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    Jungle
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Jungle
    Von Christoph Petersen

    Filmemacher stützen sich bei ihren Geschichten immer wieder gerne auf wahre Begebenheiten, aber kein anderes Genre profitiert so sehr von dieser Beglaubigung durch die Wirklichkeit wie der Survival-Thriller. Wenn sich etwa James Franco in Danny Boyles „127 Hours“ mit einem stumpfen Schweizer Taschenmesser den eigenen Arm amputiert, dann wirkt das ohne das Wissen um die Hintergründe erst einmal ziemlich konstruiert und extrem weit hergeholt. Aber weil genau das dem Bergsteiger Aron Ralston 2004 wirklich passiert ist, wird aus einem vermeintlich plumpen Drehbucheinfall eine inspirierende Ode an den (Über-)Lebenswillen des Menschen. Auch das Survival-Abenteuer „Jungle“ von Greg McLean („Rogue – Im falschen Revier“) gewinnt extrem dadurch hinzu, dass der israelische Aussteiger Yossi Ghinsberg tatsächlich mehrere Wochen allein im lebensfeindlichen bolivianischen Urwald durchgehalten hat. Zudem beweist Ghinsberg schon in seinem 1985 veröffentlichten Buch „Back From Tuichi“ eine erstaunliche Fähigkeit zur Selbstkritik – und die macht auch die Gruppendynamik in der ersten Hälfte der Kinoverfilmung sehr viel spannender als üblich.

    Nach drei Jahren Dienst in der israelischen Armee hat Yossi Ghinsberg (Daniel Radcliffe) zu Beginn der 1980er Jahre keinen Bock, direkt mit dem Studieren anzufangen. Gegen den Willen seines Vaters will er stattdessen ein Jahr lang Abenteuer erleben – erst in der Kälte Alaskas und nach kurzen Stationen in New York und Las Vegas schließlich in Südamerika. An den üblichen Aussteiger-Anlaufstationen trifft er auf Gleichgesinnte wie den Lehrer Marcus (Joel Jackson) oder den Fotografen Kevin (Alex Russell). Kurz vor dem geplanten Ende seiner Reise wird Yossi auf der Straße von dem vorgeblichen Geologen Karl Ruprechter (Thomas Kretschmann) angesprochen, der ihm vorschlägt, gemeinsam in den Urwald zu reisen, um dort nach Gold und einem unentdeckten Indiostamm zu suchen. Nachdem Yossi auch noch Marcus und Kevin zum Mitmachen überredet hat, bricht das Quartett unter der Führung von Karl zu der mühsamen Dschungelexpedition auf…

    Ganz offensichtlich hat Greg McLean etwas gegen Individualtouristen: Nachdem der Regisseur mit seinen zwei knüppelharten „Wolf Creek“-Slashern bereits Campern das australische Outback madig gemacht hat, kommt der südamerikanische Dschungel bei ihm nun auch nicht viel besser weg. Wobei er die saftigen Urwaldkulissen anders als die staubige Outback-Ödnis derart atemberaubend in Szene setzt, dass man fast auf die Idee kommen könnte, der Trip wäre die Strapazen von Yossi und seinen Kameraden wert. Aber eben auch nur fast – denn spätestens nach dem Aufschneiden einer sich bewegenden Beule und dem anschließenden Herausziehen mehrere blutiger Würmer hat sich dieser Gedanke endgültig erledigt. Erbarmungslose Strömungen, giftige Schlangen, hungrige Jaguare und vor allem Füße, die nach tagelangem Wandern aussehen wie die Stümpfe eines Zombies in einem Splatterfilm – die Dschungelexpedition ist hier definitiv kein Zuckerschlecken.

    Schon an den ersten Tagen der Reise gibt es erhebliche Probleme – vor allem Marcus kann bald kaum noch laufen, nachdem sich seine blutigen Füße überall entzündet haben. Nun gibt es solche Momente in so ziemlich jedem Expeditionsfilm – und meist schlägt dann eine von Anfang an als Bösewicht etablierte Figur vor, die vermeintlich Schwächsten auszusortieren, weil sie den Rest der Gruppe nur zurückhielten. In „Jungle“ ist es hingegen der Protagonist und als Sympathieträger in Stellung gebrachte Yossi selbst, der durch seine Lügen und Manipulationen dafür sorgt, dass Marcus den Rückweg antritt, während er selbst auf einem Floß mit Kevin weiterreist. Selbst wenn diese ungeschönt-selbstentlarvende Herangehensweise (der Film basiert schließlich auf einem Buch von Yossi Ghinsberg) in der zweiten Hälfte der einen oder anderen etwas kitschigen Selbsterkenntnis weicht, verpasst sie den eigentlich hinlänglich bekannten gruppendynamischen Prozessen trotzdem eine frische Note.

    Nach den „Harry Potter“-Filmen schien eigentlich schon festzustehen: Emma Watson („Die Schöne und das Biest“) wird groß durchstarten, während Daniel Radcliffe seinen Zauberschüler-Ruhm wohl eher nicht in eine nachhaltige Schauspielkarriere wird ummünzen können. Aber Pustekuchen! Vor allem dank seiner experimentierfreudigen Rollenauswahl, die vom Undercover-Nazi in „Imperium“ bis zur furzenden Leiche in „Swiss Army Man“ reicht, zählt Radcliffe inzwischen längst zu den spannendsten Schauspielern seiner Generation – und mit „Jungle“ geht er diesen Pfad nun konsequent weiter: Mit seinem vollkommen ausgemergelten Körper nimmt man ihm im finalen Drittel sofort ab, dass er die Grenze des physisch und psychisch Aushaltbaren nicht nur erreicht, sondern schon lange, lange überschritten hat. Zugleich sitzen auch die immer mal eingestreuten trockenhumorigen Pointen – etwa wenn sich Yossi absichtlich mit Feuerarmeisen duscht, um so seinen kaum noch funktionsfähigen Körper zu kickstarten. Während Joel Jackson und Alex Russell („Only The Brave“) als Begleiter eher eindimensional bleiben, überzeugt Thomas Kretschmann („King Kong“) als konsequentes Mysterium, wenn er sich in Sekundenbruchteilen vom vertrauensvollen Sympathieträger zum verschlagenen Geheimniskrämer und wieder zurück wandelt. Das ist auch deshalb passend, weil über das reale Vorbild für seine Figur ebenfalls so gut wie nichts bekannt ist.

    Fazit: Ein mitreißender Überlebenskampf vor atemberaubender Naturkulisse – mit einem wieder einmal großartigen Daniel Radcliffe!

    Wir haben „Jungle“ auf dem Fantasy Filmfest 2017 gesehen, wo der Film als Director’s Spotlight präsentiert wird.

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