Wer "He was a quiet man" ansieht, wird sich vielleicht an den ähnlich gelagerten, etwas übergangenen Film "One Hour Photo" mit Robin Williams erinnert fühlen. Bob Maconel ist in vielerlei Hinsicht der Figur des Sy Parrish sehr ähnlich: Beide sind einsame, frustrierte und sozial isolierte Menschen die ein ungesundes Potential an unterdrückten Aggressionen in sich tragen, gleichwohl sind sie aber auch von sehr freundlicher und sensibler Natur. Ebenso wie Mark Romanek ist auch Regisseur Frank A. Cappello aber weniger daran interessiert, ein präzises Psychogramm von einer gescheiterten Existenz zu zeichnen, als viel mehr auf deren gleichgültige Umwelt hinzuweisen: Hier wie da ist es eine unpersönliche, oberflächliche Welt, in der sich die Protagonisten bewegen, Zweckgemeinschaften statt Freundschaft, Karriere statt Entfaltung, Sex statt Liebe. Ein Alptraum der modernen Arbeitswelt, manifestiert in den überdimensionalen Betonkolossen multinationaler Konzerne, aus deren labyrinthischen Gängen es kein Entrinnen gibt vor der schleichenden Entmenschlichung, kein Weg, nirgends. Es sind diese erschreckend normalen Verhältnisse, in der Menschen wie Bob Maconel oder Sy Parrish zu Amokläufern werden. Die immer wiederkehrenden, ganz realen Amokläufe zeigen indes das es keineswegs fiktionale Überzeichnung ist, dass die "zivilisierte Welt" in ihren von Konsumverhalten, Leistungsdruck und Oberflächlichkeit dominierenden Werten schreckliches gebiert.
Bob Maconel ist das, was die meisten Menschen einen "echten Versager" nennen würden. Zu unterwürfig, zu schusselig, zuwenig ehrgeizig. In Wahrheit ist er natürlich ein Mensch unter Humanoiden, ein ungeschickter zwar, aber einer der die wahren Werte, der das "Menschsein"
noch nicht aus den Augen verloren hat, in einer Gesellschaft in der du nur etwas "bist", wenn du etwas "wirst". Doch natürlich ist auch Bob letzten Endes unfähig, sich der Gretchenfrage zu stellen, auch er unterliegt der Illusion, der Schlüssel zur Menschwerdung liegt in äusseren Erfolgen. Auch nach seiner "Heldentat" hat sich nicht wirklich etwas geändert. Zwar bekommt er eine bessere Position, die langersehnte Aufmerksamkeit seiner Kollegen und findet in Vanessa, um die er sich rührend kümmert, seine grosse Liebe. Doch dieses Glück, wie jedes Glück das von aussen kommt, ist nur von kurzer Dauer. Bob wird fortwährend von Selbstzweiffeln geplagt, gibt sich die Schuld an Vanessas Behinderung. In seiner neuen Position ist er letztlich nicht mehr als ein besserer Kaffeholer, und seine neugewonnenen Freunde sind ironischerweise die selbstgefälligen Schnösel, die ihn so lange gedemütigt haben, und die er letztlich ja umbringen wollte. Er wird dieses Kartenhaus noch erkennen, bevor es einstürzt. Aber seine alles erstickenden Zweiffel, an sich selbst aber auch an Vanessas Liebe, machen ihn letztlich unfähig rechtzeitig abzuspringen.
Bob bleibt den ganzen Film über ein ambivalenter Charakter. Die Tatsache dass er die Unmenschlichkeit seiner Umgebung mit Gewalt zu beantworten gedenkt, macht schon allein aus ihm natürlich keine klassische Heldenfigur. Aber auch später bleibt sein Handeln fragwürdig, wenn er beispielsweise einen harmlosen Wartungstechniker als den "nächsten Amokläufer" anschwärzt, um sich selbst aus dem Rampenlicht zu ziehen. Andererseits lässt Capello kaum einen Zweiffel daran, dass sein Handeln sowohl zwanghaft, als auch von aussen bestimmt zu sein scheint, dass er auch und besonders Opfer ist von den Zweiffeln, die seine Umwelt immer wieder von neuem nährt.
