Vor zwei Jahren legte Borat, ein naiv-sexistischer TV-Reporter aus Kasachstan, schonungslos die Doppelmoral der Amerikaner bloß. Ob Republikaner oder Feministinnen – als Borat nahm Sacha Baron Cohen in seiner Mockumentary alles und jeden aufs Korn. Nun ist der britische Kultkomiker zurück: als Brüno, der schwule Moderator der Fashionshow „Funkyzeit“ im Österreichischen Jugendfunk. Das Prinzip ist dasselbe geblieben: Hemmungslos und ohne Rücksicht auf den guten Geschmack findet hier jedes Vorurteil gegen den ansonsten oft gepriesenen American Way of Life seine Bestätigung. Amerikaner hassen Schwule, betrachten billige Arbeitskräfte aus Mexiko als Selbstverständlichkeit und würden für 15 Minuten Ruhm einfach alles tun. Und mit „alles“ ist wirklich „alles“ gemeint! Das ist meist saukomisch und sehr, sehr böse. Dennoch reicht „Brüno“ (Regie: Larry Charles) nicht ganz an seinen Vorgänger heran. Es fehlt einfach die Frische, mit der „Borat“ damals aus dem Nichts kam und die Welt (mit Ausnahme des konservativen Amerikas) im Sturm eroberte. Im zweiten Anlauf wirken nun nicht nur die globusumspannenden Werbeaktionen, sondern auch Teile des Films wie eine perfekt durchexerzierte Marketingkampagne.
Aufgrund eines Klettbandvorfalls bei der Mailänder Modewoche verliert Brüno (Sacha Baron Cohen) seinen Job als Fashionpolizist beim österreichischen Staatsfernsehen. Doch Brüno lässt den Kopf nicht hängen. Er hat sich fest vorgenommen, ein Weltstar zu werden und dieses Ziel mit allen Mitteln zu verfolgen. Gemeinsam mit seinem Assistenten Lutz (Gustav Hammarsten) fliegt er nach Hollywood, um von dort aus sein Vorhaben voranzutreiben. Zunächst versucht sich Brüno als Moderator seiner eigenen Interviewshow: In einer unmöblierten Villa, in der lediglich ein paar mexikanische Gärtner als Stuhlersatz knien, empfängt er seine Gäste. Die Popsängerin Paula Abdul zögert nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor sie sich auf einem der „Mexican Chairpeople“ niederlässt. Natürlich befragt Brüno sie zum Einstieg nach ihrer weitreichenden Wohltätigkeitsarbeit. Dummerweise fällt die Show beim Testpublikum durch, weil Brüno immer wieder Großaufnahmen seiner schwingenden Genitalien zwischen die Interviews geschnitten hat. Also sucht der lauwarme Alpenstaatler nach weiteren Wegen, um berühmt zu werden…
Sacha Baron Cohen (Ali G. Indahouse, Ricky Bobby – König der Rennfahrer, Sweeney Todd) kennt als „Brüno“ weder Scham noch Erbarmen. Auch in Sachen Marketing macht der Brachialkomiker keine halben Sachen. Am Brandenburger Tor lief er kürzlich in einem rosafarbenen Kostüm auf, an dem großzügig proportionierte Plüschgenitalien angebracht waren. In seiner Heimatstadt London brüskierte er die Queen in einem queeren, bauchfreien Outfit, das den Uniformen der königlichen Garde nachempfunden war. Und bei den MTV Movie Awards schwebte er als schwuler Engel an Drähten herein, um nach einer inszenierten technischen Panne mit seinem besten Stück im Gesicht von Eminem herum zu wedeln, woraufhin der Rapper wutentbrannt aus dem Saal stürmte. Ganz ohne Anstand ist aber auch Cohen nicht. Eine Szene, in der Brüno LaToya Jackson die Privatnummer ihres Bruders Michael entwendet und laut in die Kamera diktiert, wurde nach dem tragischen Tod der Pop-Ikone nachträglich wieder aus dem Film entfernt.
