Im Norden nichts Neues. Aki Kaurismäki ist weiterhin das Schreckgespenst des Finnischen Tourist Boards, das Personal verliert immer noch kaum ein Wort und die Charaktere sind gewohnt melancholisch und knorrig, das Setting karg und minimalistisch. „Lichter der Vorstadt“, der Abschluss seiner Trilogie über Außenseiter der Gesellschaft (nach „Wolken ziehen vorüber“, 1996, und Der Mann ohne Vergangenheit, 2002), wandelt auf altbekannten Qualitätspfaden Kaurismäkis, doch diesmal will der letzte Funke nicht über springen, weil die Figuren zuviel Distanz ausstrahlen.
Der schweigsame Koistinen (Janne Hyytiäinen) ist ein Einzelgänger. Freunde hat er nicht. Er arbeitet als Wachmann in einer Shopping Mall in Helsinki. Der Traum von der eigenen Wachschutzfirma ist zwar real, aber nicht realistisch. An seiner Arbeitsstelle wird er gemobbt, die meisten Kollegen kennen nicht mal seinen Namen, was ihn aber nicht sonderlich stört. Als die attraktive Mirja (Maria Järvenhelmi) plötzlich in sein Leben tritt, scheint sich sein Glück zu wenden. Doch das ist ein bitterer Irrglaube. Mirja arbeitet für den Gangsterboss Lindström (Ilkka Koivula), der einen Coup auf einen Juwelierladen im Einkaufszentrum plant. Sie soll Koistinen um den Finger wickeln und im richtigen Moment die Schlüssel klauen, um den Räubern Zugang zu gewähren. Die Aktion endet für Koistinen im Desaster. Die Juwelen sind weg und die Polizei hält ihn für den Hauptverdächtigen des Überfalls. Einzig die Imbissbudenkraft Aila (Maria Heiskanen) steht zu Koistinen...
Aki Kaurismäki ist schon ein komischer Kauz. Obwohl ihn mit der finnischen Filmwirtschaft eine Art Hassliebe verbindet, hat das Finnische Film-Institut sein Drama „Lichter der Vorstadt“ als Kandidaten für die Oscarnominierungen gemeldet. Im Oktober zog Kaurismäki seinen Film ohne Angabe von Gründen zurück und blamierte die Finnen, die jetzt aus Zeitmangel ohne Oscarkandidaten dastehen. Mit seinem Vorgänger „Der Mann ohne Vergangenheit“ war Kaurismäki bereits für einen Academy Award in der Sparte bester nicht-englischsprachiger Film nominiert, blieb der Verleihung aus Protest gegen die amerikanische Außenpolitik aber fern. Diese Einstellung habe sich seitdem nicht geändert, verlautet es aus Kreisen des Regisseurs.
Nach den Themen Arbeitslosigkeit („Wolken ziehen vorüber“) und Obdachlosigkeit („Der Mann ohne Vergangenheit“) widmet sich Kaurismäki in „Lichter der Vorstadt“ der sozialen Vereinsamung. Koistinen, der geprügelte Hund von einem Hauptcharakter, erträgt sein bitteres Schicksal stoisch bis über alle Grenzen hinaus. Kaurismäki stilisiert nicht nur wie gewohnt seine farbgetränkten, schaurig-schönen Retrobilder, sondern auch seine Hauptfigur. Er nimmt den Extrakt der männlichen, finnischen Volksseele und übersteigert diese in Koistinen, der alles über sich ergehen lässt und nicht gegen das Unrecht einschreitet, das ihm zuteil wird, geht sogar ins Gefängnis, nur um nicht gegen seine Lethargie ankämpfen zu müssen. Das einzige, was ihn hätte aufrütteln können, wäre die Liebe zu Mirja gewesen - doch die Femme Fatale bricht sein Herz. Der Regisseur und Autor bleibt seinem Stil störrisch wie ein Esel treu. Er lässt seinen Film im halb-fiktiven, halb-realen Kaurismäki-Finnland der Jetztzeit spielen, wo die Autos aus den 50er Jahren zu entstammen scheinen, die Metropole Helsinki trister als die hinterletzte Ostblockstadt wirkt und die Protagonisten zu alten Tangos tanzen und qualmen, bis die Lungenflügel bersten (müssten). Dennoch verbeugt sich der Finne in seiner Konstruktion der Story vor einem Alfred Hitchcock und dem amerikanischen Film Noir, spielt zudem auf Charlie Chaplins Lichter der Großstadt an.
Die Dialoge sind minimalistisch, wie eh und je, Hauptdarsteller Janne Hyytiäinen verändert während des gesamten Films nicht einmal seinen Gesichtsausdruck und auch Maria Järvenhelmi spielt die geheimnisvolle, blonde Femme Fatale auf die finnische Art – distanziert und kühl bis ans Herz. Die Überstilisierung der Gangster gehört ebenso zum Konzept, wie die Konsequenz, die Koistinen an den Tag legt. Was „Lichter der Vorstadt“ trotz der optisch schönen Form abgeht, ist eine nachhaltige emotionale Verbindung zum Publikum, die bei „Der Mann ohne Vergangenheit“ noch bestens funktioniert hat. Die Figuren entwickeln sich nicht, was Kaurismäki jedoch zu einem kleinen Coup nutzt. In Koistinens Beziehung zu Imbissbudenfrau Aila gibt es am Ende eine winzige Veränderung, die dem trostlosen Treiben – und damit der ganzen Geschichte – einen, kleinen, aber sichtbaren Funken Hoffnung verleiht und dem Film seine poetische Ebene zurückgibt, die der Betrachter lange Zeit vergeblich gesucht hat und Linderung im Klima der Kälte und Brutalität verspricht.
„Lichter der Vorstadt“ wird Kaurismäki-unerfahrene Zuschauer mitunter überfordern und Ablehnung hervorrufen. Das Drama bleibt zwar hinter seinem Vorgänger zurück, aber für Fans des Regie-Exzentrikers bietet es genügend Stoff und Stil, das Interesse über die ohnehin kurze Spielzeit nicht zu verlieren. Eine kleine Warnung: Realismus hat in diesem Werk einen geringen Stellenwert, Kaurismäki lebt in seiner eigenen Welt, wer diese mag, sollte an Bord kommen, um zu gucken, was der wortkarge Finne diesmal getrieben hat.