Angelegt als ordentlich budgetierte Produktion, irgendwo zwischen 35 bis 50 Millionen, orientiert an gängigen Mainstreammechanismen und Zuschauererwartungen wäre Half Nelson‘ wohl ein tränenreiches, bis zur Unerträglichkeit moralisierendes und kein Klischee unbeachtet lassendes Drogen/Schul-Drama geworden.
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Zum Glück des Betrachters genügten Regisseur Ryan Fleck jedoch 700.000$, um seine kleine Geschichte des abhängigen Lehrers Daniel Dunne und dessen ungewöhnlicher Freundschaft zur Schülerin Drey zu erzählen. Heraus kam ein Film, der kaum weiteren Abstand von den gängigen plakativen Strukturen halten könnte. Dabei findet Fleck eine beeindruckende Balance zwischen der Distanz, mit der er dem Thema begegnet und der Nähe, die er gleichzeitig zu den Charakteren schafft. So findet keine konkrete Verdeutlichung der Motivlage Dans statt, man begegnet ihm als Süchtigen und kann nur erahnen und einige Hinweise deuten, ob nun die Sucht seine Umstände bedingt, oder ob die Umstände ihn einst zur Sucht führten. Nun wird Dan aber auch nicht als der typische abgewrackte Junkie gezeigt, der außer sich von einer zur nächsten Dröhnung zu retten mit seinem Leben überhaupt nichts anzufangen wüsste. Er unterrichtet auf eine sehr eigene Art Geschichte, was ihm sogar Ärger mit der Direktorin einbrockt, die den Stoff gern strickt nach Lehrbuch vermittelt sähe. Zwar stagniert Dans Karriere als Kinderbuchautor scheinbar, dennoch hat er sich vieles von dem erhalten und versucht es den Schülern zu vermitteln, was er für sinnvoll hält und von dem er glaubt, den Jugendlichen damit etwas an die Hand geben zu können, das ihnen hilft. Allerdings ist dies für ihn trotzdem nicht etwa Motivation genug, sich seiner Sucht zu stellen oder sie sogar in den Griff zu bekommen.
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Es ist dieser Wechsel zwischen dem, was Dan als nachvollziehbar und sympathisch und auf der anderen Seite selbstbezogen und willensschwach erscheinen lässt, der Half Nelson‘ erlebenswert und trotz des sehr gemächlichem Tempos sogar ein Stück weit spannend macht. Nachdem Dan, der auch ein Schülerinnen-Basketballteam trainiert, auf einer Toilette beim Crackkonsum von Drey erwischt wird, entwickelt sich zwsichen den beiden eine von Fleck subtil inszenierte Beziehung, die vorhersehbar verlaufen könnte und dies in einigen Momenten auch tut. Dennoch biegt der Film stets zur rechten Zeit doch wieder in eine andere Richtung ab, die für Dan keinen Ausweg und für Drey keine Sicherheiten in Aussicht stellt. Die junge Schülerin lebt bei ihrer Mutter, die den ganzen Tag auf Streife geht, hält ansonsten nur zu einem Dealer Kontakt, der Mitschuld daran trägt, das Dreys Bruder im Gefängnis sitzt. Was genau Dan und Drey ineinander sehen und was es ihnen bringt, sich miteinander abzugeben, auch das wird von Fleck nicht konkretisiert. Das ist aber widerum gar nicht nötig, da so eben keine Form greifbarer Nähe zwischen ihnen steht, aus deren Folge sich nichts anderes als das Abrutschen des Films in gängige Freundschaft heilt den Süchtigen‘-Klischees hätte ergeben können.
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Half Nelson‘ entwickelt durch das Prinzip, vieles als gegeben, manches als vermutlich unabwendbar und wieder anderes überhaupt nicht zu präsentieren eine hohe Intensität, in der zwar weder Geschichte, noch Charaktere allzuviele emotionale Berührungspunkte setzen, aber einen dennoch ehrliches Interesse an ihrem Schicksal entlocken. Der Film biedert sich nicht an, gestattet vielmehr, dass er einem hier und da auch mal egal ist, was eine angenhme Natürlichkeit erzeugt. Man bekommt nicht das Gefühl, aufgrund der Thematik zur Anteilnahme gezwungen zu werden. Nachdem Dan mehr und mehr Kontrolle über Alltag und Beruf entgleitet, ist sie einfach da. Ein Kunststück, das viel zu wenigen Filmen auf solche Weise gelingt.
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Dass es Half Nelson‘ gelingt, ist zu einem Großteil der Besetzung zu verdanken. Ryan Gosling (für seine Darstellung zu Recht mit einer Oscar-Nominierung bedacht) liefert eine tolle Leistung und verlässt sich dabei in keiner Szene auf etablierte Mechanismen zur Darstellungen eines Suchtkranken. Er muss nicht komplett zusammenbrechen, flennen oder flehen und auch nicht sentimental nach Hilfe schreien. Gosling transportiert viel allein durch feine Mimik und Gestik. Zugute kommt ihm, dass Regisseur Fleck darauf verzichtet, Dans Drogentrips in irgendeiner stylistisch herausstechenden Form zu visualisieren. Als Teil von Dans Leben finden sie einfach nur statt und Gosling kann sie ganz allein schauspielerich zeigen. Shareeka Epps spielt ebenfalls stark, meistert sowohl den Part an Goslings Seite, als auch ihren separat eingeflochtenen Handlungsstrang.
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Eine wirklich brilliante Musik mit wunderbarer Songauswahl rundet Half Nelson‘ letztlich ab und trägt ihren Teil dazu bei, dass daraus ein sehr sehens- und empfehlenswerter, vor allem auch ein weit über die Inhaltsangabe hinaus reichhaltiger Film geworden ist.
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komplette Review siehe: http://blogs.myspace.com/index.cfm?fuseaction=blog.view&friendId=418824324&blogId=497513766