Quo vadis, M. Night Shyamalan? Nach seiner kolossalen Bauchlandung mit Das Mädchen aus dem Wasser kehrt der ehemalige Box-Office-König, der mit The Sixth Sense, Unbreakable, Signs und The Village vier Megahits in Serie hinlegte, mit seinem Mystery-Thriller „The Happening“ zu seinen Wurzeln zurück. Das Ergebnis strotzt zwar nicht unbedingt vor Originalität, doch ist der in den USA aufgewachsene und in Indien geborene Filmemacher auf diesen Pfaden zumindest trittsicher. Trotzdem wird er das Publikum auch diesmal - wahrscheinlich sogar mehr denn je - spalten. Shyamalan, der auch das Drehbuch schrieb und produzierte, liefert alles andere als Hollywood-typische Konfektionsware ab. Stattdessen inszeniert er selbstbewusst-eigenwillig im Stil großer Unterhaltungs-Regisseure wie Steven Spielberg, der sich ebenfalls nie zu schade ist, ein gewisses Maß an Naivität mit einzubringen. Zu Beginn noch schnell eine ernst gemeinte Warnung: „The Happening“ ist im besten Sinne unspektakulär und zurückgenommen.
„Wenn die Bienen von der Erde verschwinden, hat der Mensch noch vier Jahre zu leben.“ (Albert Einstein)
An einem scheinbar ganz normalen Morgen werden im New Yorker Central Park Menschen plötzlich von einer unerklärlichen Macht ergriffen und dazu gebracht, auf der Stelle Selbstmord zu begehen. Eine ganze Nation steht unter Schock, erste Vermutungen deuten auf einen Terroranschlag mit einem bisher unbekannten, bewusstseinsmanipulierenden Kampfstoff hin. Als sich auch in einem Park in Philadelphia mysteriöse Massenselbstmorde ereignen, bricht Panik unter der Bevölkerung aus. Der Lehrer Elliot (Mark Wahlberg) will mit seiner Frau Alma (Zooey Deschanel), seinem besten Freund Julian (John Leguizamo) sowie dessen kleiner Tochter Jess (Ashlyn Sanchez) aufs Land flüchten. Doch weit kommt die Gruppe nicht. Ihr Zug verliert mitten in der Pampa der US-Ostküste im kleinen Örtchen Filbert den Kontakt zur Außenwelt...
Seine Weltkarriere begann mit einer einzigen, kleinen Szene, die einen bis dahin guten Genrefilm („The Sixth Sense“) durch eine paukenschlagartige, grandiose Schlusswendung zum modernen Klassiker machte. Dieses Muster von Mystery plus überraschende Schlusswendung erhob Shyamalan spätestens mit „Unbreakable“ zur eigenen Kunstform, bis selbst seine treuen Anhänger nach dem umstrittenen „The Village“ langsam die Nase voll hatten und ihn als „One-trick pony“ verspotteten. Tenor: Kann der denn gar nichts anderes? Den Gegenbeweis blieb der Regisseur mit dem Flop „Das Mädchen aus dem Wasser“ weiter schuldig. Mit diesem Film hatte sich Shyamalan nach langem Streit mit Disney vom Studiosystem gelöst, um seine eigene Vision bedingungslos durchzupeitschen. Für „The Happening“ zog er zur 20th Century Fox weiter und musste sich in Folge seiner verlorenen Allmacht zumindest einige kleinere Drehbuchkorrekturen gefallen lassen. Doch im Kern steht auch dieser Film archetypisch für Shyamalans Einstellung: Der feste Glaube an das Übernatürliche und die Liebe, diese immer wiederkehrenden Motive seines Schaffens, dominieren auch „The Happening“. Klar ist: Auch für dieses minimalistische Werk wird der Regisseur Prügel einstecken müssen und als Schnarchnase und Naivling beschimpft werden.
