichtsdestotrotz zerstört dieser Schachzug Gowarikers einen Großteil der filmischen Illusion, die zunächst mühsam erarbeitet wird. Die Massenszenen zu Beginn des Films, die Hundertschaften von Infanterie, berittenen Soldaten und Kriegselefanten bei der Schlacht gegeneinander, offenbaren aber den immer noch bestehenden qualitativen Unterschied zwischen Bollywood und den Produktionsbedingungen anderer Traumfabriken. Ein Vergleich zu Monty Pythons „Die Ritter der Kokosnuss“ mag etwas übertrieben sein, doch ist die Wirkung der Schlachtszenen bisweilen unfreiwillig komisch. Dass hierfür mit Sicherheit ein großer Teil Kosten eingesetzt wurden, lässt das Ergebnis nur mäßig in besserem Lichte erscheinen.
Die Ambition des Regisseurs scheitert auch in der minimal besseren zweiten Hälfte – der Liebesgeschichte. Das einfache Konstruktionsprinzip des klassischen indischen Kinos ist deutlich erkennbar, wenngleich die Verstrickungen unter den einzelnen Mitgliedern der verschiedenen Königshäuser komplexer als gewöhnlich sind. Die Ausgangslage seitens des Drehbuchs wäre somit eigentlich viel versprechend gewesen, wird leider durch die Dramaturgie en detail wieder unterlaufen, so dass kaum ein vernünftiger Spannungsbogen im Film zu erkennen ist. Zum einen ist die Entwicklung der Geschichte zu jedem Zeitpunkt glasklar vorhersagbar. Zum anderen entsteht permanent, und bestimmt erneut unbeabsichtigt, Komik. Die Sehgewohnheiten des westlichen Publikums sind hierfür zu einem guten Teil verantwortlich zu machen. Szenen, die besonders dramatische Momente markieren sollen, erscheinen in einer Form, die man nur allzu gut aus den Persiflagen à la „Scary Movie“ kennt. Dabei sieht man einen Zoom, der mit der Großaufnahme eines Gesichts endet. Das wiederum blickt erschrocken mit weit aufgerissenen Augen und aufgeblähten Nasenflügeln in die Kamera. Dazu ertönt im Regelfall ein lauter dissonanter Akkord. Solche Einstellungen werden in „Jodhaa Akbar“ mehrfach abgerufen, wodurch jedes Mal die Spannung auf Null abfällt. Selbst wenn für den indischen Zuschauer diese Pathosformel funktionieren mag, ist doch höchstfraglich, ob in diesem Punkt die globalisierte Version des Bollywoodfilms tatsächlich Sinn macht.
Die obligatorischen musikalischen Elemente, die man in einem Film dieser Art erwarten würde, fallen erstaunlicherweise gemäßigt aus. An den entscheidenden Stellen sind Musik, Tanz und Gesang natürlich unverzichtbar, da sie einen Teil der Handlung selbst übernehmen. Die Musikclip-Sequenzen in „Jodhaa Akbar“ sind nahezu perfekt choreographiert und inszeniert, so dass man meinen könnte, man hätte aus Versehen auf den benachbarten Musikvideosender gezappt. Eine Verwertung dieser Musikvideos, die durchaus nicht ungewöhnlich wäre, funktioniert quasi wie der Verkauf der Merchandising-Artikeln zu Walt-Disney-Filmen. Ganz im Gegensatz zu den umsatzsteigernden Plastikfiguren haftet den Musikvideos, wenn man so will, ein ästhetischer Makel an, der in Bollywood nicht ganz neu ist. Seit Jahrzehnten wird dem fröhlichen Reigen von tanzenden, jubilierenden jungen Indern und Inderinnen ein Zug ins ideologisch-faschistoide attestiert. Und wahrlich erinnern auch die Tänze vor der Führerfigur Jalaluddin Mohammed Akbar entfernt an die Paraden zum Beispiel zu Ehren von Mao Zedong. Dass von diesen Szenen trotzdem, oder gerade deshalb, ein großer Reiz ausgeht, sei unbestritten. Der Soundtrack ganz allgemein enttäuscht besonders durch seine Einfallslosigkeit über die ganze Dauer des Films. Nachdem ein Konglomerat von Leitmotiven etabliert ist, werden diese ohne große Variationsbreite abgespult und erschöpfen sich bereits nach der Hälfte der Spieldauer. Abschließend lässt sich sagen, dass „Jodhaa Akbar“ sich gewiss in seinem Anspruch in vielen Punkten von den billigeren Produktionen aus Indien abhebt. Ob Ashutosh Gowariker damit jedoch an seinen Erfolg mit „Lagaan“ auf internationalem Parket anknüpfen kann, ist recht unwahrscheinlich.