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    Backwoods
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Backwoods
    Von Björn Becher

    Nach Kill Bobby Z veröffentlicht das Dortmunder Label e-m-s nun innerhalb von recht kurzer Zeit einen zweiten Thriller, der deutlich im Geist der Genre-Filme der Siebziger Jahre daherkommt und wie John Herzfelds straighter Retro-Thriller ein echter DVD-Geheimtipp ist: Für „Backwoods“ bedient sich der spanische Regie-Newcomer Koldo Serra bei zwei ganz großen Werken jener Dekade. Sam Peckinpahs Wer Gewalt sät steht genauso Pate wie John Boormans „Beim Sterben ist jeder der Erste“. Dass Serra dabei recht schamlos bei den Vorbildern klaut, verzeiht man ihm gerne, denn besser richtig gut geklaut, als schlecht selbst erfunden.

    1978: Zwei befreundete englische Pärchen sind in der spanischen Einöde unterwegs. Tief im Wald hat Paul (Gary Oldman) das ehemalige Haus seiner aus Spanien stammenden Großmutter erworben und will sich dort mit seiner Frau Isabel (Aitana Sánchez-Gijón) niederlassen. Den neuen Wohnsitz will er seinem ehemaligen Geschäftspartner Norman (Paddy Considine) und dessen Frau Lucy (Virginie Ledoyen) zeigen. Doch der Ausflug ist nicht so harmonisch, wie es scheint. Zwischen Norman und Lucy kriselt es gewaltig, Isabel ist nicht unbedingt begeistert, bald im Nirgendwo zu leben und dem zupackenden Paul ist die Reisetruppe ein wenig zu verweichlicht. Im nahe gelegenen Ort schlägt den Männern zudem die Abneigung der Einheimischen entgegen und die Frauen (von Lucy auch provoziert) ernten lüsterne Blicke. Doch die richtigen Probleme kommen erst noch. Paul und Norman finden bei der morgendlichen Jagd ein verwahrlostes, an den Händen missgebildetes Mädchen (Yaiza Esteve), das in einem dunklen Verlies eingesperrt ist. Sie befreien es, was nicht ohne Folgen bleibt. Kurze Zeit später stehen die Männer des Dorfes rund um Anführer Paco (Lluís Homar) vor der Tür. Sie sind bewaffnet und suchen das Mädchen. Eine brutale Jagd beginnt…

    Es tut sich was in Spanien. Eine neue Generation junger Filmemacher wächst heran, die es schaffte, mit Leidenschaft, viel Eifer und einer ersichtlichen Liebe zum Medium, erst kleine Kurzfilme und nun Langfilme zu drehen, die auch jenseits der Landesgrenzen auf Beachtung stoßen. Nacho Cerdà hat den Grusel-Thriller The Abandoned inszeniert, Nacho Vigalondo den Zeitreise-Thriller „Timecrimes“ und nun kommt dessen Freund Serra (der Vigalondo bei seinem brillanten, oscarnominierten Kurzfilm „7:35 de la mañana“ assistiert hat) mit seinem Langfilmdebüt „Backwoods“ daher. Wie seine Kollegen hat Serra sich erst mit einem Kurzfilm einen Namen gemacht, um so sein Talent zu demonstrieren. Der schwarzhumorige Horrorshortie „El Tren De La Bruja“ gewann auf mehreren Festivals Preise und verschaffte dem Filmemacher das nötige Ansehen für einen Langfilm.

    Serra macht sich bei seinem Debüt gar keine Mühe, Eigenständigkeit vorzugaukeln. Das Grundgerüst von den unfreundlich empfangenen Ausländern, über die Provokation der Einheimischen durch die erotischen Posen einer Frau, die Aufnahme eines Ausgestoßenen bis hin zur brutalen Auseinandersetzung, bei welcher der weichliche Typ zur Waffe greifen muss, stammt eins zu eins aus Peckinpahs „Wer Gewalt sät“. Gemischt wird das Ganze mit ein paar Jagdszenen zwischen den Parteien, die auch aus Boormans „Beim Sterben ist jeder der Erste“ stammen könnten und trotzdem bekommt man keinen bloßen Zusammenschnitt beider Filme zu sehen. Serra, der die Handlungszeit wohl bewusst in die Dekade seiner Vorbilder gelegt hat, nutzt die bekannten Zutaten zu einem geradlinigen Thriller alter Prägung. Er legt sehr viel Wert auf die langsame Handlungsentwicklung und setzt damit einen erfreulichen Kontrapunkt zum modernen Krawall-Actionkino und Folter-Horrorfilm. Die Charaktere bekommen auf der einen Seite Profil verpasst und trotzdem bleibt (auch nach dem Finale) manches noch genauso nebulös, wie der Handlungsort in den spanischen Wäldern.

    Serra zieht die Klasse aus der ständig vorhandenen Erwartung der Spannungsexplosion. Wenn Paul mit den Männern aus dem Dorf geht, um sie in die Irre zu führen, sich von diesen dann aber zwei lösen, dann ist es mehr die dauerhafte bedrohliche Stimmung als das eigentliche Geschehen, das die Spannung auf einem hohen Niveau hält. Jeden Moment kann Paul Feindseligkeit begegnen und die abtrünnigen zwei werden sicher wieder Kurs auf die Hütte mit den Frauen, dem schwachen Norman und dem verstecken Mädchen nehmen. Die Entladung dieser Spannung erfolgt dann ganz klassisch immer wieder nur in kurzen Szenen. Kleine Eruptionen der Gewalt, die schneller vorbei sind, als sie begonnen haben, unterbrechen geschickt die Spannungsmauer. Die Regie nimmt sich selbst sehr zurück. Kleinere Kamerafahrten und intelligent gesetzte Vorausschnitte fallen dadurch umso positiver auf. Der Einsatz der Musik ist über weite Strecken ähnlich sparsam, um dann plötzlich an der richtigen Stelle ein Lied des melancholischen Songwriters Leonard Cohen („There is a war“ und „Lover, Lover, Lover”) einzustreuen.

    Für ein Debütwerk stand Serra ein beachtlicher Cast zur Verfügung. Angeführt von dem gewohnt souveränen Gary Oldman (Batman Begins, Harry Potter und der Gefangene von Askaban, Léon - Der Profi, dem die Rolle auf den Leib geschrieben scheint, fanden sich gleich mehrere talentierte Schauspieler ein. Vor allem Paddy Considine (In America, Hot Fuzz, Das Bourne Ultimatum beweist erneut, dass seine Karriere noch einige Highlights erwarten lässt. Aitana Sánchez-Gijón (The Machinist) und Virginie Ledoyen (The Beach, 8 Frauen) sind weit mehr als wunderhübsches Beiwerk und der alte Veteran Lluis Homar (Der Bodyguard, La Mala Education) gibt dem Widersacher ein überraschend gut differenziertes Gesicht.

    Wer Thriller der Siebziger Jahre mag, keine Lust mehr auf den x-ten Saw-Aufguss verspürt und mal wieder einen klassischen und sehr langsamen Spannungsaufbau genießen will, sollte zur DVD greifen. Er wird es nicht bereuen. Und auf Koldo Serra und Kollegen muss man weiter ein Auge werfen. Da ist noch Großes aus Spanien zu erwarten und es wäre nicht verwunderlich, wenn bald die Hollywoodproduzenten die Telefone der jungen Nachwuchsregisseure belagern.

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