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    Princess
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Princess
    Von Ulf Lepelmeier

    Dass nicht alle Animationsfilme per se nur für ein junges Publikum gedacht sind, sollte sich mittlerweile auch bis in den hintersten Winkel Europas herumgesprochen haben. In Japan hat die Gleichsetzung von animiertem Film und familienfreundlichen Inhalten ohnehin nie stattgefunden, aber in den letzten Jahren haben herausragende Werke wie „Persepolis" oder „Waltz with Bashir" bewiesen, dass anspruchsvolle Animationsfilme für eine erwachsene Zuschauerschaft sehr wohl auch aus anderen Ländern kommen können. Trotzdem fällt der nur auf Krawall und Provokation abzielende dänische Film „Princess" durch den auffälligen Kontrast zwischen detailarmem Bilderbuchlook und roher Gewalt aus dem Rahmen. Regisseur Anders Morgenthaler belässt es nicht bei einem blutigen Selbstjustizdrama im Animationsgewand, sondern stößt mit dem von grobkörnigen Videoaufnahmen durchsetzen Drama über einen gottesfürchtigen Racheengel und ein kleines Mädchen auch noch Themen wie Pornographie, Kindesmissbrauch und die Übersexualisierung der modernen Gesellschaft an.

    Der 32-jährige August war jahrelang als Missionar im Ausland unterwegs. Als er vom Drogentod seiner Schwester Christina erfährt, kehrt er in die dänische Heimat zurück. Christina war unter dem Pseudonym „Princess" der Star der Pornofirma „Paradies Lust", die auch nach dem Tod ihres Aushängeschilds Geld mit ihm scheffelt. August übernimmt die Vormundschaft für Christinas fünfjährige Tochter Mia. Wütend über den Tod Christinas, geschockt von den Misshandlungen die Mia erleiden musste und gepeinigt von Schuldgefühlen, beschließt August den Namen seiner toten Schwester reinzuwaschen. Er will alle Erzeugnisse, die sie unter dem Namen „Princess" erstellt hat, vernichten und ihre Peiniger bestrafen. Entschlossen beginnt er einen blutigen Rachefeldzug gegen „Paradies Lust" und dessen Inhaber King Charlie.

    Mia hat in ihren jungen Jahren schon viel erlebt und kennt sich im Milieu der Prostitution und der hemmungslos ausgelebten Sexualität besser aus als mit harmlosen Kinderspielen. Ihr Onkel ist entsetzt von ihren Äußerungen und ihrer scheinbaren Abgebrühtheit. Doch hinter der frühreifen Fassade ist Mia ein verängstigtes kleines Mädchen, das seine Mutter vermisst und nach Geborgenheit sucht. August möchte ihr diese Zuwendung geben und sie vor allem Unheil beschützen. Er will die Schatten der Vergangenheit des Kindes, der seelischen und körperlichen Qualen, die es durchleiden musste, verjagen. Unverständlicherweise lässt er seine kleine Nichte aber seinen unglaublich brutalen Rachefeldzug miterleben und ermuntert die Fünfjährige sogar dazu, selbst Gewalt auszuüben. Dies ist dann nicht nur gänzlich unmoralisch, sondern lässt Augusts gute Absichten schlicht unglaubwürdig werden. Angeblich will er dem Mädchen eine schönere Welt eröffnen, aber so gelangt Mia nur von einer sexuell freizügigen, perversen Umwelt nur in eine ungeheuerliche Gewaltspirale, die kein gutes Ende nehmen kann. Auf diese Weise mutet „Princess" fast schon wie eine ironische Illustration des fragwürdigen Praxis amerikanischen Jugendschutzes im Bereich der Unterhaltungsindustrie an, mit seiner Verteufelung alles Sexuellen und der überaus laxen Einstellung gegenüber Gewaltdarstellungen.

