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    Vorname Carmen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Vorname Carmen
    Von Gregor Torinus

    1967 beendete Jean-Luc Godard sein Schaffen innerhalb der französischen Nouvelle Vague mit der Groteske "Weekend". Die letzten Einstellungen des Films zeigen eine Schrifttafel, die sich von "Endes des Films" zu "Ende des Kinos" verwandelt. Tatsächlich sollte sich der Regisseur anschließend für über eine Dekade vollkommen vom narrativen Film verabschieden. Während dieser Zeit hat Godard zunächst gemeinsam mit dem sozialistischen Theoretiker Jean-Pierre Gorin als Künstlerkollektiv "Dziga Vertov Gruppe" politische Filme gedreht, um dann Anfang der achtziger Jahre doch zum erzählerischen Film und damit auch zu seinem Publikum zurückzukehren. Seine in dieser Periode entstandenen Filme zeichnet eine neue Leichtigkeit aus, die fast an die Anfangsphase der Nouvelle Vague erinnert. Deshalb wird diese Phase manchmal auch als "Zweite Welle" (nach der ersten "Neuen Welle") bezeichnet. Einer von Godards interessantesten Filmen aus dieser Periode ist die Tragikomödie "Vorname Carmen" aus dem Jahre 1983.

    Die junge, schöne Carmen (Maruschka Detmers) besucht ihren Onkel Jean (Jean-Luc Godard) in der Nervenheilanstalt. Der war einstmals ein berühmter Regisseur, jetzt ist er nur noch ein abgetakelter und zudem eingebildeter Kranker. Carmen bittet ihren Onkel, ihr seine Villa am Meer für den Dreh eines Films zur Verfügung zu stellen. Onkel Jean sagt zu, ahnt jedoch nicht, dass Carmen in dem Haus zusammen mit ihren Kumpanen in Wahrheit einen Banküberfall vorbereitet. Bei dem Überfall liefert der Polizist Joseph (Jacques Bonnaffé) der Bande ein blutiges Gefecht, das mehrere Tote zur Folge hat. Zugleich kommen sich dort Carmen und Joseph näher und verlieben sich ineinander. Carmen zuliebe ist Joseph bereit, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen und bei ihrer Bande mitzumachen. Als nächster Coup ist die Entführung der Tochter eines Industriellen geplant....

    Godard wäre nicht Godard, könnte man nicht auch diesen Film nach subtilen intellektuellen Botschaften abklopfen. Aber den Gesamteindruck dieses Werks bestimmen doch viel eher Szenen wie die, in der eine Putzfrau nach dem Gemetzel in der Bank pflichtgemäß die entsprechenden Blutlachen aufwischt und dabei die danebenliegenden Leichen keines Blickes würdigt. Da passt es auch, dass Carmen dem Polizisten, der gerade einen Großteil ihrer Bande erschossen hat, einfach in die Arme fällt und die beiden sich sofort unsterblich ineinander verlieben. Zwar waren auch Godards frühere Filme durchaus ironisch und absurd – doch "Vorname Carmen" zeigt sich bewusst selbstironisch und ist von mehr als nur einem Hauch des Surrealismus geprägt, der an die Filme von Luis Buñuel, wie etwa "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" (1972), erinnert. Godard nimmt hier einmal nicht die Lage der Welt oder wenigstens die der Nation, sondern den typischen Godard-Film auf die Schippe.

    Dabei wird die Vielzahl der wild-grotesken Szenen gekonnt mit Bildern von nahezu klassischer Schönheit austariert. Godards ehemaliger Stammkameramann Raoul Coutard arbeitet in diesem Film nach langjähriger Pause wieder mit dem Regisseur zusammen. Coutard hatte zuvor nicht nur die Ästhetik der klassischen Godard-Filme, sondern die der fast gesamten Nouvelle Vague entscheidend mitgeprägt. Seine technische Meisterschaft zeigt sich in makellos ausgeleuchteten und perfekt komponierten Bildern. Nur selten sind diese so farbenfroh, wie in den sechziger Jahren. In "Vorname Carmen" überwiegt eine fast kitschig zarte, naturalistische Poesie. So spiegeln sich die Gefühlsregungen zwischen Carmen und Joseph in dem Bild zweier Schiffe am Horizont, die zunächst aufeinander zu- und dann aneinander vorbeifahren.

    Fazit: "Vorname Carmen", eine der bemerkenswertesten Arbeiten Godards in den 80er-Jahren, ist ebenso humorvoll wie melancholisch und von einer für die Filme des Regisseurs ungewohnten Zugänglichkeit.

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