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    There Will Be Blood
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    There Will Be Blood
    Von Jonas Reinartz

    Aber lieben? Wen hätte dieser Mann geliebt? Einst eine Frau – vielleicht. Ein Kind zuletzt – es mag sein […] Wem hätte er sein Herz eröffnet, wen jemals in sein Leben eingelassen? […] Ich möchte seine Einsamkeit einem Abgrund vergleichen, in welchem Gefühle, die man ihm entgegenbrachte, lautlos und spurlos untergingen. Um ihn war Kälte […]. [1]

    Daniel Day-Lewis ist jemand, der nichts zu verlieren hat, er kann sich einen Spaß über einen Filmmogul wie Harvey Weinstein erlauben („Please don’t make that sound again, Harvey!“), wenn es ihm beliebt und sollte er überhaupt arbeiten, dann allenfalls sporadisch. Es bleibt ja immer noch das Schusterhandwerk. An Exzentrik übertrifft er selbst sein ehemals größtes Vorbild Robert De Niro mühelos. Beste Voraussetzungen also, um sich im von der US-Kritik zu großen Teilen hochgelobten Epos „There Will Be Blood“ (frei nach Upton Sinclairs Roman „Oil!“) des ebenfalls hochgradig eigensinnigen Regie-Wunderkindes Paul Thomas Anderson (Boogie Nights, Magnolia, Punch-Drunk Love), in die Titelrolle des vom Erfolg besessenen Ölbarons Daniel Plainview zu stürzen, der sich und andere das Verderben bringt, erneut eine bravouröse schauspielerische Leistung darzubieten. Handelt es sich jedoch bei dem Charakterdrama tatsächlich um das lauthals verheißene Meisterwerk oder liegt nur eine zwar mit acht Oscarnominierungen prämierte, aber letztlich doch eitle Stilübung vor, „eine Art Dallas‘ für Intellektuelle“ mit „langen, ruhigen Einstellungen, deren angestrengter Kunstwille allerdings auf die Dauer schwer erträglich ist“[2]?

    Im Jahre 1898 gräbt der emsige Daniel Plainview (Daniel Day-Lewis) erfolgreich nach Gold, doch damit gibt er sich nicht zufrieden. Ein gutes Dutzend Jahre später ist aus ihm ein bekannter Unternehmer nebst Adoptivsohn, H.W. (Dillon Freasier) genannt, geworden. Öl hat ihn mit solidem Reichtum ausgestattet. Eines Nachts begibt sich der naive Paul Sunday (Paul Dano) zu ihm und seinem Geschäftspartner Hamilton (Ciarán Hinds) und berichtet, unter der Erde des Grundbesitzes seiner Eltern seien schier unendliche Mengen an dem schwarzen Rohstoff vorhanden. Wie es sich herausstellt, hat der Unbekannte die Wahrheit gesprochen und Plainview wittert seine große Chance. Nahezu mühelos überzeugt er die Familie Sunday, ihm ihre Ranch zu verkaufen, einzig Pauls obsessiv religiöser Zwillingsbruder Eli (ebenfalls Paul Dano) ist widerwillig und verlangt eine Spende für die Kirche der Gemeinde. Kurz nachdem die Bohrarbeiten begonnen haben, kommt es zu einem folgenschweren Unfall, bei dem ein Arbeiter sein Leben und H.W. sein Gehör verliert. Die Befürchtungen des sich berufen fühlenden Eli scheinen bestätigt.

    Definitiv ist „There Will Be Blood“ ein Werk, das polarisiert, doch gehört man zur anvisierten Arthouse-Zielgruppe - und ist bereitet, auch die finale, heiß diskutierte Wendung zu akzeptieren, die in sich völlig schlüssig, da geschickt vorbereitet daherkommt - , wird man ihn schlicht bewundern müssen, diesen faszinierenden, monströsen Koloss von einem Film, förmlich von der Leinwand springend, nahezu zerberstend vor Symbolen und intertextuellen Bezügen zu Andersons Œuvre und der Literatur- und Filmgeschichte, doch zugleich sehr eigen, der sich mühelos zu einem modernen Klassiker entwickeln sollte. Mit einer im Gegenwartskino nahezu ausgestorbenen, fast Kubrickschen Konzentration und unerbittlichem Stilwillen erzählt Anderson die brutalste Charakterstudie einer verlorenen Seele seit Martin Scorseses Wie ein wilder Stier und die größtangelegteste Elegie auf den amerikanischen (Alb-)Traum seit Michael Ciminos „Heaven’s Gate“, die beide 1980 mit ihren kommerziellen Misserfolgen spektakulär die Ära des New Hollywood zu Grabe trugen.

