Die Filmstarts-Kritik zu Ex Drummer

1. „Die 120 Tage von Sodom“ (Pier Paolo Pasolini, 1975); 2. „Men Behind The Sun“ (Tun Fei mou, 1988); 3. „Ich spuck´ auf dein Grab“ (Meir Zarchi, 1978); 4. „Bloodsucking Freaks” / „The Incredible Torture Show” (Joel M. Reed, 1976); 5. „Mondo Brutale” / „The Last House On The Left” (Wes Craven, 1972); 6. „Maniac“ (William Lustig, 1980); 7. „Nackt und zerfleischt“ / „Cannibal Holocaust“ (Ruggero Deodato, 1980); 8. „Henry – Portrait Of A Serial Killer” (John McNaughton, 1986); 9. „In A Glass Cage” (Agusti Villaronga, 1987); 10. „Nekromantik” (Jörg Buttgereit, 1987); 11. „Die Hündin von Liebeslager 7” / „Ilsa – She Wolf Of The SS” (Don Edmonds, 1975); 12. „Combat Shock” (Buddy Giovinazzo, 1986); 13. Eraserhead (David Lynch, 1977). Dies ist die legendäre „Disturbo 13“, eine Liste mit den 13 verstörendsten Filmen aller Zeiten, in den frühen 90er Jahren von den Fangoria-Redakteuren Stanley Wiater, Steven Bissette und Phil Nutman erstellt. Würde man die Liste heute aktualisieren, gingen einem schnell einige Werke durch den Kopf, die diese sinnvoll vervollständigen würden: Zum Beispiel das Vergewaltigungs-Drama Irreversible oder natürlich auch Takashi Miikes Magenumdreher Audition. Auch über Koen Mortiers radikal-stilisiertes Gewalt-Drama „Ex-Drummer“ aus Belgien könnte man in diesem Zusammenhang nachdenken. Wahrscheinlich würde man sich im Endeffekt zwar gegen eine Aufnahme des Films in die Liste entscheiden, doch einen Platz auf den näheren Folgerängen hätte er wohl dennoch sicher.

Koen (Norman Baert), der Sänger, lebt in einer dauerhaften, drogenbedingten Paranoia, fickt die glatzköpfige Mutter seines Kumpels und schlägt telefonierenden Frauen mit Pflastersteinen die Fresse ein. Ivan (Sam Louwyck), der Gitarrist, ist beinahe taub, verprügelt seine koksende Ehefrau und lässt seine kleine Tochter in der vollgemüllten elterlichen Wohnung elendig zugrunde gehen. Jan (Gunter Lamoot), der Bassist, hat einen steifen Arm, ist der schwule Sohn der glatzköpfigen Mutter und hat einen mordgeilen Vater, der in einer Zwangsjacke ans Bett gefesselt dahinvegetiert und dem Jan ständig den Arsch abwischen muss. Diese drei Loser, die Untersten der untersten Unterschicht Belgiens, sind eine Band. Aber ihnen fehlt ein Drummer. Deshalb klingeln sie einfach mal so bei dem erfolgreichen „In“-Schriftsteller Dries (Dries Vanhegen), der in seiner supermodern eingerichteten High-End-Wohnung regelmäßig Gruppensex mit High-End-Tussies vollzieht. Jans Mutter hatte irgendwo gelesen, dass der Autor recht gut Schlagzeug spielen könne. Zunächst hält Dries das aberwitzige Angebot, in die Band der Loser einzusteigen, für einen schlechten Scherz. Aber dann willigt er doch ein. In der Welt der Verlierer fühlt er sich selbst als Gott, der mit dem Abschaum spielen und diesen rücksichtslos manipulieren kann...

Regisseur Mortier skizziert die heruntergekommenen, menschenunwürdigen Behausungen der belgischen Unterschicht als brutalen Moloch, aus dem es kein Entkommen gibt. Die drei gehandicapten Bandmitglieder sind nicht im herkömmlichen Sinne „böse“, für sie ist ihr Verhalten, das unbedarfte Körperverletzen, Vergewaltigen und Morden, stinknormal. Richtig spannend wird das Gemälde aber erst dadurch, dass Mortier diesem abartigen Geschmiere einen intellektuellen Hochglanzmenschen entgegensetzt, der sich darüber klar ist, was für eine Scheiße hier eigentlich abläuft. Dries ödet das sichere Leben in seinem Luxusappartement, der – trotz Gruppenspielen - saubere Sex, die risikofreie Beziehung mit seiner wunderschönen, sexuell aufgeschlossenen Freundin Lio (Dolores Bouckaert) einfach nur noch an. Doch im Gegensatz zu den anderen hat er die Chance, aus seinem Dasein auszubrechen – wie ein griechischer Gott steigt er für eine Weile aus seinem Elfenbeinturm hinab, um sich in dem rauen, brutalen Leid der für ihn niederen Menschen zu suhlen. Ebenso verstörend wie das perverse Geschehen ist auch die stylische Inszenierung geraten. So steht die Welt in der Wohnung des paranoiden Serienvergewaltigers Koen kopf. Und auch die fiebrigen Bilder, mit denen Mortier das grotesk-gewalttätige Rockfestival unterlegt, verfehlen ihre surreal-anekelnde Wirkung kaum.

So fließt das wilde „Sex, Drugs, Violence and Rock´n´Roll“-Leben intensiv-verstörend vor sich hin. Doch dann legt der Film in den letzten zehn Minuten noch einmal richtig nach: Spoiler! In diesen kulminiert das zerstörerische Treiben in einer Parallelmontage, die sich gewaschen hat: Dries treibt es mal wieder in seiner sterilen Wohnung. Jans befreiter Vater streift sich seine Militäruniform über und läuft – inklusive subjektiver Egoshooter-Perspektive - Amok. Und Big Dick vergewaltigt eine junge Blondine, die sich durch den gigantischen Schwanz sehnsüchtig an ihre Kindheit erinnert fühlt – als Sechsjährige wurde sie ständig von ihrem Vater missbraucht und im Verhältnis kam ihr dessen Penis damals auch riesig vor. Zum Schluss sitzt Big Dick an einem Tisch, auf dem sein blutverschmiertes, abgetrenntes 50cm-Gehänge liegt, und beschwert sich über seine großzügige Ausstattung – immerhin wollen ihm zwar alle Frauen aus Neugier einen blasen, doch ficken lassen will sich von seinem Megading kaum eine. Spoiler Ende! Es durfte bezweifelt werden, ob diese groteske Passage ohne Schnitte durch die FSK kommt – immerhin werden die Jugendschützer immer dann besonders hellhörig, wenn expliziter Sex und explizite Gewalt aufeinanderprallen. Doch die FSK hat zur Überraschung aller gar eine FSK 16 rausgegeben - das verstehe, wer wolle.

Fazit: Ganz schön starker Tobak – in „Ex Drummer“ trifft Stanley Kubricks Gewaltfabel Uhrwerk Orange auf Danny Boyles Drogenorgie Trainspotting und Mary Harrons Bret-Easton-Ellis-Verfilmung American Psycho: Eine elegant-verstörende Sozialparabel, die auf Grund ihrer ungebremsten Radikalität aber sicherlich nicht für jedermann empfehlenswert ist.