Mit der Furcht- und Schamlosigkeit, mit der Sacha Baron Cohen sowohl in Interview- als auch in Gross-Out-Szenen in die Bresche springt, warten auch vergleichbare Comedians aus dem deutschen Privatfernsehen wie Simon Gosejohann oder Christian Ulmen auf. Aber bei Cohen kommen noch ein feines Gespür für Ironie sowie ein untrüglicher Riecher für Realsatire hinzu. Witze über den Adoptions-Wahn von Madonna & Co. finden sich in jeder Freitag-Abend-Comedy. Aber mit Brüno erreicht dieses eigentlich ausgelutschte Thema einen neuen Level, wenn er mit seinem schwarzen Baby, das er aus Afrika in einem Pappkarton nach Amerika geschafft hat, als alleinerziehender Vater in einer Talkshow aufläuft und damit breite Ablehnung seitens des überwiegend farbigen Publikums provoziert. Er haut nicht einfach nur Brangelina und Konsorten in die Pfanne, das wäre viel zu einfach. Er führt zugleich auch das Durchschnittspublikum vor, das sich zwar jeden Morgen Illustrierte mit Fotos von Angelina Jolies (gekauften) Kindern gönnte, sich dann aber herrlich darüber echauffiert, das der schwule Brüno ein afrikanisches Baby eben ein wenig günstiger, sprich: im Tausch für einen i-Pod, geschossen hat. Bissiger kann man die grassierende Doppelmoral kaum auf den Punkt bringen.
Auch auf die Geltungssucht der Amerikaner hat Brüno es abgesehen. Um als Fotograf berühmt zu werden, plant er ein Shooting, bei dem sein Baby in Jesusmanier am Kreuz hängt. Nun sucht er bei einem Casting nach weißen Babys, die den jüdischen Mob im Vordergrund verkörpern. Im Vorfeld befragt er die ambitionierten Eltern, ob sie denn ein Problem damit hätten, wenn ihre Babys bei hohen Geschwindigkeiten ohne Kindersitz in einem Auto mitfahren oder mit gefährlichen Chemikalien in Berührung kommen würden. Die schwer begreifliche Antwort lautet stets: „Nein.“ Eine besonders ehrgeizige Mutter stimmt sogar ohne mit der Wimper zu zucken zu, ihr einjähriges Baby vor dem Shooting einer Fettabsaugung zu unterziehen. Nicht die einzige Szene, bei der dem Publikum das Lachen im Halse stecken bleibt.
Trotzdem macht sich am Ende ein leicht schaler Nachgeschmack breit, der „Brüno“ im direkten Vergleich mit „Borat“ dann doch den Kürzeren ziehen lässt. Denn auch wenn diesmal ein schwuler Österreicher statt eines sexistischen Kasachen auf Amerika losgelassen wird, gleichen sich die Konzepte im Endeffekt doch zu sehr. Im ersten Film gab es Azamat, einen extrem behaarten Gehilfen, mit dem sich Borat auf einen nackten, in jeder Hinsicht abstoßenden Ringkampf einließ. Brüno hat nun auch einen Assistenten, nämlich den nicht ganz so heimlich in ihn verknallten Lutz, mit dem er sich schließlich in einem Cagefight-Ring herumwälzt. Doch damit enden die Parallelen noch nicht: Genau wie bei „Borat“ fallen auch in „Brüno“ die gestellten Sequenzen, die zum vorantreiben der Rahmenhandlung nötig sind, deutlich im Vergleich zu den realen Szenen ab. Es gilt auch die alte Hollywood-Weisheit: Was einmal funktioniert, das funktioniert auch ein zweites Mal. Nur ist es diesmal eben nicht mehr ganz so originär und Sacha Baron Cohen sollte bei einem eventuellen dritten Anlauf dann doch besser die eine oder andere Abänderung an seinem Erfolgskonzept in Betracht ziehen.
Fazit: „Brüno“ ist „Borat“ reloaded. Der schwule Österreicher ist fast genauso lustig und sogar noch einen Tick bösartiger als sein kasachischer Kollege. Aber in Sachen Frische und Originalität kann er seinem Vorgänger dennoch nicht das Wasser reichen.