    Wie auch Quentin Tarantino (Reservoir Dogs, Pulp Fiction, Death Proof) ist Anderson das Kind einer Kultur des Überflusses. Durch das Medium der Videokassette wurden mehr und mehr Filme immer leichter zugänglich, so dass erst das entstehen konnte, was man heutzutage als Gemeinschaft der „film geeks“ bezeichnet. So ähnlich sie sich teilweise auch sind, so klafft zwischen ihnen eine gewaltige Differenz. Tarantino, so entgegnete diesem Oliver Stone einmal angesichts der hitzigen Debatten nach der Überarbeitung des Natural Born Killers-Drehbuches, würde „Kino“ machen, er, Stone, hingegen „Filme“. Dies war kaum als Affront gemeint, es charakterisiert treffend die unterschiedlichen Methoden des Filmemachens und diese Unterscheidung ist ebenso nützlich, um Andersons Stil zu beschreiben. Obgleich er wie sein Gegenpart mit einem enzyklopädischen Filmwissen ausgestattet ist und keinen Hehl aus seinen Vorbildern macht, sieht Anderson in sich, anders als Tarantino, dessen Filme wie bei keinem anderen Regisseur so das Kino selbst thematisieren und so zum postmodernen Spiel avancieren, einen klassischen Erzähler, „Maverick“ und Erbe des unabhängigen Hollywood-Kinos der 70er Jahre.

    Freilich hatte er, in den Augen mancher Zuschauer, anfangs das Problem, dass er sich, etwa in „Boogie Nighs“ oder „Magnolia“ vielleicht ein wenig zu sehr an seine Idole Scorsese und Altman anlehnte. Tatsächlich schienen die Beherrschung großer Ensembles und minutiös ausgetüftelter Plansequenzen wie jene aus GoodFellas, Casino oder „The Player“ großen Eindruck bei ihm hinterlassen zu haben, doch verstand er sich zudem auf eigene Farbtupfer, man achte auf den starke Bezug auf biblische Themen, doch mit einem starken Unterschied zum tiefgläubigen Scorsese, der früh mit dem Gedanken gespielt hatte, ein Priesterseminar zu besuchen. In einer Art und Weise, die ihn überraschend in die Nähe der deutschen Schriftstellerin Anna Seghers rückt, begreift er die Bibel, in einem gänzlich sakularisierten Sinne, sowohl als Mythos, der einen unerschöpflichen Themenkatalog bereithält als auch einen in seiner Essenz wegweisenden Ratgeber für eine sinnvolle und friedliche Existenz.

    Bei „There Will Be Blood“ beginnen die biblischen Remineszensen bereits im Titel, der sarkastisch an die Zeile „It will be a unique day which is known to Yahweh; not day, and not night; but it will come to pass, that at evening time there will be light” anknüpft, jedoch auch wörtlich zu nehmen ist, denn Blut wird in der Tat fließen. Gen Ende erlaubt sich der Filmemacher dann einen düsteren Scherz und lässt Plainview nach diabolischer Tat sagen: „I'm finished.“ Bekanntermaßen äußert Jesus Christus laut der Überlieferung am Kreuz „It’s finished“ und scheidet dahin. Zudem sind über den ganzen Handlungsverlauf Hinweise verstreut, die den Protagonisten in ein noch zwielichtigeres Licht rücken, als das, in dem er bereits zu stehen scheint. Über seine Hintergrundgeschichte erfahren wir nicht das geringste Wort, die erste Einstellung zeigt ihn unter der Erde, also der Hölle nahe, das Öl des Films, im Übrigen umweltfreundlich zusammengerührt aus Lebensmittelfarbe und Methylzellulose, straht einen in gleichen Teilen faszinierenden und abstoßenden Glanz aus, in der Szene, in der ein Ölturm Feuer fängt, wird er von den Flammen derartig angestrahlt, als sei er der Leibhaftige höchstselbst.

    Bei der finalen Konfrontation verstärkt sich der Eindruck, doch dies führt in eine falsche Richtung; zwar verführt er genau wie Eli mit falschen Versprechen die Menschen, doch sein eigenes privates Unglück spricht dagegen, plausibler wäre hingegen, ihn als modernen Faust zu betrachten, dabei jedoch den Teufelspakt als Metapher für die Einlassung mit der Gier, dem ausgeuferten Kapitalismus zu sehen und umgekehrt, die Anderson, in Anlehnung an klassische inhaltliche und bildliche Motive, geschickt visualisiert. „I have a competition in me. I want no one else to succeed. I hate most people“, zischt Plainview an einer zentralen Stelle und es ist eben die nackter Gier und skrupellosen Gewinnstreben genährte Hybris, die ihn in seinen Untergang, die Entfremdung von seinem Sohn und schließlich in die totale Einsamkeit führt, die er sich ja im Grunde herbeigesehnt hatte („I want to earn enough money that I can get away from everyone“), aber nicht verarbeite kann. Doch auch er muss am Ende, wie vor ihm die Protagonisten des Nibelungenliedes, das Trio in Erich von Stroheims „Greed“, Orson Wells Citizen Kane oder James Deans Jett Rink in Giganten der simplen Tatsache ins Auge blicken, dass materieller Reichtum nicht viel bedeutet und sogar schnurgerade in die Katastrophe führen kann.