Darin liegt letztlich die grosse Schwäche des ansonsten überzeugenden Films, die Inkonsequenz mit der die Geschichte erzählt wird. Die Tragik der Figur, und auch die der Liebesgeschichte zwischen Bob und Vanessa, verlangen eigentlich nach einer eindringlichen, konsequenten Inszenierung. Doch diese ist viel zu süffisant, um den Sog in dem sich Bob befindet, wirklich spürbar zu machen. Auch der unverbindliche, sehr zurückhaltende Easy-Listening-Soundtrack trägt zu der Auflockerung des im Grunde sehr ernsten Geschehens bei. Das mag zwar die Satire in den Vordergrund rücken, entspricht aber damit nicht dem zunehmend fatalistischen Geschehen, das die Handlung hervorbringt. Der Film setzt sich mit seinem Vorhaben viele Genres abzudecken etwas zu sehr zwischen die Stühle. Er ist Satire, Psychodrama, Thriller und Romanze in einem, alles ein wenig, aber nichts so richtig. Das heisst nicht, dass diese Mixtur grundsätzlich dysfunktional ist. Aber es verbleibt ein etwas seltsamer Nachgeschmack, etwas dass einem sagt dass der Film weit unter seinen Möglichkeiten bleibt.
Ungeachtet der Tatsache dass es sich bei dem Streifen um einen Independentfilm handelt, kann er nämlich vor allem mit einem erstklassigen Cast punkten: Die hübsche und charismatische Elisha Cuthbert gibt in ihrer Wandlung von der karrieregeilen Büroschlampe zum geläuterten love interest von Bob eine überzeugende Performance, William H. Macy darf entgegen seinem Image mal nicht den ewigen Looser spielen, sondern den etwas wieseligen und aalglatten Chef des Elektronikkonzerns, in dem Bob angestellt ist. Das grosse schauspielerische Highlight des Films ist aber natürlich Christian Slater als Bob. Mit Halblatze, Buchhalterbrille und Schnauzbart liefert er eine zwar durchaus archetypische, aber vollkommen glaubwürdige Darstellung eines ewig unterdrückten und sich selbst unterdrückenden Loosers, sensibel, etwas wischi-waschi und immer auf der schmalen Gratwanderung einer Karikatur, auf der er aber dankenswerterweise niemals ausrutscht. Eine solche Performance hätten dem in den letzten Jahren notorisch erfolglosen Schauspieler sicherlich die wenigsten zugetraut, und es bleibt zu hoffen dass Slater die für diesen Film verdiente Aufmerksamkeit bekommt, was allerdings angesichts der Tatsache dass "He was a quiet man" eine direct-to-dvd - Veröffentlichung ist, eher unwahrscheinlich ist.
"He was a quiet man" ist sicherlich kein massentauglicher Film. Durch die schwachsinnige deutsche Eintitelung ("Amok") könnte die Erwartungshaltung ausserdem dahingegen gefördert werden, man habe es mit einem düsteren Psychothriller zu tun. Davon ist der Film jedoch weit entfernt. "He was a quiet man" ist eher eine Mischung aus Satire und Tragikomödie, mit leicht phantastischem Touch. So wird vieles visualisiert, was in Bob Maconel´s Kopf vorgeht: Man sieht ihn zum Beispiel des öfteren im Gespräch mit seinen Goldfischen, oder wie er in seinen Gedanken das verhasste Bürogebäude in dem er arbeitet in die Luft sprengt.
Fazit: Obwohl der Film als Anklage an ein Gesellschaftssystem, in dem sich Menschen immer mehr verlieren ob der Inkonsequenz letztlich scheitert, ist "He was a quiet man" auf jeden Fall ein sehenswerter Film. Freunde des Independentkinos kommen voll auf ihre Kosten, wird hier doch abseits der Sehgewohnheiten ein ernstes Thema von einer ungewöhnlichen Seite her beleuchtet. Trotz der genannten Schwächen ist der Film eine kleine, aber dank der hervorragenden Darsteller und der entwaffnend deutlichen Rollenklischees gut funktionierende schwarze Komödie, aus der man die zynische Abrechnung mit der new economy deutlich herauslesen kann, und der den Betrachter dazu zwingt seine Vorstellung von Gewohnheit und Normalität neu zu überdenken. Nicht wenige Zuschauer werden sich zumindest teilweise in den Charakteren wiedererkennen und sich zwangsweise fragen: Auf welcher Seite stehe ich? Und vor allem: Macht das überhaupt einen Unterschied?