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    Thor
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Thor
    Von Jan Hamm

    Mit Aufklärung, Säkularisierung und Moderne gleich die Götter für abgesetzt zu erklären, wäre nicht nur verfrüht, sondern schlichtweg ein Irrtum. Die Sehnsucht nach Übermenschlichem und die Lust am epischen Heldenmythos liegen im Herzen unserer Zivilisation. Und kaum jemand hat das so genau durchschaut wie Marvel-Mastermind Stan Lee. Nicht nur, dass seine Comic-Superhelden längst als kulturelles Update klassischer Göttersagen durchleuchtet wurden. Nein, Lee ist noch weiter gegangen: Polytheistischer Sitte folgend hat er das Alte und das Neue verwoben – und den skandinavischen Donnergott Thor in sein Superhelden-Pantheon aufgenommen. 1962 feierte Thor seinen ersten Heftchen-Auftritt, rund ein halbes Jahrhundert später hat er es nun auf die Leinwand geschafft. Mit seinem ersten Blockbuster erzählt Shakespeare-Profi Kenneth Branagh die Geschichte eines arroganten Übermenschen und dessen Lektionen in Demut. Der Natur des Stoffes entsprechend geht es dabei gelegentlich recht schwülstig zu - schön, dass Branagh und seine spielfreudigen Darsteller darüber nicht das Augenzwinkern vergessen. „Thor" ist ein charmantes Kino-Spektakel mit hingebungsvoll menschelnden Göttern, bunten Fantasy-Panoramen und krachender Action.

    Die Götterstadt Asgard, irgendwo in den Weiten des Kosmos: Der stolze Thor (Chris Hemsworth) erwartet die lang herbeigesehnte Königsweihe. Doch bevor Allvater Odin (Anthony Hopkins) die Krönung beschließen kann, wird die Zeremonie gestört. Grimmige Frostriesen-Renegaten haben den Friedenspakt zwischen Asgard und dem eisigen Jotunheim gebrochen und sind in Odins Waffenkammer eingedrungen. Gegen den Willen seines Vaters reist der aufbrausende Thor mit seinem Bruder Loki (Tom Hiddleston) und einer Schar alter Kampfgefährten in die Heimat seiner Feinde und lässt den uralten Konflikt der Reiche damit erneut entflammen. Erzürnt schreitet Odin ein und verbannt seinen Sohn, ausgerechnet ins unterentwickelte Midgard (die Bezeichnung der Götter für unsere Erde). Während Thor dort im Forscher-Trio Jane (Natalie Portman), Erik (Stellan Skarsgard) und Darcy (Kat Dennings) neue Freunde findet, fällt der gramgeplagte Allvater in einen verwunschenen Schlaf – und räumt seinem diabolischen Zweitgeborenen Loki damit den Thron des gelähmten Asgard frei...

    Für die Marvel-Studios bedeutet „Thor" ein schwer kalkulierbares Risiko. Denn während der „Iron Man"-Anzug, die Mutation des „Unglaublichen Hulk" und die Bärenstärke eines „Captain America" allesamt über behutsame Science-Fiction-Anklänge plausibilisiert werden, bricht der im gleichen Film-Universum angesiedelte „Thor" radikal mit der Verankerung im Diesseits. Ob das Publikum den Schritt ins Reich der Magie mitgehen wird (bei „Thor" ebenso wie beim umittelbaren DC-Konkurrenten „Green Lantern"), zählt zu den spannendsten Fragen des Box-Office-Jahres 2011. Es ist dem Marvel-Team um Regisseur Kenneth Branagh und Produzent Kevin Feige hoch anzurechnen, wie thematisch ergiebig dieses Problem angegangen wird. Der Donnergott bringt es höchstselbst auf den Punkt: „Eure Vorfahren nannten es Magie, ihr nennt es Wissenschaft. Ich komme von einem Ort, an dem das ein und dasselbe ist."

