Wie schon so oft in seiner Karriere war Terry Gilliam (12 Monkeys, Fear And Loathing In Las Vegas) auch bei seinem neuen Film „The Imaginarium Of Doctor Parnassus“ kein reibungsloser Produktionsablauf vergönnt. Durch den tragischen Tod von Hauptdarsteller Heath Ledger während der Dreharbeiten stand das Projekt wochenlang vor dem Aus, bis Gilliam den Entschluss fasste, den Film für Ledger doch noch zu Ende zu bringen. Da die Filmhandlung, die in verschiedenen Realitätsebenen angesiedelt ist, sowieso Transformationen für Ledgers Rolle vorsah und der Großteil seiner Szenen in der echten Welt bereits abgedreht waren, wandte sich Gilliam an die mit Ledger befreundeten Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell, die allesamt auf eine Gage verzichteten, in den verbleibenden Szenen für Ledger einsprangen und so die Fertigstellung ermöglichten. In Anbetracht dieser Umstände ist das Resultat durchaus beachtlich, zwar krankt das Fantasy-Drama manchmal an denselben Problemen, mit denen auch Gilliams jüngere Filme Brothers Grimm und Tideland zu kämpfen hatte: Gilliam kann seine überbordende Fantasie nicht immer einer stringenten Erzählung unterordnen, aber dem Gesamtwerk schadet dies nicht zwingend.
Mit seinem Wandertheater zieht der tausendjährige Doktor Parnassus (Christopher Plummer) durch das heutige London und ermöglicht seinen Gästen mit Hilfe eines magischen Spiegels eine Reise durch deren Gedankenwelt. Für seine Unsterblichkeit hat er jedoch einen hohen Preis bezahlt: In einem Pakt mit Mr. Nick (Tom Waits), dem leibhaftigen Teufel, musste er im Gegenzug die Seelen seiner Kinder zusichern, sobald diese ihren 16. Geburtstag erreichen. Als sich dieser Tag bei seiner einzigen Tochter Valentina (Lily Cole) nähert, bietet ihm Mr. Nick eine Wette an: Wenn Parnassus es schafft, innerhalb von drei Tagen fünf Seelen aufzutreiben, darf er Valentina behalten. Die Wette scheint unmöglich zu gewinnen, bis Valentina und Parnassus‘ Gehilfen Anton (Andrew Garfield) und Percy (Verne Troyer) dem mysteriösen Tony (Heath Ledger) das Leben retten. Der schließt sich Parnassus‘ Truppe an und erweist sich im Hinblick auf die Seelenjagd als echter Glücksgriff. Doch er trägt auch ein dunkles Geheimnis mit sich herum...
Den magischen Spiegel als Nahtstelle von Traum und Realität zur Entfaltung seiner kreativen Vision nutzend, spinnt Gilliam, der gemeinsam mit seinem Co-Autoren Charles McKeown das Drehbuch verfasste, eine fantasievolle Fabel über Moral. Dieser komplexen Erzählung zu folgen, wird dem Zuschauer aber bei dem ständigen Wechsel von Handlungsebenen und Hauptfiguren – mal fokussiert der Film das Duell zwischen Parnassus und Mr. Nick, mal die Beziehung zwischen Valentina und Anton, dann wieder das Schicksal Tonys – nicht leicht gemacht. Gilliam überfrachtet den Film geradezu mit Motiven, setzt zum sozialkritischen Rundumschlag an und behandelt dabei Themen wie Konsumwahn und – in einer irrsinnig komischen Musical-Nummer – Polizeigewalt. Die einzelnen Fragmente sind auch durchaus gelungen, ein flüssiger Erzählrhythmus stellt sich bei der Verbindung der einzelnen Elemente jedoch nicht ein.
Achtung makaber!
