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    Die Liebe in den Zeiten der Cholera
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Die Liebe in den Zeiten der Cholera
    Von Andreas Staben

    Für Florentino Ariza ist Liebe das Einzige, was ihn interessiert. Der Protagonist in Gabriel García Márquez' 1982 entstandenem Roman „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ verziert selbst seine geschäftliche Korrespondenz mit poetischen Beschwörungen Amors. Mit dieser Hauptfigur, die über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg an ihrer Idee von der Liebe festhält, dem Alter und dem Tod trotzt und geduldig auf ihre Chance bei der Verehrten wartet, hat der kolumbianische Literatur-Nobelpreisträger einen denkwürdigen Charakter geschaffen. García Márquez' Schriftstellerkollege Thomas Pynchon attestierte dessen Erzählung von der alles beherrschenden Macht der Liebe vor dem Hintergrund von Krankheit und Krise in seiner Besprechung des Buches sogar geradezu revolutionäre Kraft. Nun haben sich Regisseur Mike Newell (Harry Potter und der Feuerkelch, Donnie Brasco, „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“) und Drehbuchautor Ronald Harwood (Der Pianist, Oliver Twist, Schmetterling und Taucherglocke) an einer Filmversion des gleichermaßen epischen wie intimen Romans versucht. Ihrem opulent bebilderten romantischen Drama fehlt bei allem äußerlichen Perfektionismus der Herzschlag der Leidenschaft leider ebenso wie das Vermögen, die überbordende Vielfalt von Stimmungen, Eindrücken und Einzelheiten einzufangen und zu einer Einheit zu fügen. Der Film „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ zerfällt über weite Strecken in einzelne Szenen, die zudem allzuoft grotesk zugespitzt werden – das Skelett eines Epos.

    Bei der Beerdigung des angesehenen Arztes Dr. Juvenal Urbino (Benjamin Bratt) erscheint Florentino (Javier Bardem) vor der Witwe Fermina (Giovanna Mezzogiorno) und gesteht ihr mit der Beteuerung, dass er 51 Jahre, neun Monate und vier Tage auf diesen Moment gewartet habe, erneut seine Liebe. Rückblende: Im Jahre 1879 verliebt sich der Telegrammbote Florentino Ariza (in jungen Jahren gespielt von Unax Ugalde) in die Kaufmannstochter Fermina Daza. Die beiden tauschen bald schon Liebesbriefe aus, aber Vater Daza (John Leguizamo) ist strikt gegen die Verbindung. Fermina lehnt Florentinos Heiratsantrag ab und heiratet stattdessen den Cholera-Spezialisten Dr. Urbino. Der Zurückgewiesene entscheidet sich zu warten und seiner großen Liebe treu zu bleiben. Während Fermina eine durchaus glückliche Ehe führt, entwickelt sich Florentino zu einem wahren Don Juan. Sexuelle Abenteuer mit über 600 Frauen finden Eingang in sein Notizbuch, während sein Herz immer nur Fermina gehört. Dann stirbt Dr. Urbino und der zum Kapitän der karibischen Flussfahrtsgesellschaft aufgestiegene Florentino steht mit weit über 70 Jahren wieder vor Fermina...

    García Márquez' Werk wird gerne mit dem gleichwohl umstrittenen Etikett des „magischen Realismus“ versehen. Sein genauer und kritischer Blick auf die politischen und sozialen Umstände in Südamerika, den er als Journalist und Kritiker entwickelt hat, ist der Anker für die fantastisch überhöhten Handlungen vieler seiner Romane und Erzählungen. In „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ verbindet er etwas bodenständiger eine Reflexion über das Wesen der Liebe mit den Themen Zeit, Vergänglichkeit und Erinnerung wobei die „cólera“ in ihrer doppelten Bedeutung als epidemische Krankheit und als wütende Raserei, die sich in permanenten kriegerischen Auseinandersetzungen äußert, ständig präsent ist. Im Film wird die Epidemie ohne Überzeugungs- und Symbolkraft für wenige Momente pflichtschuldig ins Bild gesetzt. Der bewegte Hintergrund der Liebesgeschichte ist in einer banalen, weil sehr generell gehaltenen Szene zum Jahreswechsel 1900 zusammengefasst, in der ein Redner unter großem Jubel die Verheißungen des 20. Jahrhunderts beschwört. Die Zerstörungen des Bürgerkriegs wiederum spielen bei Newell nur als Vorwand für eine der absurden Sexszenen eine Rolle, wenn Florentinos Mutter (Fernanda Montenegro, „Central Station“) eine Zuflucht suchende Witwe in das Schlafzimmer des liebeskranken Sohnes lotst.

