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    Brick
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Brick
    Von Carsten Baumgardt

    Die Versuchsanordnung klingt wild, wüst und abenteuerlich. „Brick“ ist ein klassischer amerikanischer Detektivfilm im Stil der Schwarzen Serie 40er Jahre. Der Clou: Kinodebütant Rian Johnson verlegt seinen Stoff an eine südkalifornische High School der Neuzeit, doch die Figuren sprechen so, wie dies die Helden in der Vergangenheit taten. Doch der Regisseur und Autor wählt diesen Ansatz nicht als Fingerübung, wie dies bei Werken wie „O“ oder „10 Dinge, die ich an dir hasse“ als Shakespeare-Adaption der Fall war. Nein, Johnson meint es vollkommen ernst. Und Überraschung: Das filmische Experiment funktioniert hervorragend. Ein Teenage-Bogart kämpft auf den Pfaden von Dashiell Hammett und Raymond Chandler um die Aufklärung eines Mordes und letztlich nicht nur um sein eigenes Leben. Diese Neo-Noir-Offenbarung ist hip, keine Frage. Noch cooler sogar, aber ein ironischer Abgesang auf das Genre ist „Brick“ keineswegs. Dieser minimal budgetierte düstere Thriller huldigt seine Vorbilder und bietet tatsächlich etwas, das in Hollywood sehr rar ist: Originalität.

    Brendan Frye (Joseph Gordon-Levitt) ist an seiner High School ein Einzelgänger aus Überzeugung. Freunde hat er nur einen: The Brain (Matt O’Leary). Mysteriöse Dinge gehen vor sich. Brendans Ex-Freundin Emily (Emilie de Ravin), die er immer noch liebt, will ihn unbedingt sehen, doch kurze Zeit nach dem verstörenden Treffen verschwindet sie spurlos vom Erdboden. Mit Hilfe seines Kumpels The Brain macht sich Brendan auf die Suche und gleitet alsbald in eine fremde Welt ab. Emily ist in den Untergrund der High-School-Szene abgerutscht und dort tragisch gescheitert. Brendan findet ihre Leiche und will sich an die Hintermänner der örtlichen Drogenszene heranschleichen, weil er dort die Täter vermutet. Nach einigen Prügeleien legt er es auf ein lebensgefährliches Treffen mit dem Unterweltboss The Pin (Lukas Haas) an. Sein Leben hängt am seidenen Faden...

    Der Senator Filmverleih will mit dem neu gegründeten Autobahn-Label kontrovers diskutierbares Kino auf die deutschen Leinwände bringen bzw. die andere Hälfe der jährlich rund 15 Filme Direct-To-DVD veröffentlichen. Die Schmach des verpatzten Starts ist mittlerweile vergessen. Ursprünglich sollte das künstlerische Desaster Rohtenburg, das in Deutschland per Gericht gestoppt wurde, den Auftakt für Autobahn bilden. Zum Glück kam es nicht so und David Slades packender Genre-Beitrag Hard Candy bescherte dem neuen Label einen glanzvollen Start. Die Nummer zwei der Reihe ist sogar noch ein Stückchen besser. Rian Johnsons hypnotischer Neo-Noir-Thriller „Brick“ feierte 2005 auf dem Sundance Festival Erfolge und gewann beim Fantasy Filmfest 2006 den Publikumspreis. Das Werk begeistert mit einer Frische, die dem heutigen Formelkino unglaublich gut tut. Einen kleinen Haken hat der Film aber: Wer sich nicht auf die verwegene Prämisse der Verlegung der 40er Jahre in die Jetztzeit einlässt, wird von „Brick“ höchstwahrscheinlich furchtbar genervt sein - ähnlich wie dies bei Marc Fosters düsterem Meisterwerk Stay zu Kontroversen führte.

