„Der südafrikanische City Of God“: Dieser Ruf eilt Gavin Hoods Gangster-Drama „Tsotsi“ voraus. Oscarauszeichnung und Golden-Globe-Nominierung, Publikumsauszeichnungen bei den Filmfestivals in Toronto, Edinburgh, Denver, St. Louis und Los Angeles, offizieller Vertreter für Südafrika im Oscar-Rennen - diese Vorschusslorbeeren hat sich die stimmige und atmosphärisch begeisternde Milieustudie durchaus verdient, auch wenn sie den direkten Zweikampf mit Fernando Meirelles brillantem Meisterwerk „City Of God“ verliert.
Tsotsi (Presley Chweneyagae) schlägt sich im Township von Johannesburg kompromisslos durchs Leben. Seine trostlose und schwierige Kindheit hat den 19-Jährigen geprägt. Die Mutter verstarb früh an AIDS, der Vater war ein Säufer, der ihn geprügelt hat. Diese soziale Kälte umgibt auch Tsotsi, dem ein Menschenleben nicht viel Wert ist. Mit seinen Kumpanen Boston (Mothusi Magano), Butcher (Zenzo Ngqobe) und Aap (Kenneth Nkosi) geht er in Johannesburg auf Beutezug. In der U-Bahn töten sie einen Geschäftsmann, um an dessen Geld zu kommen, das er sich kurz zuvor besorgt hat. In einer Bar im Township ärgert sich Tsotsi über seinen Freund Boston und schlägt ihn unvermittelt brutal zusammen, was bleibende Schäden hinterlassen wird. Seinen nächsten Coup unternimmt Tsotsi allein. Er schleicht sich in die reiche Wohngegend der Stadt und überfällt eine junge Frau (Nambitha Mpumlwana) vor ihrer Hauseinfahrt. Tsotsi will das Auto klauen, schießt dann auf das Opfer und rast davon. Nach einer Weile stellt er fest, dass auf dem Rücksitz ein Baby liegt. Tsotsi ist zunächst einmal verwirrt, dann nimmt er den Säugling mit nach Hause. Nachdem er selbst unfähig ist, ihn vernünftig zu versorgen, zwingt er die junge, alleinstehende Mutter Miriam (Terry Pheto) dazu, das Baby zu stillen...
Aus Südafrika schaffen es nicht gerade viele Werke auf die deutschen Leinwände. Sehr beliebt sind Filme zum Thema Apartheid (zuletzt Drum) oder südafrikanische Superhits wie die Schenkelklopfer-Posse Mr. Bones. „Tsotsi“, was schlicht soviel wie Gangster oder Gangmitglied bedeutet, behandelt ein sehr spezielles südafrikanisches Problem, bleibt dabei in seiner Umsetzung dennoch universell. Der Film schildert auf packende, emotionale Art und Weise das Milieu des gefährlichen Molochs Johannesburg und ist gleichzeitig ein Charakterdrama über die zentrale Figur des Tsotsi, der aber genauso gut in einem anderen Vorstadtghetto dieser Welt leben könnte.
„Tsotsi“ basiert auf dem 1980 erschienenen gleichnamigen Roman von Athol Fugard. Der in Johannesburg geborene Regisseur und Drehbuchautor Gavin Hood renovierte die in den 50er Jahren spielende Vorlage entsprechend der heutigen Zeit - die Essenz blieb aber erhalten. Es dauert nur ein paar Bilder, dann bekommt der Zuschauer trotz der ihm fremden Umgebung einen emotionalen Zugang zu der Geschichte. Johannesburg ist laut Statistik die gefährlichste Stadt der Welt. In der 3,3 Millionen Einwohner großen Metropole gibt es mehr Morde als tödliche Verkehrsunfälle. Die Wohlhabenden, wie die von Tsotsi niedergeschossene Pumla Dube (Nambitha Mpumlwana) und ihr Mann John (Rapulana Seiphemo), verschanzen sich in ihren Häusern hinter hohen Zäunen und lassen sich durch private Sicherheitsdienste beschützen – jedenfalls so gut es geht. Tsotsi ist durch seine traumatische Kindheit moralisch so verroht, dass er keine Bedenken hat, einen anderen Menschen einfach so zu töten, nur um ihn zu bestehlen und somit in letzter Konsequenz zu überleben.
Tsotsi ist vom Sympathieträger anfangs meilenweit entfernt. Durch das Baby, das ihm zufällig in die Hände fällt, beginnt ganz langsam ein moralisches Erwachen, das ihn wieder in Kontakt mit dem realen Leben bringt. Aber er weiß nicht, was er mit dem Kind anfangen soll. Es töten, es zur Erpressung von Lösegeld benutzen, es weiterverkaufen? Oder es gar selbst aufziehen? Das Aufregende an „Tsotsi“ ist die Tatsache, dass der Betrachter im Gegensatz zur üblichen Mainstreamkost nach Schema F nie weiß, was als nächstes passiert. Die klassische Hollywood-Dramaturgie tritt in den Hintergrund, der Film beleuchtet einige Tage im Leben der Titelfigur. „Tsotsi“ ist einfach zu unberechenbar, als dass er an Genrekonventionen festzumachen wäre. Das macht einen großen Reiz aus, der es gern verzeihen lässt, wenn die eine oder andere Szene mit Tsotsi und dem Baby zu lang geraten ist. Gavin Hood gelingt es mit der Zeit, das Publikum auf die Seite seines Hauptcharakters zu ziehen und ein gewisses Maß an Verständnis herzustellen. Bei der Besetzung des Tsotsi landete Hood einen Volltreffer. Presley Chweneyagae, der ein großartiges Kinodebüt gibt, strahlt eine sogartige Präsenz aus. Sein Spiel wirkt wie der gesamte Film sehr authentisch.
Hood bannt seinen archaischen Überlebenskampf nach darwinschem Muster in rau-poetische Bilder, in denen Gegensätze von bestechender Optik und Trostlosigkeit des Bretterbuden-Ghettos aufeinander prallen. Von treibenden Rhythmen unterstützt diese Kwaito genannte Musik der südafrikanischen Townships die Geschichte und verdichtet die Atmosphäre. Dazu trägt ebenfalls die Entscheidung bei, den Film in Tsotsi-Taal, oder auch Isicamtho bezeichnet, zu drehen. Das ist ein südafrikanischer Township-Slang, der Afrikaans und verschiedene lokale Dialekte wie Zulu, Xhosa, Tswana und Sotho kombiniert.
„Tsotsi“ nimmt den Betrachter emotional in die Pflicht, sich mit der Materie auseinander zu setzen. Packend und wuchtig erzählt, ist diese Ghetto-Ballade zwar kein Meisterwerk, aber eine sehr gute Möglichkeit, die Welt einmal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Besonders gegen Ende schleicht sich ein wenig zu viel Pathos ein, das durch den tosenden Score noch potenziert wird. Dazu kommen einige mittelmäßige Leistungen von den Laiendarstellern, die zumeist besetzt wurden. Das wird allerdings durch Presley Chweneyagaes berührende Darstellung wieder aufgefangen. „Tsotsi“ hat sich seine Auswertung in den deutschen Kinos auf jeden Fall redlich verdient. Wer sich beim Mainstream langweilt und gern einmal eine andere Betrachtungsweise kennen lernen will, ist bei diesem Film richtig aufgehoben. „Tsotsi“ ist kraftvolles und brutales Kino, aber eben doch emotional berührend und authentisch.