Der Titel von Ryan Eslingers Episodendrama „When A Man Falls In The Forest“ erinnert nicht nur zufällig an die streitbare philosophische Frage „Wenn ein Baum im Wald fällt und keiner ist da, um es zu hören, macht es dann ein Geräusch?“ Vielleicht kann man sie, etwas umformuliert, auch als eine Frage nach den wahrnehmbaren Wirkungen verstehen: Geschieht überhaupt etwas in ihrer Umgebung, wenn sich im Leben einer Person etwas gravierendes verändert, oder sie gar die Bühne des Diesseits verlassen hat? Wer bekommt davon etwas mit?
Im Mittelpunkt des Films stehen eine Frau und drei Männer, deren Leben miteinander lose verbunden ist, die aber alle auf die eine oder andere Weise von der Welt abgeschnitten sind. Bill (Dylan Baker, Spider-Man 2, Road To Perdition) ist diesbezüglich das offensichtlichste Beispiel. Er meidet den Kontakt zu anderen, spricht nicht viel und scheint fast eine Form von Homophobie ausgebildet zu haben. Weil er nachts arbeitet, schläft er tagsüber in seinem anonymen kleinen Appartement und die Traumwelt ist seine einzige Möglichkeit, seinem Wachgefängnis zu entrinnen. Seinen Job als Hausmeister übt er seit Jahren in der Firma seines ehemaligen Schulkameraden Gary (Timothy Hutton, Der gute Hirte, Kinsey) aus. Als Letzterer immer öfter des abends am Schreibtisch einschläft, laufen sich die beiden zum ersten Mal über den Weg, obwohl sie seit Jahren denselben Brötchengeber haben. Gary zieht nichts mehr nach Hause. Er wirkt apathisch, übernächtigt; die Beziehung zu seiner Frau Karen (Sharon Stone, Basic Instinct, Casino, Alpha Dog) ist von Kälte und Entfremdung geprägt, genau wie das ländlich gelegene dekadente Haus des Paares. Karen scheint ebenfalls resigniert zu haben. Die wenigen Worte, die ihr über die Lippen kommen, sind geprägt von Zynismus und Anschuldigungen. Ihren Tag verbringt sie damit, sich mit Ladendiebstählen und anderen kleinen Kicks Aufmerksamkeit und Abwechslung zu verschaffen. Nach seinem einsilbigen Treffen mit Bill in der Firma fühlt sich Gary an seine Schulzeit erinnert und ruft daraufhin einen anderen Freund an, Travis (Pruitt Taylor Vince, Monster, Identität). Auch Travis wird von einem Dämon aus der Vergangenheit gejagt und lebt ein mechanisches Leben ohne jede Erfüllung.
Die Trostlosigkeit, die sich durch diese Beschreibung zieht, spiegelt sich auch in der Ästhetik des Films wieder. Symmetrische Bilder, sterile Wohnungen, kaltes Licht und eine weitgehende Farblosigkeit zeichnen den amerikanischen Independentfilm aus. Vor allem aufgrund von Erstgenanntem ist deswegen aber ein Sehgenuss durchaus vorhanden. Im Kontrast zum zermürbenden Alltag stehen vor allem Bills Traumsequenzen. Als er lernt, mit einer Hörbuchkassette mit dem Titel „Lucid Dreaming“ seine Träume zu steuern, äußern sich auf heftige und komische Weise seine verdrängten Wünsche und Triebe, was ein unterhaltsames Element in der Tristesse des Films ausmacht.
Allen voran ist es die schauspielerische Leistung von Dylan Baker in der Rolle des sympathisch-unbeholfenen Bills, die den Zuschauer emotional an den Film bindet. Man hofft und wünscht sich mit ihm einen Ausweg aus seinem öden Teufelskreis und atmet auf, wenn ein warmer Sonnenstrahl seine gewöhnliche kleine Wohnung durchflutet. Wenngleich nicht in ähnlichem Maße interessant, sind auch die beiden anderen Männer und ihr verzweifelter und künstlicher Versuch, eine eingestaubte Freundschaft wieder aufleben zu lassen, ein Element in der Entwicklung des Plots, die ihn spannend machen. Künstlich oder überstilisiert mag jedoch auf den einen oder anderen gerade diese oben erwähnte, geometrisch präzise Art der Hochglanz-Inszenierung des Zirkel des Leidens wirken. Bleibt das für den Großteil des Films noch eine Frage von Geschmack, wird es bei Sharon Stones Charakter Karen und deren überzogener Darstellung allerdings überdeutlich. Zwar wird eine Hintergrunderklärung für den Zusammenbruch der Ehe zwischen ihr und Gary gezielt ausgespart, möglicherweise macht aber gerade diese Tatsache Karen zu einer ungerechten und in Selbstmitleid versunkenen Persönlichkeit. Als Gary in seiner Verzweiflung versucht, die Ehe zu retten, sich zu erklären und einen Anfang zu machen, blockt sie ihn stur ab. Schließlich schüttet er Karen in einem ungeahnten und mitreißenden Schwall von Emotionen in einem minutenlangen Monolog sein Herz auf dem Anrufbeantworter an ihrem Arbeitsplatz aus, nur, damit sie seine Nachricht ungehört löscht. Hinzu kommt bei Stone ein Gesichtsausdruck, der so deprimiert wirkt, als hätte die Maske neben den kaum zu übersehenden Augenringen auch gleich noch ein paar Heftklammern für die Mundwinkel im Schminkkasten gehabt. Letztlich führt dies alles in Kombination nicht nur dazu, dass man Karen nicht als gebeutelte Ehefrau ernst nimmt, sondern sich auch noch über ihre Borniertheit ärgert. So bleibt sie am Ende auch die einzige der vier Protagonisten, die keine Anstalten nimmt, etwas an ihrer Lage zu ändern und sich auch sonst keinen Millimeter vorwärts zu bewegen scheint.
Die abgewandelte philosophische Frage, die der Titel stellt, wird in erster Linie durch den Verlauf von Garys Schicksal aufgegriffen, kann aber auch auf die anderen Figuren bezogen werden. Erwartungsgemäß kann und will auch „When A Man Falls In The Forest“ darauf keine eindeutigen Antworten geben, setzt sich aber in interessanter filmischer Weise damit auseinander. Aus genannten Gründen bleibt der Film dabei bis zu einem gewissen Grad Geschmackssache. Sieht man von Sharon Stone und ihrer Figur ab, hat Ryan Eslinger aber mit seinem diesjährigen Berlinale-Beitrag in jedem Fall einen durchaus sehenswerten, ruhigen Film abgeliefert. Vor allem eines überzeugenden Dylan Baker wegen erzählt er in stilvollen Bildern und nicht ohne Spannung davon, dass Menschen nicht nur in Gefängnissen gefangen sein können – und dass dieser Zustand nicht immer hoffnungslos sein muss.