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    Sàbado - Das Hochzeitstape
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Sàbado - Das Hochzeitstape
    Von Nicole Kühn

    Der schönste Tag im Leben einer Frau muss heutzutage selbstredend per Kamera verewigt werden. Der Hochzeitstag soll unvergesslich sein, aber um wirklich jede emotionale Regung auch nach Jahren noch parat zu haben, wird Beweismaterial erstellt. Und das Hochzeitstape, das wir hier zu sehen bekommen, schäumt über vor Gefühlsexplosionen – schließlich ist es keine gewöhnliche Hochzeitsfeier, der wir in Matías Bizes Drama „Sábado - Das Hochzeitstape“ beiwohnen.

    Voll hilfloser Wut stapft Antonia (Antonia Zegers) zielstrebig und auf die Männer schimpfend durch ein nobles Wohnviertel, begleitet von ihrem Nachbarn Gabriel, der mit der Videokamera das bevorstehende Drama festhalten soll - egal, was passiert! Es ist jedoch nicht ihr treuloser Liebhaber, zu dem sie stürmt, sondern dessen Braut. Blanca (Blanca Lewin), in voller Hochzeitsmontur und kurz vor dem Aufbruch zur Kirche, reagiert zunächst ungläubig und aggressiv auf Antonia. Dann jedoch begreift sie, dass Victor (Victor Montero) nicht nur die letzte Nacht bei Antonia verbracht hat, sondern sie auch geschwängert hat. Abrupt verschwistert sich Blanca mit der ebenfalls Betrogenen, schnappt sich deren Kamera samt Kameramann und macht sich auf zu einer Tour de Force. Mit dem Verlobten beginnt sie einen heftigen Schlagabtausch noch während der unter der Dusche steht und setzt diesen unbeirrbar auf der Straße fort. Sie im Hochzeitskleid und er im knappen Handtuch. Nach dieser ersten Hitzewallung kühlt sie sich bei alten Freunden mit einem Drink und einem Joint ab. Schließlich versucht sie, aus diesem Tag doch noch das Beste heraus zu holen und besucht ihren Dauerflirt Diego (Diego Muñoz), der sie beglücken soll – doch das Glück will manchmal einfach nicht so, wie man sich das denkt.

    Auf den ungewöhnlichen Stationen ihres Hochzeitstages spielt Blanca die Varianten der Auseinandersetzungen mit dem Paarungsverhalten der menschlichen Spezies durch. An die Stelle der Gelöbnisse ewiger Treue treten Analysen darüber, warum Männer und Frauen sich so schwer tun damit, dauerhaft miteinander glücklich zu werden. Naturgemäß wird diese Debatte mit dem fast Angetrauten hoch emotional geführt. Die gängigen Sprüche vom Mann, der nun mal seiner Natur nach nicht monogam sein könne und trotzdem nur die eine wirklich liebt, werden allein durch den extrem mannhaften Auftritt im Adamskostüm der Lächerlichkeit preisgegeben. Dass die Vorstellungen über den Traumpartner von beiden Seiten in sich widersprüchlich und kaum zu erfüllen sind, wird durch das befreundete Pärchen deutlich. Schließlich tritt Blanca selbst den Beweis an, dass auch sie nicht frei von Schuld ist und ebenso gut wie Víctor durchaus dazu in der Lage ist, Männer lediglich zur Befriedigung von Bedürfnissen zu benutzen – und dass auch in dieser Hälfte der Menschheit Exemplare existieren, die sich dafür nicht hergeben möchten.

    Der Clou des jungen chilenischen Regisseurs Matías Bize besteht in der Idee, den gesamten Film in einer durchgängigen Einstellung in Echtzeit zu drehen. Durch diesen dogmatischen Ansatz entstehen Phasen, die durch Leerlauf geprägt sind. Das entpuppt sich jedoch schnell als ein nur äußerer Eindruck, der diejenigen täuscht, die auf Handlung fixiert sind. Die Figuren werden gerade in den Pausen zwischen den Ereignissen authentisch, dann, wenn äußerlich gerade nichts passiert und die Zeit still steht. Dann eröffnet sich der Raum für die Auseinandersetzung mit sich selbst. Die Suche nach Wahrhaftigkeit ist letztlich der Dreh- und Angelpunkt für das Entstehen dieses fiktionalen „Hochzeitstapes“. Als ob sie Angst hätten, dem realen Geschehen später nicht mehr trauen zu können, bestehen die beiden Hauptdarstellerinnen darauf, die Kamera selbst in den intimsten Momenten nicht abzuschalten. Die digitale Kamera wird zu einem neuen Tagebuch, allerdings zu einem völlig unmittelbaren und untäuschbaren. Während in die Schriftform bereits Reflektionen über das eigene Handeln einfließen, wird es hier ohne jeden Filter dokumentiert.

    Das rückt den Film stellenweise in die Nähe der gefürchteten Homevideos, die ohne Schnitt und Dramaturgie vermeintlich wichtige Ereignisse aus dem persönlichen Umfeld festhalten. Der Unterschied ist, dass hinter diesem scheinbar realen Tag eine fiktionale Geschichte steht, die sehr wohl einen Spannungsbogen mit einem konkreten Anfang und einem bewusst gesetzten Ende hat. Die Story hält einige witzige Situationen bereit, kann jedoch in ihrem realistischen Gestus nicht allzu weit über das hinausgehen, was wir aus unserem eigenen Leben kennen. Der Moment der Abblende bei Bize markiert auch den Punkt, an dem die mediale Selbstbespiegelung nicht mehr weiter führt und das Leben auf sich selbst zurückgeworfen wird. Damit werden gleichzeitig die Grenzen des Mediums offen gelegt.

    Der Griff zur Digitalkamera ist für Bize, wie für viele andere junge lateinamerikanische Filmemacher, eine aus der Not geborene Tugend. Die finanziellen Möglichkeiten sind sehr beschränkt. Also müssen die Geschichten, die man erzählen will, auf eine bezahlbare Weise umgesetzt werden. Daraus hat sich eine neue, sehr direkte Art des Filmemachens entwickelt, die inmitten der überbordenden Technik- und Special-Effect-Spektakel US-amerikanischer Mega-Produktionen erfrischend direkt und unverblümt wirkt. Gleiches gilt für die Schauspieler, die als Identifikationsfiguren ungestelzte Sätze von sich geben und nicht die Unerreichbaren sind, auf die man Träume zu projizieren pflegt.

    Diesen anderen Weg konsequent zu beschreiten und die Aufmerksamkeit auf die (Anti-)Helden des Alltags zu lenken, ist mutig und bringt frischen Wind auf die Leinwand. Mutig vor allem deshalb, weil hier die Sehgewohnheiten und die Dramaturgie des rasanten Kamerafahrten und Schnitte ganz offen, fast schon provokativ gebrochen werden und damit für einen Großteil des Publikums nicht attraktiv sein dürfte. Dafür, dass Bize sich mit seiner kleinen Kamera der großen Welt der kleinen Leute nähert, wurde er beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg, dem Festival für Arthouse-Kino zwischen überhöhter Kunst und anspruchslosem Kommerz, mit dem Rainer-Werner-Fassbinder-Preis ausgezeichnet und erhielt eine besondere Erwähnung der Kritikerjury sowie eine Empfehlung der Jury der Kinobesitzer.

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