    Hier sind die Götter technologisch derart überlegene Außerirdische, dass nicht nur die Wikinger, sondern auch wir tausend Jahre später nur große Augen machen können – ein so schlichtes wie elegantes Konzept, das bereits in Roland Emmerichs „Stargate" funktionierte. In diesem Sinne gilt auch der Weltenbaum Yggdrasill aus der skandinavischen Mythologie nicht als überholte Lagerfeuer-Metapher, sondern als uns bislang unbegreifliche Anordnung fremder Galaxien. Außerirdisch oder transzendental, letzten Endes macht die Wortwahl bei der Beschreibung des Jenseitigen kaum einen Unterschied. Das technologische Gefälle zwischen dem himmlisch-strahlenden Asgard mit seinen schwebenden Terassen und unserer Erde wird clever versinnbildlicht, wenn Thor nach seiner Verbannung in einem unterentwickelten US-Provinzkaff landet. Ja, so trivial muss die Erde mit den Augen eines Gottes betrachtet wirken. Daran würde wohl auch die New Yorker-Skyline wenig ändern.

    Die symbolische Abbildung dieser Größenverhältnisse ist jedoch weit mehr als ein Thesenspiel, sie ist essentiell für Branaghs Erzählung. Anders als in nahezu jeder zeitgenössischen Comic-Verfilmung wird hier keine Herkunftsgeschichte abgehandelt. Thor ist bereits zu Beginn im vollen Besitz seiner ungeheuerlichen Macht. Nach all den gebrochenen Idealisten der letzten Superheldenkino-Jahre ist er dabei der zugänglichste Comic-Heroe: Sein Zorn ist der eines pubertären Jungen; im Verlauf des Films muss er lernen, seine Energien zu mäßigen und zu kanalisieren. Chris Hemsworth verleiht seiner Figur einen hinreissend naiven Charme – mal aufbrausend, mal albern, immer aber ursympathisch. Wie der seiner göttlichen Kraft beraubte Thor von irdischen Kleinigkeiten überrumpelt wird, ist phasenweise urkomisch. Spaßige Wortgefechte dürften vorprogrammiert sein, wenn Marvel im Sommer 2012 mit den „The Avengers" zum großen Team-Up bläst und Hemsworth auf Robert „Iron Man" Downey Jr. trifft.

    Der heimliche Star von „Thor" allerdings heisst Tom Hiddleston. Sein sensibel zwischen tiefer Verletzung und machiavellischem Machtstreben ausgespielter Antagonist Loki ist eine so faszinierende Figur, dass seine verhältnismäßig kompakten Auftritte kaum befriedigen. Immerhin, über Loki schmuggelt Branagh eine Spitze Shakespear'sche Hybris ein – davon hätte Marvel ruhig mehr zulassen dürfen. Ein Glück, dass Hiddleston längst für weitere Marvel-Produktionen unterzeichnet hat - mit einem differenziert weiterentwickelten Loki könnte „The Avengers" reich punkten. Die Nebenrollen-Besetzung muss sich hinter dem Brüderpaar anstellen. Anthony Hopkins gibt einen weihevollen Odin, Oscar-Gewinnerin Natalie Portman überspielt den Reissbrett-Entwurf ihrer Jane mit gekonnter Niedlichkeit und Idris Elba darf dem ansonsten so direkten Film als undurchsichtiger Portal-Wächter Heimdall sogar ein wenig Mysterium einhauchen.

    Ja, mehr Mysterium hätte „Thor" gut gestanden. Bei all dem Krawall, den Asgards Kinder veranstalten, wird einem andächtigen Staunen ob dieser wunderlichen Magie-Technologie kaum Raum gelassen. Symptomatisch dafür ist eine Rückblende ins Wikinger-Nordeuropa, deren inszenatorische Qualität zudem meilenweit hinter Peter Jacksons vergleichbarem „Herr der Ringe"-Prolog herhinkt. Die Schlacht zwischen Asgard und den Frostgiganten wird lieblos abgehandelt, ohne die überrumpelten Erdlinge noch eines weiteren Kamerablickes zu würdigen. Dabei beginnt genau dort die thematisch so wichtige Beziehung zwischen Menschen und Göttern, die bis heute in der isländischen Liedersammlung „Edda" dokumentiert ist – und die im Filmverlauf vom Skandinavier Stellan Skarsgård auch nochmal angesprochen wird. Trotz dieser Versäumnisse haben Kenneth Branagh und sein Marvel-Team einen starken Film auf die Leinwand gewuchtet. „Thor" beweist, dass es neben fatalistischer Dekonstruktion à la Christopher Nolans „The Dark Knight" oder Zack Snyders „Watchmen" noch gesundes und spaßiges Superheldenkino geben kann. Auf dass wir uns unsere Götter noch lange erhalten!

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