Obwohl das Drama „Sweet Mud“ von Dror Shaul ein unpolitischer Film ist, steht in dessen Zentrum eine Organisationsform, die durchaus politische Aktualität beweist. Das Geschehen um den heranwachsenden Dvir spielt nämlich in einem so genannten Kibbuz. Unter diesem Begriff sind Siedlungen gefasst, die sich seit dem Jahr 1910 auf dem Boden des jetzigen Israel bildeten. Erste Landnahmen auf zuvor palästinensischem Gebiet wurden so ermöglicht und stellten in der Folge eine Grundlage bei der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 dar. Betrachtet man die nach wie vor anhaltenden Konflikte auf diesem Gebiet, gewinnt der sezierende Einblick, den der Film in die Strukturen des Kibbuz bietet, eine gewisse Brisanz. Andererseits, und das hauptsächlich, erzählt „Sweet Mud“ vom zwölfjährigen Dvir, der nach seiner Bar Mizvah als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft gelten soll. Die Geschichte einer Initiation also, die zwar schonungslos alles in den Blick nimmt, aber dadurch auch etwas verschroben wirkt und in formaler Hinsicht zu unentschieden bleibt.
Israel, 1974. Dvir (Tomer Steinhof) lebt in einem Kibbuz. In der Gemeinschaft, in der jeder seinen Teil zum Wohlergehen aller beiträgt, fällt Dvir mit seinen zwölf Jahren noch keine Aufgabe zu. Er und seine gleichaltrigen Freunde werden von Lehrern und Erziehern vorbereitet, vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu werden. Dvir leidet dabei unter seiner Außenseiterposition, da er der einzige ist, der keinen Vater mehr hat. Außerdem hat seine Mutter Miri (Ronit Yudkevitch) eine psychische Krankheit, was die beiden zusätzlich stigmatisiert. Um die Einsamkeit und Niedergeschlagenheit von Miri mit neuem Leben zu füllen, hilft Dvir aufopfernd dabei, ihre alte große Liebe Stephan (Henri Garcin) dazu zu bewegen, zu ihr zurückzukehren. Als Stephan tatsächlich kommt, ist Dvir, der sich auf einen Vater gefreut hat, enttäuscht. Der ehemalige Judo-Weltmeister ist inzwischen ein alter Mann. Der Versuch von Stephan und Miri, eine neue Beziehung aufzubauen, scheitert, da Stephan nach kurzer Zeit im Kibbuz nicht mehr erwünscht ist. Die Option den Kibbuz zu verlassen, ist für Miri undenkbar. Doch Dvir setzt weiterhin alles daran, erneut zwischen den beiden zu vermitteln, um einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu finden…
Während sich „Sweet Mud“ am Anfang noch mehr auf die Strukturen des Kibbuz konzentriert, verliert sich diese Perspektive schnell zugunsten der Erkrankung von Dvirs Mutter. Diese Nebeneinanderstellung ist insofern interessant, da ja beide äußeren Systeme – also das des Kibbuz und das des Wahnsinns der Mutter – sich stark auf die Entwicklung von Dvir auswirken. So wird eine Vergleichbarkeit hergestellt, da sich gerade zu Beginn die Frage stellt, wer hier wirklich ärztliche Hilfe braucht. Die Methoden und Verhaltensweisen der Kibbuz-Bewohner wirken allesamt fragwürdig und stehen dem seltsamen Verhalten von Miri in nichts nach. Diese Parallele ist im Film leider nur latent angedeutet. Was schade ist, weil gerade dadurch eine große Stärke, die „Sweet Mud“ sicher spannender und interessanter gemacht hätte, verloren geht. Denn letztlich wird alles dem Wahnsinn Miris in die Schuhe geschoben, was auf die Dauer des Films zu monokausal und damit zu leicht erklärbar wirkt.
Der Humor von „Sweet Mud“, der trotz des dramatischen Genres an vielen Stellen spürbar wird, ist zudem nicht unmittelbar zugänglich. Früh erlebt Dvir mit, wie sich einer seiner Nachbarn von einem Kälbchen einen blasen lässt, bevor er es füttert. Derselbe Nachbar regt sich in folgenden Szenen permanent über die ungezügelte sexuelle Aktivität des Hunds von Dvir auf, der ständig seine Hündin schwängert. Solche eher derben, um mehrere Ecken gedachten Witze verstecken sich im ganzen Film und greifen mitunter sehr tief in die Trickkiste. Etwas erstickt werden gerade die sexuell konnotierten Gags dadurch, dass die Welt des Kibbuz ja gerade den Gegenpol zu Dvir bildet, der seine Sexualität erst entdeckt. Die autobiographischen Bezüge, die es wohl in der Figur des Dvirs gibt, lassen für Regisseur und Drehbuchautor Dror Shaul hoffen, dass die verdorbene Welt des Kibbuz nicht allzu großen Schaden hinterlassen hat.
Stilistisch gibt sich der Film eher besinnlich und ruhig. Ein kalter und sezierender, manchmal kindlich forschender Blick prägt die Position der Kamera, die sehr genau aufzeichnet und hauptsächlich auf Dvir konzentriert ist. Ein Kontrast entsteht dadurch, dass die Schönheit, die zum Beispiel im Landschaftlichen gefunden wird, mit dem schweren Subtext der Handlung aufgeladen und teils gebrochen wird. Auch wenn dies rein strukturell auf ein ironisches Verfahren verweist, funktionieren die meisten Szenen doch ohne dies bewusst zu nutzen. Schwierig wird das allerdings mit Blick auf die angestrebte Beziehung zwischen Miri und Stephan. Diese bleibt dadurch in der Darstellung eher flach und oberflächlich und hätte mehr Tiefe gut vertragen.
Nichtsdestotrotz steckt schon auch handwerkliches Können in „Sweet Mud“. Die Schauspieler, vor allem die Besetzungen der Rollen der Jugendlichen und allen voran natürlich Tomer Steinhof als Dvir, überzeugen mit einem reifen Spiel, das ihnen durchgängig abzunehmen ist. Die spärlich eingesetzte Musik genügt zwar meist nicht, um die Wirkung der emotional aufgeladenen Stellen richtig zur Entfaltung zu bringen, geht tendenziell aber nicht in die falsche Richtung. Generell bleibt noch zu würdigen, dass Dror Shaul sich dem heiklen Thema der Kibbuzim angenommen hat und diese mit seinem kritischen Ansatz hinterfragt. Dies schätzen wohl auch die Juroren auf diversen Filmfestivals, auf denen „Sweet Mud“ schon achtbare Erfolge für sich verzeichnen konnte.