The Show Must Go On:
Filme, die trotz des Todes eines Darstellers vollendet wurden
Auf der visuellen Seite zeigt sich Gilliam kreativ wie eh und je und findet zahlreiche prächtige Bilder. Der massive Einsatz von bisweilen schwachen CGI-Effekten hinterlässt jedoch einen ambivalenten Eindruck: In den Szenen, die im heutigen London spielen, protzt der Film geradezu mit visuellen Ideen, sei es die verspielt-detaillierte Kutsche des Wandertheaters oder die erste Kamerafahrt des Films, durch die sich der Zuschauer lange Zeit im London des 19. Jahrhunderts wähnt, ehe der letzte Schwenk einen Technoclub und damit die Verortung in der Gegenwart offenbart. Wann immer aber eine Figur die phantasmagorischen Traumwelten betritt und damit die bemüht-artifiziellen CGI-Effekte überhandnehmen, verliert der Film einiges an Charme.
Auch wenn „The Imaginarium Of Doctor Parnassus” zu jeder Zeit Gilliams Handschrift trägt, ist es doch vor allem das Etikett „Heath Ledgers letzer Film“, das an ihm haften bleiben wird. Der Effekt, Ledgers Tod bei der Rezeption nicht ausblenden zu können, wird durch einige inhaltliche Parallelen noch verstärkt: Ledgers erste Szene zeigt einen vermeintlichen Selbstmordversuch, Doktor Parnassus spricht „unvorhergesehene Todesfälle“ an, in einer anderen Szene wird jung verstorbenen Ikonen wie James Dean und Rudolph Valentino gedenkt – all diese Momente erinnern stetig daran, Ledger in seiner letzten Rolle vor sich zu haben. Seine Leistung ist sogleich auch ein erneuter Ausdruck seiner enormen Ausstrahlung, die er gerade in seinen jüngeren Projekten wie Brokeback Mountain zeigen konnte - auch wenn sein Auftritt hier nicht an seine furiose, postum oscarprämierte Joker-Vorstellung in The Dark Knight heranreicht. Seine drei Stellvertreter, die immer dann zum Einsatz kommen, wenn Tony durch den Spiegel die Traumszenarien betritt, beweisen zwar eine beachtliche Gabe zur Anpassung, überzeugen aber nicht alle auf der ganzen Linie: Johnny Depp (Public Enemies) meistert seinen kurzen Auftritt gewohnt bravourös und sieht Ledger auch optisch verblüffend ähnlich. Auch Colin Farrell (Brügge sehen… und sterben?) beweist große Spielfreude, während sich Jude Law (Hautnah) nicht so recht in das fantastische Treiben einfügen will.
In den beiden zentralen Rollen stehen sich Christopher Plummer (The New World) und Tom Waits (Coffee And Cigarettes) gegenüber: Plummer gibt seinen Parnassus treffend zwischen Altersmüdigkeit und Resignation, Waits brilliert hingegen als herrlich jovialer Teufel. Das Duell der beiden gegensätzlich angelegten Figuren zählt - nebst Ledger - zu den schauspielerischen Glanzpunkten. Auch Andrew Garfield (Von Löwen und Lämmern, Boy A) holt aus seiner eigentlich recht eindimensionalen Rolle recht viel heraus, während der kleinwüchsige Verne Troyer (Austin Powers – Goldständer) mit seinen sarkastischen Kommentaren nicht über den Status einer Comic-Relief-Figur hinauskommt. Die einzige wirkliche Enttäuschung ist das Model Lily Cole (Die Girls von St. Trinian, Rage), die als Parnassus‘ Tochter über weite Strecken blass bleibt und die emotionalen Konflikte ihrer Rolle nur selten glaubwürdig zum Ausdruck bringt.
Fazit: Trotz offensichtlicher Schwächen ist „The Imaginarium Of Doctor Parnassus“ gerade für Fans von Terry Gilliam sehenswert. Auf einer Ebene erzählt Gilliam eine Geschichte über die Macht und die Magie des Geschichtenerzählens, dessen titelgebender Protagonist Gilliam selbst wohl so ähnlich ist wie kaum eine Figur aus seinen bisherigen Werken. Parnassus stellt in einer Szene die Behauptung auf, dass man niemals verhindern könne, dass Geschichten weitererzählt werden. Gilliam selbst tritt nun den Beweis an: Im Frühjahr 2010 wird er sich zum zweiten Mal an der Umsetzung des 2000 bereits legendär gescheiterten „The Man Who Killed Don Quixote“ versuchen.