Vor zehn Jahren polarisierte David Fincher mit seiner brillanten Gewaltsatire Fight Club Kinozuschauer und Kritiker. Eine ähnliche Reaktion ist bei Clark Greggs „Choke – Der Simulant“ nicht zu erwarten. Dabei beruhen beide Werke auf Vorlagen des amerikanischen Autors Chuck Palahniuk. Der Journalist und Schriftsteller ist bekannt für seine zupackenden, kontrovers diskutierbaren Gesellschaftsanalysen. Und auch in „Choke“ hält sich Palahniuk mit beißendem Spott nicht zurück. Wieder stehen seelisch verkrüppelte, verzweifelt nach ihrer Identität suchende Außenseiter im Mittelpunkt, die sich nach nichts mehr sehnen als nach echten Gefühlen. Nach dem masochistischen Prügelfetischisten Tyler Durden lässt Palahniuk mit der Figur des sexsüchtigen, Erstickungsanfälle vortäuschenden Victor Mancini einen nicht weniger perversen, zynischen und verlorenen Charakter auf seine Leser los. Dass die in Deutschland nur auf DVD veröffentlichte Filmversion der Satire trotz einer ähnlich gewagten Prämisse nicht die Klasse von „Fight Club“ erreicht, ist in erster Linie der unentschlossenen Regie von Gregg anzukreiden.
Victor Mancini (Sam Rockwell) ist süchtig. Nach Sex. Und er hat keine Hemmungen. Keine Frau, sei sie nun 19 oder 90 Jahre alt, ist vor ihm sicher. Es ist also kaum verwunderlich, dass er nicht nur in seinem Job als kostümierter Kolonialist in einem historischen Themenpark Probleme bekommt. Victor landet in einer Therapiegruppe. Aber statt den anderen Betroffenen von seinen kranken Vorstellungen und Verhaltensweisen zu erzählen, vergnügt er sich lieber mit einer Nymphomanin. Victors Kumpel Denny (Brad William Henke, Der Zodiac-Killer), ebenfalls Mitglied der Anonymen Sexaholiker, versucht seinen Freund von der Wichtigkeit der Therapie zu überzeugen. Doch Victor hat noch ganz andere Probleme: Seine pflegebedürftige Mutter Ida (Anjelica Huston) liegt in einer Privatklinik. Ihre Demenzerkrankung ist bereits so weit fortgeschritten, dass sie ihren eigenen Sohn nicht mehr erkennt. Um das Geld für die teure Klinik zu besorgen, lässt sich Victor auf bizarre Selbstversuche ein. In ausgewählten Restaurants verschluckt er sich bewusst am Essen, um kurz vor seinem Tod von einem der geschockten Gäste gerettet zu werden. Diese ahnungslosen „Retter in der Not“ schicken ihm aus Dank hohe Geldbeträge zu. Als die neue Ärztin Paige Marshall (Kelly MacDonald) sich vermehrt um Ida kümmert, steckt Victor in der Zwickmühle. Denn einerseits empfindet er für die liebenswürdige junge Frau erstmals wieder echte Gefühle, andererseits kann er seinen manischen Sexualtrieb kaum mehr kontrollieren.
Aus dem Stoff hätten andere Regisseure vielleicht eine Sexklamotte gemacht, Gregg dagegen will der Vorlage von Palahniuk gerecht werden und nimmt das Abhängigkeitsthema ernst. Victor ist kein fröhlicher Zeitgenosse, der einfach öfter als normal seinem Sexualtrieb folgt. Er leidet vielmehr unter einer Sucht und kann zu keiner Frau eine ernsthafte Beziehung aufbauen. Sein überlegen-zynischer Voice-Over-Kommentar soll nur verschleiern, wie dreckig es ihm geht. Um ein solch depressives Wrack glaubwürdig zu verkörpern, braucht es einen Spitzendarsteller mit einem Faible für verschrobene Charaktere. Kaum jemand scheint dafür besser geeignet zu sein als das Schauspielchamäleon Sam Rockwell. Nach Geständnisse - Confessions Of A Dangerous Mind und zuletzt in Moon überzeugt der furchtlose Mime in einer weiteren abgründigen Rolle. Trotz allen Ekels vor Victors Handlungen, kann man sich Rockwells Präsenz nicht entziehen.
Glücklicherweise verpflichtete Gregg, der als pedantischer Themenparkchef persönlich für einige komische Momente sorgt, auch für die weiteren Rollen hochkarätige Darsteller, die dem entfesselten Rockwell etwas entgegenzusetzen haben. Der Ensemblepreis beim Sundance Filmfestival war der verdiente Lohn. Leinwandikone Anjelica Huston („Die Ehre der Prizzis“, Die Royal Tenenbaums) lässt in ihrer undankbaren Rolle als verwirrte, ans Krankenbett gefesselte Mutter eine Verletzlichkeit und Hilflosigkeit spürbar werden, die betroffen macht. Nur die Verjüngung um 20 Jahre in den von Gregg unglücklich montierten Rückblenden ist ihr trotz starker Schminke kaum abzunehmen. Neben Rockwell und Huston ragt noch die bezaubernde Schottin Kelly MacDonald (No Country For Old Men, Trainspotting) aus dem Ensemble von „Choke“ heraus. Ihr gelingt es, Paiges schwer erklärbare Zuneigung für den sexistischen Loser Victor überzeugend herauszuarbeiten. Gerade die Szenen zwischen diesen beiden seelenverwandten Menschen rühren an und geben Greggs Film eine Tiefe und Menschlichkeit, die der überwiegend in einem zynisch-lockeren Ton gehaltenen Erzählung sonst so schmerzlich fehlt.
Gregg kann in seinem formal sehr konventionell erzählten Regiedebüt aber nur wenige inszenatorische Akzente setzen. Es dominieren die etwas geschwätzigen, um sich selbst kreisenden Lebens(un)weisheiten von Victor. Das magere Budget von drei Millionen Dollar ließ aufwändige Kamerafahrten und häufige Schauplatzwechsel wohl auch einfach nicht zu. Dem erstaunlich harmlosen Film fehlt es vor allem aber an einem stimmigen Erzählrhythmus. Die zum Teil sehr witzigen Einzel-Sequenzen (wie ein Stripbarbesuch) fügen sich zu keinem Ganzen und stehen meist nur für sich selbst. Immer wieder drängt sich der Eindruck auf, dass aus der nur knapp 90-minütigen Satire Szenen herausgeschnitten worden sein müssen, die die Aktionen der komplexen Charaktere besser erklärt hätten. Hier wäre mehr eindeutig mehr gewesen.
Fazit: Nach „Fight Club“ wurde mit „Choke“ endlich ein weiterer Roman des großen Autors Chuck Palahniuk verfilmt. Obwohl Regisseur Clark Gregg der Sprache der Vorlage treu bleibt, wirkt sein „Tagebuch eines Sexbesessenen“ seltsam unzusammenhängend und unrhythmisch. Die brillanten Schauspieler, allen voran Sam Rockwell, werten die etwas zahnlose Satire aber gehörig auf.