Eigentlich gibt es vor allem einen sehr guten Grund, einen Dokumentarfilm über Bernhard Wicki zu drehen: Bernhard Wicki. Der am 5. Januar 2000 im Alter von 80 Jahren verstorbene Schauspieler und Regisseur, der mit seiner zweiten Regiearbeit, dem Anti-Kriegsfilm-Klassiker „Die Brücke“ 1959 seinen größten Erfolg feierte, ist eine fast ein bisschen in Vergessenheit geratene Filmlegende. Allerdings, sich „Verstörung – und eine andere Art von Poesie“ im Kino anzusehen, dafür gibt es sehr wenig gute Gründe. Seine Witwe, die Schauspielerin Elisabeth Wicki-Endriss huldigt Bernhard Wicki in ihrer ersten Regiearbeit auf viel zu betuliche und nicht selten schwülstige Weise.
Der 1919 in St. Pölten in Österreich geborene Wicki studierte zunächst Malerei am Bauhaus in Dessau. Dort trat er in die KP ein und zog mit aus diesem Grund nach der Wahl Hitlers zum Reichskanzler zunächst zurück nach Österreich. Weil er Flieger werden wollte, machte er dann doch mit „bei dieser Nazigeschichte“ – wie er es als Endsiebziger im rückblickenden Interview formulierte. Flieger wurde er allerdings nicht, sondern begann seine Schauspielkarriere als Student der Staatlichen Schauspielschule Berlin, machte sich mit in Anwesenheit der falschen Leute geäußerten unflätigen Bemerkungen über Hermann Görings Ehefrau bei diesem persönlich unbeliebt und landete – man fand nun heraus, dass er in der KP war – als politischer Gefangener im KZ Sachsenhausen. Wicki erlebte und überlebte dort ein halbes Jahr lang alltäglichen Mord und Folter, dann gelang es seinen Verwandten, ihn wieder heraus zu bekommen. Zu diesem Zeitpunkt war er 19 Jahre alt. Was er als alter Mann davon erzählt, gehört zu den wenigen beeindruckenden Szenen des Films. Beeindruckend und in anbetracht des Erlebten sicher auch im Nachhinein nicht leicht gesagt, ist auch seine Aussage, heute sei er froh, dass es so gekommen sei. Vielleicht hat es ihn davor bewahrt, ein Nazi zu werden. Sehr wahrscheinlich hätte Wicki ohne diese Erfahrungen, niemals einen Film wie „Die Brücke“ gedreht.
Sein internationaler Durchbruch „Die Brücke“ war 1959 die zweite Regiearbeit des damals schon gefeierten Schauspielers und der erste unzweideutige Antikriegsfilm aus Deutschland. Eine weitere interessante Aussage, die man dem Dokumentarfilm entnehmen kann: An der heute von vielen (und häufig im Anschluss an die Verfilmung) als Antikriegsroman rezipierten Vorlage von Manfred Gregor kritisierte Wicki sehr deutlich ihre heldische Tendenz. Seine Verfilmung ist zweifellos frei von heldischen Tönen.
Wicki drehte in Hollywood unter anderem mit Ingrid Bergman und Antony Quinn (die Dürrenmatt-Verfilmung „Der Besuch“) und Marlon Brando, der auf ihn als Regisseur bestanden hatte („Kennwort Morituri“). Er scheiterte an den Sehgewohnheiten des Publikums, dem Final Cut der Produzenten und selbstverständlich auch an den Psychosen Brandos. Als Ausgleich gegen den Hollywoodfrust produzierte er wieder in Europa 1975 „Die Eroberung der Zitadelle“ gleich selbst und beendete das Unternehmen mit einer Million Mark Schulden. Daraufhin wandte er sich zunächst einmal wieder stärker der Schauspielerei zu, bis er in den 80er Jahren trotz am Ende starker gesundheitlicher Probleme noch einmal als Regisseur sehr produktiv wurde: Auf „Die Grünsteinvariante“ 1984, folgte 1986 „Sansibar oder der letzte Grund“ und 1989 sein letzter Film „Das Spinnennetz“, der wie schon „Der Besuch“ im Wettbewerb von Cannes gezeigt wurde und nach „Der Brücke“ erneut für den Oscar als bester ausländischer Film nominiert wurde (und ihn erneut nicht bekam).
Der Film erzählt Wickis Lebensgeschichte brav chronologisch und über eine für einen Dokumentarfilm dieser Machart recht mutige Lauflänge von 120 Minuten. Die zwei Stunden Spieldauer sind aber insofern gerechtfertigt, als sie sich zu einem großen Teil aus eingespielten Szenen aus den Filmen von und mit Bernhard Wicki ergeben; und die sind spannend und machen Lust, vielleicht auch mal wieder etwas von seinen Arbeiten im Kino zu sehen. Der Kontrast der energiegeladenen Szenen aus Wickis Filmen zum Stil der Dokumentation könnte nicht größer sein. Die Interviewszenen mit dem alten Wicki sind hier noch das Lebendigste. Schwer erträglich dagegen ist der betuliche Vortrag von Maximilian Schell als Erzähler und Michael Mendl als Verkörperung von Wickis fiktiver innerer Stimme und Rezitator seiner Briefe. Darüber wie Klaus Maria Brandauer einige Gedichte vorliest, die Wicki als Jugendlicher in sein Tagebuch geschrieben hat, soll hier (wie auch über diese Gedichte selbst) höflich geschwiegen werden. Der Zuschauer fühlt sich von den drei gestandenen Herren derartig an die Hand genommen und behutsam durch den Film geleitet, dass es schon an Entmündigung grenzt. Passend dazu fallen vereinzelte kitschige Bildideen (Kamera: Franz Rath) unangenehm auf und ein schwülstiger Soundtrack - Best of Haydnmozartbrahmsbach, die abgenudeltesten Ausschnitte - darf auch nicht fehlen. Die unangenehmste Kameraeinstellung: Regenbogen über dem KZ Sachsenhausen.
Ein weiteres Problem ist, dass außer Wicki-Endriss und den drei genannten Herren in ihren sehr eingeschränkten Funktionen keine von Wickis Weggefährten zu Wort kommen. Viele sind natürlich verstorben, aber es festigt sich dennoch der Eindruck, dass eine spannende Darstellung von Bernhard Wickis Leben aus verschiedenen Perspektiven gar nicht angestrebt wurde. Reichlich oberflächlich ist auch, was die Dokumentation über die gesellschaftlichen Entwicklungen in der Bundesrepublik transportiert. Der deutlichen Sozialkritik in vielen von Wickis Filmen wird das nicht gerecht.