    Mike Newell und Ronald Harwood haben bei dem Versuch der mäandernden Handlung in möglichst vielen Windungen und Wendungen zu folgen keine eigene Perspektive gefunden. Diese Unentschiedenheit führt zu viel Leerlauf und zu einigen Misstönen. Mit kirchlichen Zeremonien weiß Newell beispielsweise gar nichts anzufangen, an anderer Stelle führen seine Bemühungen dazu, die Kamera von unten durch die Tastatur einer Schreibmaschine blicken zu lassen, was weder nachvollziehbar noch visuell reizvoll ist. Die Eroberungen Florentinos, der als passiver Verführer die Frauen anzieht wie das Licht die Motten, werden in einem Reigen kleiner Episoden, die eher albern als übermütig geraten sind, vorgeführt, was spätestens dann einen schalen Beigeschmack bekommt, als eine seiner Gespielinnen von ihrem Ehemann kurzerhand umgebracht wird. Wechselnde Stimmungen können sich nicht entfalten, letztlich verlässt man sich auf Schauwerte, Attraktionen – zum allzu gefälligen Soundtrack steuerte Shakira einige Lieder bei - und Pointen.

    Die Schauspieler stehen in einem Film, in dem sie zum Teil 50 Jahre altern müssen, ihnen aber keine Chance zur Charakterentwicklung gegeben wird, auf verlorenem Posten. John Leguizamo (Carlito´s Way, Moulin Rouge, Land Of The Dead) liefert eine Knallchargen-Karikatur ab, für deren Beschreibung schon fast Superlative benötigt werden. Benjamin Bratt (Traffic, Miss Undercover) als Dr. Urbino besitzt einen gewissen Charme, aber er kann eine leichtfertig hingeschluderte Szene wie seine Untersuchung Ferminas auf Cholera, die er schamlos ausnutzt, nicht mit Würde versehen. Javier Bardem (Das Meer in mir, No Country For Old Men) und Giovanna Mezzogiorno (Ein letzter Kuss) haben genügend Talent, um eine große Liebesgeschichte zumindest vorstellbar werden zu lassen, aber die Altersfrage bleibt immer präsent. Mezzogiorno wirkt anfangs etwas zu alt, später schiebt sich die perfekte aber sehr präsente Arbeit der Maskenbildner vor die Darstellung der beiden Liebenden. Auch hier gilt, dass das Äußere bis in die Körperhaltung und Bewegungen hinein oft perfekt getroffen ist. Nur das Innenleben bleibt diffus.

    Trotz des Versuchs der Vorlage in ihrem (Handlungs-)Reichtum so treu wie möglich zu bleiben, bleibt Mike Newells Verfilmung von „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ allenfalls als Katalysator für die Erinnerungen genauer Kenner des Buches brauchbar. Alle anderen können die zu den Bildern des in das goldene Licht der Verklärung getauchten Flusses geäußerte Erkenntnis, dass nicht der Tod, sondern das Leben ohne Grenzen sei, nicht als Endpunkt einer emotionalen Reise empfinden. Für sie bleibt dieser Schluss ein Postkartengruß: Schöne Worte ohne Bedeutung zu einer beeindruckenden Landschaft ohne Überwältigungskraft. Man hätte dabei sein müssen.

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