In den Opernhäusern weltweit gehört Mozarts „Zauberflöte“ zu den meistaufgeführten Werken. Seine nachhaltige Beliebtheit lässt das 1791 als letztes Bühnenwerk des Salzburger Meisters entstandene deutsche Singspiel als passende Wahl für den Versuch erscheinen, das schwierige Genre der Opernverfilmung zu beleben, es für möglichst breite Publikumsschichten und Klassik-Neulinge attraktiv zu machen. Dies war jedenfalls der Gedanke des englischen Kulturmäzens Sir Peter Moores, als er eine neue Version der „Zauberflöte“ für das Kino ins Auge fasste. Nachdem für die Regie unter anderem Richard Attenborough (Gandhi, „Die Brücke von Arnheim“) und Roman Polanski (Chinatown, Der Pianist) im Gespräch waren, übernahm schließlich Kenneth Branagh, der Tausendsassa der britischen Film- und Theaterszene, die Inszenierung und verlegte die Handlung aus den märchenhaften Sphären der Vorlage zwischen die nicht genauer bestimmten Fronten des Ersten Weltkriegs. Mithilfe einer freien Neuübersetzung des Librettos durch den Autoren und Schauspieler Stephen Fry (V wie Vendetta, Gosford Park) entstand eine kurzweilige, häufig sogar mitreißende Version von „Die Zauberflöte“, die vor allem durch die einfallsreiche Umsetzung des Stoffes in filmgerechter Bildsprache besticht.
Der Soldat Tamino (Joseph Kaiser) wird von drei plötzlich erscheinenden Lazarettschwestern vor einer Granate gerettet. Im Auftrag der Königin der Nacht (Lyubov Petrova) übergeben sie ihm ein Foto von deren Tochter Pamina (Amy Carson), die von dem Kriegsgegner Sarastro (René Pape) entführt wurde. Der Anblick der jungen Frau entfacht romantische Visionen und Gefühle in Tamino und er erklärt sich nach der herzzerreißenden persönlichen Bitte der Königin bereit, gemeinsam mit dem Vogelfänger Papageno (Benjamin Jay Davis), der sich widerstrebend anschließt, die Befreiung Paminas zu versuchen. Nachdem Tamino in Sarastros Palast angekommen ist, erweist sich der Herrscher trotz seiner Zwangsmaßnahmen als weit weniger grausam als erwartet. Der junge Soldat übernimmt aus Liebe eine Mission zur Beendigung des Krieges. Ausgerüstet mit magischen Instrumenten und unterstützt von Pamina, die sich den Rachegelüsten ihrer Mutter widersetzt, bestehen Tamino und Papageno manche Prüfung, ehe am Ende Frieden und Liebe herrschen.
Kenneth Branagh ist seit seiner aufsehenerregenden Filmversion von „Henry V.“, für die er als Hauptdarsteller und Regisseur 1990 zwei Oscar-Nominierungen erhielt, in erster Linie als Shakespeare-Spezialist bekannt. Branaghs inszenatorischer Zugriff auf die vielgespielten Stücke war in seinen bisher fünf Adaptionen, unter denen „Hamlet“ das Meisterstück ist, genau wie bei „Die Zauberflöte“ stets höchst individuell: Zuletzt verlegte er „Wie es euch gefällt“ in das Japan des 19. Jahrhunderts. Aber Branagh hat auch in anderen Genres wie etwa mit seiner unterschätzten Version von „Mary Shelley's Frankenstein“ seine Vielseitigkeit bewiesen. Erst vor wenigen Wochen startete bei uns sein Remake 1 Mord für 2, das er in einen fast experimentellen Film über Architektur, Blickwinkel und Schauspielerei verwandelte. Nebenher hat Branagh auch Spaß daran, als Schauspieler in großen Produktionen wie Wild Wild West oder Harry Potter und die Kammer des Schreckens aufzutreten und sein Image als selbstverliebter Aufschneider auf die Schippe zu nehmen. Trotz seiner Wurzeln im Theater, dem er im Laufe seiner Karriere nie ganz den Rücken kehrte, war die Opernarbeit Neuland für Branagh. Allerdings hatte er „Verlorene Liebesmüh'“ in ein 30er-Jahre-Musical mit Songs von Gershwin, Cole Porter und Irving Berlin verwandelt. Daran knüpfen Branagh und Kameramann Roger Lanser („Peter's Friends“) in der eleganten in Schwarz-Weiß gehaltenen Tanzsequenz an, in der sie Taminos romantische Vision von Pamina zelebrieren.
