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    Die Geschwister Savage
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Geschwister Savage
    Von Carsten Baumgardt

    Tamara Jenkins‘ „Die Geschwister Savage“ ist brutal und schmerzhaft, trostlos und kalt, gar ein wenig misanthropisch. Eine Identifikationsfigur wird dem Zuschauer auch enthalten. Und doch ist das bittere Drama um das Tabuthema Tod ein Glücksfall für das unabhängige Kino. Regisseurin Jenkins findet im Alltäglichen das Besondere, erzählt eine Geschichte, deren düsterer Realismus den Betrachter zuweilen zu erdrücken droht, aber gerade ob dieser emotionalen Wucht, die so subtil hereinbricht, begeistert.

    Die Geschwister Wendy (Laura Linney) und Jon Savage (Philip Seymour Hoffman) führen an der amerikanischen Ostküste in New York bzw. Buffalo ihr eigenes Leben, haben überhaupt nur Kontakt, wenn es unvermeidlich ist. Als sich der Zustand ihres an Demenz und Parkinson erkrankten Vaters Lenny (Philip Bosco) dramatisch verschlechtert, sind die Geschwister gezwungen zu handeln. Lennys Freundin ist gestorben - ihr gehörte das Haus, in dem das Rentnerpaar seit Jahren lebte. Wendy und Jon setzen sich in den Flieger nach Sun City, Arizona, und versuchen, die Dinge zu regeln. Sie bringen Lenny in einem freudlosen Pflegeheim an der Ostküste unter. Last Exit: „Valley View“, so der klangvolle Name des tristen Horts. Wendy und Jon fristen ein verkorkstes Dasein. Wendy müht sich vergeblich als Theaterautorin, während Jon zwar als Professor an einem College unterrichtet und Bücher schreibt, sich aber in seiner Beziehung zu der Polin Kasia (Cara Seymour) als unfähig und chaotisch erweist. Wendy hat ein Verhältnis mit dem verheirateten Larry (Peter Friedman), was eigentlich unter ihrer Würde ist. Trotz einer wenig erfreulichen Kindheit werden beide gezwungen, ihren Vater nicht seinem Schicksal zu überlassen…

    Demenz im Alter, eine zerrüttete Familie, deren Kinder den Vater in den nahstehenden Tod begleiten müssen – das sind die tonnenschweren Themen, derer sich Tamara Jenkins („Hauptsache Beverly Hills“) angenommen hat. Aus dieser Konstellation heraus nicht in ein Rührstück Hollywood‘scher Prägung zu verfallen, ist einer der großen Verdienste des Films. „Die Geschwister Savage“ bleibt konsequent nüchtern und trotz der fehlenden Identifikationsmöglichkeiten findet sich hier jeder wieder, der persönlich schon mit solch einer schmerzlichen Situation klarkommen musste. Jenkins, die für ihr Originaldrehbuch mit einer verdienten Oscarnominierung bedacht wurde, zeichnet ein ungemein präzise beobachtetes Charakterporträt, das von herausragenden schauspielerischen Leistungen getragen wird.

    Bei der Besetzung verwundert dies allerdings nicht. Philip Seymour Hoffman (Capote, Boogie Nights, Mission: Impossible 3) steht in der Blüte seiner Kunst und ist mittlerweile zu den besten Schauspielern seiner Generation aufgestiegen. Hoffman kann einfach alles spielen. Nach seinen mimischen Tour des Forces zuletzt in Der Krieg des Charlie Wilson und Tödliche Entscheidung - Before The Devil Knows You’re Dead zeigt er hier seine introvertierte Seite, wie sie schon beispielhaft-brillant in Magnolia zu sehen war. Seine Leinwandpräsenz ist auch in ruhigen Momenten kaum zu bändigen, eine Golden-Globe-Nominierung für diese Rolle nur logisch. Jon Savages Privatleben ist trotz beruflichen Erfolgs dysfunktional, was seinen Ursprung in der strengen Erziehung seines Vaters hat. Und gerade um diesen soll er sich nun kümmern, obwohl der für ihn im Grunde ein Fremder ist.

    Es wäre leicht, Regisseurin Jenkins vorzuwerfen, dass die Figur des Jon – im Gegensatz zur sorgsamer ausgearbeiteten Wendy - nur schemenhaft gezeichnet sei. Doch darin besteht gerade die Meisterschaft von Jenkins‘ Inszenierung. Sie verweigert sich weitgehend dramaturgischen Eingriffen in ihre Geschichte und erzählt diese vielmehr als einen natürlichen Fluss, der nicht durch künstliche Veränderung umgeleitet wird. Die Bilder, die sie findet, sprechen für sich und geben exakt Stimmungen wieder. So markiert Lennys Abschied aus dem sonnendurchfluteten Rentnerparadies Sun City ins graue November-Buffalo einen harten Kontrast, der sinnbildlich für das Ziel seiner letzten Reise steht.

    Laura Linney (Die Truman Show, Tatsächlich Liebe, Absolute Power, Der Tintenfisch und der Wal) erspielte sich scheinbar mühelos ihre dritte Oscarnominierung (nach Kinsey und „You Can Count On Me“). Wendys verhuschte, gescheiterte Existenz, deren Bitternis sie teilweise ignoriert, schönt und mit Pillen erträglicher gestaltet, ist in den Händen der New Yorker Charaktermimin bestens aufgehoben. Ebenso wie Jon ist Wendy mit der Situation überfordert, aber dennoch willens, ihr Leben in den Griff zu bekommen, wobei ihr die unfreiwillige Allianz mit dem dominanten Bruder Hilfe wie Hindernis ist.

    „Die Geschwister Savage“ geht in vielen Szenen an die Nieren. Allerdings pflegt das Drama – aller Ödnis zum Trotz - zwischen den Zeilen auch einen feinen Humor (Jimmy: „Are you married?“ – Wendy: „No… but my boyfriend is“), der Auflockerung garantiert. Es ist eine Wohltat mitzuerleben, wie Jenkins die allerorten lauernden Klischee-Fallen umgeht, indem sie immer wieder das Naheliegende auslässt, um so die Verankerung in der harten Realität nicht zu verlieren. Beispielhaft: Die unsichere Wendy will ihre Affäre beenden, um endlich festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Im Altersheim nähert sie sich dem nigerianischen Pfleger Jimmy (Gbenga Akinnagbe) an, was jedoch nicht in einer träumerischen Romanze endet, sondern in etwas völlig Profanem – Jimmy, von Wendy durchaus angetan, hat eine Freundin und ist somit nicht an einer wie auch immer gearteten Beziehung interessiert. Dieses Muster hält Jenkins tapfer durch, ohne jedoch gleich das emotionale Ende der Welt heraufzubeschwören. Zumindest einen vorsichtigen Hoffnungsschimmer verwehrt sie dem Publikum nicht.

    Fazit: „Die Geschwister Savage“ ist ein messerscharfer, tiefgehender Blick auf die amerikanische Familie, der aufgrund der Themen Tod und Sterben dennoch universell bleibt.

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