    Plainview ist nicht der Belzebub, doch er bereitet sich seine eigene, private Hölle, die die aus dem Bohrturm tretenden Flammen präfigurieren, aus der es kein Entrinnen gibt. Das Ernüchternde an „There Will Be Blood“ mag nun für manchen Betrachter sein, dass hier zwei „Unsympathen“ aufeinandertreffen, denn Eli Sunday, der seinen Widersacher, diesen Ahab auf der Jagd nach Öl, bekehren will, stellt sich in seinem bigotten Messianismus als nicht minder wahnsinnig heraus. Die unheilvollen Eckpfeiler der Macht des George W. Bush, durch Öl erlangter Reichtum und eine aufgesetzt wirkende Religiösität, wird Anderson mit Sicherheit dabei im Kopf gehabt haben. Verkörpert wird der Geistliche von einem bemerkenswerten Paul Dano, der bereits in seiner Rolle als melancholischer Teenager in Little Miss Sunshine Eindruck hinterließ. Die weitgehende Farblosigkeit der Nebenfiguren, was angesichts eines Schauspielers vom Kaliber eines Ciarán Hinds (München, Die Journalistin) sicherlich bedauerlich ist, kann man bemängeln, doch dies ist eindeutig die Show von Daniel Day-Lewis und er bewegt sich momentan in ganz eigenen Sphären. Es müsste – man verzeihe den Kalauer – mit dem Teufel zugehen, wenn er nicht für diese Rolle, auf die er sich zwei Jahre intensiv vorbereitete, seinen zweiten Academy Award in Händen halten können wird, die im Showdown zwischen Plainview und Sunday, den Vergleich mit Jack Nicholsons Verkörperung des Jack Torrance nicht zu scheuen braucht. Dass hier Overacting betrieben wird, steht außer Frage, doch es geschieht äußerst kontrolliert und die zum Teil kritisierte Metamorphose ist grundsätzlich keine solch drastische, bereits zu Beginn ist seine Figur verdammt.

    Diesmal scheint Kubrick wohl der große Fixpunkt gewesen sein, was sich in der Hinwendung von allzu akrobatischen zu gemäßigteren tracking shots, der teilweise frappierend an Shining erinnernden, sehr intensiven Filmmusik von „Radiohead“-Mitglied Jonny Greenwoord und dem Einsatz klassischer Stücke (hier ist es Brahms’ Violinen-Konzert in D major) im Allgemeinen, einer ausgeprägten Misanthropie und einer gewissen Dialogizität des Films ausdrückt. Denn auf die ernüchternde Frage, was angesichts des Scheiterns von Religion und American Dream denn noch Hoffnung zu geben vermag, liefert vornehmlich ein bestimmter Film die direkte Antwort: „Magnolia“. Daneben finden sich u.a. Anleihen bei Terence Malick („Badlands“, „Days Of Heaven“), Michael Cimino (Die durch die Hölle gehen, „Heaven’s Gate“), dem italienischen Kino der Nachkriegsjahre, und amerikanischen Stummfilmkino eines D.W. Griffith („Birth Of A Nation“, „Intolerance“) was nicht zuletzt die grandiose fünfzehnminiütige, komplett dialogfreie, hochgradig selbstbewusste Eingangssequenz veranschaulicht und vor allem bei Hustons „Treasure“ sowie George Stevens „Giganten“, von dem er neben inhaltlichen Schwerpunksetzungen die elliptische Erzählweise übernimmt. Anderson reiht sich ein in die Tradition, besitzt jedoch genug eigene Impulse, um daraus einen völlig eigenen Stil zu destillieren, und zwar auf eine Weise, die widerum Scorsese sehr ähnelt, der aus dem Kino des Studiosystems, der Novelle Vague und seinen Idolen Rosselini (Rom, offene Stadt, „Europa ’51“), de Sica („Fahrraddiebe“, „Umberto D.“) und Visconti (Der Leopard, Ludwig II.) etwas berückend Individuelles schuf. Der ungemein ausgewogenen Figurenanordnung des letzteren kommen Paul Thomas Anderson und sein Stammkameramann Robert Elswit durch in derartiger Präzision lange nicht mehr gesehenen Bildkompositionen erstaunlich nahe.

    Mit seinem ersten Film seit sechs Jahren legt Paul Thomas Anderson einen sperrigen, desillusionierenden Beitrag über zeitlose Themen und Befindlichkeiten und auch ein Statement über die jetzige Situation der USA dar, das seinen Platz in der Geschichte des Films finden wird. Allzu großer kommerzieller Erfolg wird ihm auch hierzulande nicht beschieden sein, richtet er sich doch an ein spezielles Publikum mit Freude an ernsthafter Filmkunst und Sitzfleisch, was jedoch nicht meinen soll, dass nicht auch Zuschauer, die sonst eher dem Mainstream zugeneigt sind, „There Will Be Blood“ eine Chance geben sollten. Allein die Leistung von Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis und die grandiosen Bilder sind das Eintrittsgeld zweifellos wert.

    [1] Thomas Mann: Doktor Faustus / Die Entstehung des Doktor Faustus. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2002, S. 12-13.

    [2] Lars-Olav Beier und Martin Wolf: Blut und Blüten. Die 58. Internationalen Berliner Filmfestspiele stehen im Zeichen von Pop und politischen Dokumentationen. In: Der Spiegel Nr. 6 vom 2. Februar 2008, S. 136.

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