Die Deutungs- und Aufführungsgeschichte der „Zauberflöte“ ist reich an Kontroversen. Auch wenn man sich nicht der häufig vertretenen Auffassung anschließt, dass das Libretto von Emmanuel Schikaneder minderwertig sei und „Die Zauberflöte“ ihre Bedeutung ausschließlich der Mozartschen Musik verdanke, so ist eine gewisse Unausgewogenheit doch offensichtlich. Der Perspektivenwechsel zwischen dem ersten und dem zweiten Aufzug - ein vieldiskutierter Bruch in Schikaneders Dramaturgie – wirkt auf den ersten Blick wie ein unmotiviertes Überlaufen Taminos von der Seite der Königin der Nacht zu Sarastro. Branagh und Fry machen den Wandel durch die Akzentuierung der Liebesgeschichte und die Aufwertung der Rolle Paminas plausibler, kaschieren aber die reizvolle Heterogenität von Musik und Text nicht. Der Verzicht auf die im Werk der beiden mutmaßlichen Wiener Logenbrüder so präsente Freimaurersymbolik sowie auf latent frauenfeindliche und rassistische Elemente geht mit differenzierteren Profilen der Figuren einher, die traditionell oft auf ihre abstrakte Symbolfunktion in einem klaren Gut und Böse-Schema reduziert bleiben. Branaghs Gespür für den Konfliktreichtum der Partitur gibt auch den inneren Kämpfen der Charaktere Raum.
Von Beginn an nutzt Branagh alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel, um seine „Zauberflöte“ zu einem echten Film zu machen. Zur fast siebenminütigen Musik der Ouvertüre etabliert er in einer atemberaubenden Plansequenz den Schauplatz: In das idyllische Bild von grünen Hügeln und Wiesen haben sich die Furchen der Schützengräben eingeschrieben, hinter der Linie stehen Kanonen, aus den Wolken brechen plötzlich Flugzeuge hervor und der Kampf beginnt. Die durchaus opulenten Dekors sind zwar der Handlungszeit zuzuordnen, bleiben allerdings ähnlich wie die nicht immer glücklich eingesetzten CGI-Effekte als künstlich erkennbar. Auch in dieser „Zauberflöte“ geht es nicht um Realismus, sondern um Atmosphäre. Der Rhythmus und der innere Puls der Musik werden geschickt aufgenommen und in Bilder übersetzt, was beim düsteren Auftritt der Geharnischten im strömenden Regen besonders gut gelingt.
Die Auswahl der Darsteller trägt sowohl den sängerischen als auch den schauspielerischen Erfordernissen Rechnung, aber keine Operndarbietung kann bei mangelhafter musikalischer Umsetzung wirklich überzeugen. Besonders Lyubov Petrova als Königin der Nacht, aber auch René Pape als Sarastro bringen uns die Ambivalenz ihrer Charaktere dabei durch eine differenzierte Gestaltung ihrer Partien nahe. Benjamin Jay Davis ist ein launiger und wohlklingender Papageno, während das Paar Tamino und Pamina jugendliche Frische und romantischen Appeal besitzt. Die Newcomerin Amy Carson ist zwar gesanglich buchstäblich nicht immer ganz auf der Höhe, macht dies aber durch ihre Natürlichkeit mehr als wett und trägt nicht unwesentlich dazu bei, dass die Interpretation der Musik nicht zu sehr in sterilen Perfektionismus verfällt. Dieser Eindruck kann sich streckenweise beim Hören von Orchester und Chor aufdrängen. Dass die Partitur hier instrumental wenig ausdifferenziert klingt, mag an Tonmischung und Klangbild liegen, aber dass das Chamber Orchetra of Europe zuweilen bloß neben den Sängern her zu spielen scheint, ist unabhängig davon ein störender Effekt. Abgesehen von dieser Unverbundenheit ist James Conlons Dirigat schwungvoll und zupackend und geht meist eine glückliche Paarung mit Branaghs Flamboyanz ein.
Kenneth Branagh erweist sich mit „Die Zauberflöte“ wieder einmal als sehr origineller Regisseur. Die Dynamik der beweglichen Kamera und der Montage beschert uns ein Opernerlebnis wie es im Theater so nicht möglich ist. Hinzu kommen die geschickte Adaption des Stoffes sowie ein homogenes Ensemble, das keine Stars nötig hat und mit ordentlichen bis sehr guten musikalischen und darstellerischen Leistungen aufwartet. Mehr als 30 Jahre nach Ingmar Bergmans (Wilde Erdbeeren) schwedischem „Zauberflöten“-Film gelingt es Branagh, neue Impulse zu setzen und zeigt, was Oper im Kino sein kann und noch könnte.