    Auch in Regisseur Morgenthalers 2006 entstandenem Regiedebüt, das er als Reaktion auf die „Pornofizierung" der Gesellschaft verstanden haben will, wird Erotik verdammt, während Gewalt etwas zu genüsslich zelebriert wird. Es bleibt dabei unklar, warum August über keinerlei Hemmschwelle verfügt, was die Gewaltausübung angeht. Er stellt sein brutales Vorgehen nie in Frage und bleibt bis zum Schluss ein fanatischer Rachepriester ohne wirkliche eigene Vergangenheit. Seinem Gegenspieler King Charlie kommt die ebenso schematische Rolle eines undurchsichtigen Phantoms zu, während Mias Mutter eine Tote ohne Gesicht bleibt. Der inhaltlich oberflächlichen Figurenzeichnung entspricht letztlich eine häufig zu skizzenhafte Animation, auch wenn das markante Figurendesign zuerst an „Das große Rennen von Belleville" denken lässt. Nur fehlt Morgenthalers Protagonisten der emotionale Ausdruck, den Sylvain Chomet den Figuren in seiner Geschichte über die Entführung eines Tour-de-France-Teilnehmers verleiht.

    „Princess" ist ein eigenwilliges und unterkühltes Rachedrama in karger Optik. Die detailarme Animation und die nicht immer flüssigen Bewegungsabläufe werden dabei sinnfällig von eingestreuten Realfilmszenen ergänzt. Die verwackelt und verpixelt daherkommenden Videoaufnahmen, die immer wieder kurze, wenn auch fragmentarische Einblicke in die Vergangenheit bringen, stellen dabei trotz ihrer mangelhaften Optik einen Gewinn für den Film dar . Sie bringen wenigstens ein bisschen Licht in die Handlung, brechen mit dem Wechsel von Animations- in Realfilm mit den Sehgewohnheiten und erinnern ein wenig an die frühen Dogmafilme. Da Lars von Triers Produktionsfirma Zentropa den eiskalten Rachefeldzug finanzierte, ist dies auch nicht weiter erstaunlich. Während der grobe Look und besonders die Homevideo-Optik gut zu der sperrigen Geschichte passen, wirkt der zwischenzeitliche 3D-Einsatz dagegen nur unbeholfen und wäre verzichtbar gewesen.

    Wenn August eine Träne an der kantigen Wange herunterläuft, die sich dann zu einem Tropfen aus dem Wasserhahn wandelt, der beim Aufprall ein dumpfes Geräusch erzeugt, bei dessen Klang August die Obduktionsakte seiner verstorbenen Schwester öffnet und zum ersten Mal wutentbrannt um sich schlägt, ist dies ein visuell cleverer Übergang und eine geschickte erzählerische Verdichtung zugleich, die allerdings eine Ausnahme bleibt. Trotz einiger solcher raffinierter Momente ist der Film als Ganzes sowohl inszenatorisch, als auch erzählerisch inkohärent. Der Regisseur greift meist auf eher grobe Methoden wie den übertriebenen Einsatz von Kruzifix- und Phallussymbolik zurück und er greift viel zu viele unterschiedliche Reizthemen auf, die er allesamt nicht sehr tiefschürfend behandelt. Aber immerhin behält er seinen schonungslosen Gestus konsequent bis zum brutalen Finale bei.

    Fazit: „Princess" ist eine in äußerst grober Pastellbebilderung präsentierte Racheorgie im millionenschweren Pornomilieu. Mit den kontrastierenden Videoeinschüben und der konsequent harschen Umsetzung kann der unsentimentale Film zwar punkten, doch obwohl hier einige heiße Eisen angegangen werden und der Zuschauer zur Reflektion über Gewaltdarstellung und Moralansichten angehalten wird, kann der ruppige Film nicht ganz überzeugen. Zu gewollt wird hier auf Provokation gesetzt und auch die Gesellschaftskritik kommt mit der aufdringlichen Symbolik etwas zu platt daher, als dass „Princess" als gelungenes aufrüttelndes Rachedrama verstanden werden könnte.

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