    Die Entstehungsgeschichte von „Brick“ hat es bereits in sich. Johnson brauchte sieben Jahre von der Idee zur Kinoumsetzung, er pumpte sich die 500.000 Dollar Budget aus der Verwandtschaft und von allen möglichen Freunden, die etwas übrig hatten. Den Film schnitt er zuhause auf seinem Mac mit handelsüblicher Software zusammen. Bei der Zeichnung der Charaktere gelang Johnson ein famoses Kunststück. Er benutzt die Stereotypen und Klischees der Filmgeschichte, interpretiert sie aber durch das Einsetzen in die High-School-Background neu. Joseph Gordon-Levitt („Mysterious Skin“, Havoc) ist die perfekte Besetzung des charismatischen Post-Noir-Bogarts. Dieser Brendan ist ein mürrischer Zeitgenosse, ein harter Hund, der keiner Auseinandersetzung aus dem Weg geht, knochentrocken spricht und sich viel besser schlägt, als seine körperlichen Voraussetzungen glauben machen wollen. Die bittere Konsequenz, über Schmerzen hinweg zu sehen, um bei der Ermittlung weiter zu kommen, hat Stil. Doch Gordon-Levitt steht nicht allein. Betörend spielt Nora Zehetner („Everwood“) als glamouröse Femme Fatale, Matt O’Leary (Dämonisch, Tödliches Vertrauen) gefällt als undurchsichtiger Mann im Hintergrund, „Lost“-Star Emilie de Ravin (The Hills Have Eyes) überzeugt als verzweifelte Schlüsselfigur Emily und Noah Fleiss („Law & Order“) gibt dem brutalen Schläger Tugger eine Seele. Doch dass „Brick“ auch einen schillernden Bösewicht auffahren kann, verdankt der Film der Performance von Lukas „Der einzige Zeuge“ Haas (Mars Attacks, Last Days), der endlich mal zeugen darf, was er drauf hat. An diesem Charakter lässt sich hübsch die Zuschauerspreu vom Weizen trennen. Verkrüppelt, ganz in Schwarz gekleidet, mit einem Gehstock ausstaffiert, provoziert diese Figur geradezu. Personifizierte Coolness oder Schwachsinn? Wer sich für Letzteres entscheidet, wird an „Brick“ keine Freude haben. Regisseur Johnson spielt die getragene Theatralik in seiner Geschichte bis an die Grenzen aus.

    Brendan Frye: „Emily said four words I didn't know. Tell me if they catch. Brick?”

    The Brain: „No.”

    Brendan Frye: „Or Bad Brick?”

    The Brain: „Nope.”

    Brendan Frye: „Tug?”

    The Brain: „Tug? Tug might be a drink, like milk and vodka, or something.”

    Brendan Frye: „Poor Frisco?”

    The Brain: „Frisco? Frisco Farr was a sophomore last year, real trash. Maybe had a class a week, I didn't know him then, haven't seen him around.”

    Brendan Frye: „Pin?”

    The Brain: „Pin. The Pin?”

    Brendan Frye: „The Pin, yeah?”

    The Brain: „The Pin is kinda a local spook story, yeah know the King Pin.”

    Brendan Frye: „Yeah, I've heard it.”

    The Brain: „Same thing, he's supposed to be old, like 26. Lives in town.”

    Brendan Frye: „Dope runner, right?”

    The Brain: „Big time. See the Pin pipes it from the lowest scraper for Brad Bramish to sell, maybe. Ask any dope rat where their junk sprang and they'll say they scraped it from that, who scored it from this, who bought it off so, and after four or five connections the list always ends with The Pin. But I bet you, if you got every rat in town together and said ‘Show your hands’ if any of them've actually seen The Pin, you'd get a crowd of full pockets.”

    Brendan Frye: „You think The Pin's just a tale to take whatever heat?”

    The Brain: „Hmm... So what's first?”

    Brendan Frye: „Show of hands.”

    Neben den Dialogen glänzt ebenso der skurrile 40er-Jahre-Score durch nostalgische Coolness.

    Das wird in absolut krassen Gegensatz zu den lichtdurchfluteten, farbenfroh arrangierten Bildern gesetzt. Aus dem wilden Clash des hellen, aber dennoch extrem kontrastreichen Film Noir entsteht eine unwiderstehliche Stimmung, die Sogwirkung auf den Zuschauer ausübt. Atmosphärisch ist „Brick“ ein Ereignis. Die Handlung wird ernsthaft verfolgt, ist aber nur Mittel zum Zweck. Wie im Film Noir üblich folgt Twist auf Twist, bis am Ende kaum noch jemand hinterher kommt. Und selbst in der letzten Szene gibt Johnson keine Ruhe und setzt noch einen drauf, der das Geschehen in völlig neuem Licht erscheinen lässt.

    „Brick“ ist der erfreuliche Beweis dafür, wie toll Kino im Urzustand sein kann - ohne ein ängstliches, profitgeiles Studio im Nacken, das jede noch so kleine Ecke und Kante abschleift, bis sich keiner von 8 bis 88 Jahre mehr am filmischen Gourmetmahl verschlucken kann. Der zynische, lakonische Hardboiled-Thriller ist hervorragend inszeniert, ein kühnes Wagnis, das beileibe nicht jedem gefallen mag, aber wer darauf einsteigt, wird mit einem der außergewöhnlichsten, coolsten, unterhaltsamsten... und nicht zuletzt originellsten Filme der Saison belohnt.

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