In „Heimatklänge“ porträtiert Stefan Schwietert drei Musiker, die die Tradition der alpenländischen Musik weiter entwickeln und auf unterschiedliche Art und Weise in die Moderne überführen. Dank den gegensätzlichen Strategien der drei, der Einbettung in einen weiteren gesellschaftlichen Kontext und der zurückgenommenen, behutsamen Inszenierung eine durchaus interessante Thematik. Schwietert nimmt sich Zeit für seine Protagonisten und entwirft stimmige Porträts derselben und ihrer Motivationen sich der Jodelkunst zu widmen. Dabei erinnert Schwieterts Dokumentarfilm über weite Strecken an Ruth Olshans „Wie Luft zum Atmen“ und löst alle Voraussetzungen ein, die ein gelungener Musik-Dokumentarfilm erfüllen muss.
Christian Zehnder beschreitet einen äußerst experimentellen Weg der Weiterführung, indem er verschiedene Gesangsrichtungen virtuos vermischt und etwas Neues entstehen lässt, das die meisten wohl nicht als Gesang bezeichnen würden – eher als Schreien, Juchzen oder Bellen. Da es aber von ganz innen kommt, und das merkt man von Anfang an, berührt es und funktioniert auf einer ganz eigenen Ebene. Die Stimmartistin Erika Stucky zog im Alter von zehn Jahren von Amerika in die Schweiz und formt die alten Musik-Traditionen der Schweiz in ihren Bühnen-Performances ohne falsche Scheu um, passt sie in neue Kontexte ein, beispielsweise, indem sie englische Texte verwendet. Der dritte Musiker, Noldi Alder, erreichte mit der Volksmusik-Kapelle „Alder Buebe“ große Berühmtheit, bis der Drang etwas anderes auszuprobieren, immer größer wurde. Er legte die Tracht ab und lotet heute die Möglichkeiten der alten Volkslieder neu aus. Was er auf der Bühne bietet, ist experimentelles Jodeln, frei von Schranken oder Richtlinien.
„Was ihr seid, waren wir. – Was wir sind, werdet ihr sein.“
Die drei Musiker stellt Stefan Schwietert anhand von Interviewpassagen, Live-Mitschnitten von Auftritten und alten Familienvideos vor. Darüber hinaus befragt er Freunde und Verwandte, die sich teilweise recht kritisch gegenüber der postmodernen Weiterentwicklung „ihrer“ Musik äußern. Das zentrale Thema dabei ist die Verwurzelung der drei Protagonisten in der Schweizer Heimat und der Konflikt zwischen Tradition und Innovation. Inwieweit ist die alpenländische Musik mit der atemberaubenden Naturkulisse verbunden? Woraus schöpfen die Musiker? Und was macht die Faszination am Jodeln aus? Dabei fotografiert Kameramann Pio Corradi die alpenländische Naturkulisse immer wieder in betörenden Bildern, die das Jodeln mit der Berglandschaft verbinden und die Biografien aus dem Blickwinkel des Begriffs Heimat untersuchen. „Wäre ich in der Wüste aufgewachsen, würde ich wohl anders klingen“, lässt Noldi Alder zu Beginn des Films wissen, nachdem er ein melancholisches Jodel-Lied in die Berge gesungen hat – verstärkt und beantwortet durch das Echo.
Auf einen Off-Kommentar verzichtet Schwietert völlig. Stattdessen montiert er zu den Erzählungen seiner Protagonisten verschiedene Bilder und verbindet in routinierten Montagen deren Musik mit Natur- und Stadtkulissen. Dass er auch inszeniert und nicht radikal dokumentarisch vorgeht, verheimlicht der Regisseur an keiner Stelle. So gibt es etwa eine Aufnahme zu sehen, in der Alder auf eine Fotografie aus Jugendtagen blickt und sein Gesicht sich im Glas des Rahmens spiegelt. Vergangenes und Gegenwärtiges werden somit in einem Bild vereinigt, womit Schwietert seinen Blickwinkel offenkundig macht und sich vom Duktus des rein Dokumentarischen entfernt.
Letztlich entwirft Schwietert die These, dass die traditionelle Musik der Schweizer nur mit Hilfe einer Umformierung weiter bestehen wird. Aus dem Alten muss etwas Neues geschaffen werden, aus Bestehendem muss Beständiges werden. Die alpenländische Musik muss sich den Gegebenheiten der Zeit anpassen. Erst dann wird das Jodeln, fernab von Trachten und Schunkelmusik, als Mittel des künstlerischen Ausdrucks neu entdeckt und kann weiter leben.