Wer die vom Trailer geweckten Erwartungen auf ein Action-gespicktes Endzeit-Spektakel im Roland-Emmerich-Stil konsequent zurück stellt, kann sich auf ein ruhiges Mystery-Drama freuen, das von seiner stilsicheren Inszenierung und den überzeugenden Gänsehautmomenten lebt. Unaufgeregt und wenig effekthascherisch geht Shyamalan sein Weltuntergangsszenario an, schöpft in der zweiten Filmhälfte das am Anfang aufgeworfene Potenzial aber nicht aus, weil er sich zu sehr auf den überflüssigen Nebenschauplatz „Beziehungskrise“ konzentriert. Zuvor greift er souverän die Post-9/11-Hysterie auf, die sich nach den Anschlägen auf das World Trade Center innerhalb weniger Stunden in den USA rasend schnell verbreitete – auch in „The Happening“ schreit zunächst einmal alles: „Terrorattacke“. Wie der Filmemacher dieses Szenario auflöst, ist als Kommentar zur gesellschaftlichen Lage und globalen Problemen zu verstehen. Hier bietet Shyamalan in der Wahl der Mittel reichlich Reibungsfläche. Obwohl den ganzen Film hindurch immer neue Theorien über die Ursache des Seuchenherds aufgebracht werden, liegt die wahre Ursache doch recht früh auf der Hand.
Die besten Argumente für sich selbst liefert Shyamalan mit inszenatorischen Schmuckstücken, die er über die 90-minütige Spielzeit verteilt – insgesamt gibt es hiervon etwa eine Handvoll, exemplarisch sei eine Sequenz gleich zu Beginn genannt, in der Bauarbeiter sich massenhaft von einem Hochhaus schmeißen. Schauspielerisch wird hingegen wenig gefordert. Der einzige große Name, Mark Wahlberg (The Departed, I Heart Huckabees, Vier Brüder), ist dazu auch noch gegen den Strich des harten Kerls besetzt, funktioniert als Identifikationsfigur aber recht ordentlich. Der Rest ist nur füllendes Beiwerk. John Leguizamo (Moulin Rouge, Carlitos´ Way) steuert noch etwas Kragenstärke hinzu. Die schwelenden Beziehungsprobleme, für die Zooey Deschanel (Per Anhalter durch die Galaxis, Zum Ausziehen verführt) steht, wirken sich kontraproduktiv auf den Film aus, weil sie das Vorankommen der Geschichte behindern und vom eigentlichen Thema unnötig ablenken. Dies lässt den Eindruck aufkommen, Shyamalan habe die Storyline einer Kurzgeschichte ganz keck auf Kinofilmlänge aufgeblasen. Tatsächlich setzt er stark auf das Stilmittel Reduktion, was auch auf die zurückgenommenen Handlungsstränge zutrifft.
In den USA wird „The Happening“ damit beworben, dass dies Shyamalans erster R-Rated-Film sei. Die deutsche Version ist leider an einigen Stellen geschnitten: Ein Löwenbiss, ein Rasenmäherunfall und eine zweckentfremdete Haarnadel fielen der Schere zum Opfer, was gerade angesichts der FSK-16-Freigabe in Deutschland hochgradig lächerlich ist. Die explizite Brutalität ist insgesamt sehr überschaubar, lediglich die Thematik um die Massenselbstmorde wird die heeren Hüter der Kinomoral umgetrieben haben. Wer sich anhand dieser (über-)hohen Einstufung ein Gorefest erhofft, wird also enttäuscht.
Fazit: Mit „The Happening“ hat M. Night Shyamalan zwei Gänge zurückgeschaltet und sich mutig an den Scheideweg seiner Laufbahn manövriert. Erfolg oder Misserfolg seines Botschaftsfilms werden über den Fortgang seiner Karriere entscheiden: Folgen seine Jünger, gibt es für den autarken Regisseur/Autor/Produzent weiterhin die großen Budgets, lässt sich das Publikum von der Missstimmung leiten, ist erst einmal Schluss damit – zumindest, bis Shyamalan sich mit einem Box-Office-Hit wieder qualifiziert. Denn die alte Hollywoodregel gilt immer noch: Du bist nur soviel wert wie dein letzter Film…