Doctor Who ist eine beachtenswerte TV-Serie in jeder Hinsicht. Auch wenn gerne angeführt wird, dass die ersten Folgen vor bereits fünfzig Jahren gesendet wurden, so muss man in der Kritik doch berücksichtigen, dass es neben dem "Original" der späten 1960er und dem Versuch der weiterführenden Neu-Verfilmung in den 1980ern vor allem die auch hier allein angeführte Serie in den 2000ern das besondere Lob verdient. Zwar wird das Grundgerüst und einige Elemente der Geschichte weiterhin benutzt, aber deutlich tiefer gedeutet und erweitert.
Im Mittelpunkt steht der "letzte" Time-Lord, dessen Namen niemand kennt, der aber in weiten Teilen des Universums als Doctor Who eine bekannte Größe darstellt. Mit seinem Raumschiff TARDIS kann er (fast) jeden Ort zu jeder Zeit erreichen. Ihn zieht es vor allem dorthin, wo "Einheimischen" Gefahr droht. Dann greift er ein, vor allem durch seinen Intellekt und sein Wissen. In der Serie hat er quasi beständig Begleiter, die eine Gegenposition einnehmen oder Anlass für eine Erzählung sind.
Um dies über all die Jahre filmtechnisch realisieren zu können, kam man vor langer Zeit auf einen genialen Einfall: Der Time-Lord ist mehr oder weniger unsterblich. Droht ihm der Tod, dann regeneriert er und nimmt dabei zumeist eine neue Gestalt (=Schauspieler) an, die auch andere charakterliche Züge aufweisen kann. Mit Beginn der vorletzten Staffel 2018/9 gingen die Produzenten das Wagnis ein, erstmals diese Rolle mit einer Frau zu besetzen.
Wer als Neuling in die Serie einsteigt, wird rasch einiges verstehen, manches jedoch nicht. Letzteres ist aber kein Makel, sondern Teil des Geheimnisses der Serie selber. Was war beispielsweise der Zeitkrieg? Ein paar Konstanten sind gut zu wissen, etwa die Bedeutung von Daleks, Cybermen oder dem Master; aber dann erläutern die Folgen dies indirekt durch das Spiel mit den Begleitern diese Punkte.
Zu nennen wären auch noch die besonderen Folgen zu Weihnachten, Versuche einer längeren Verfilmung für das Kino und recht amüsante Kurzfilme (die man im Deutschen nur auf den DVDs findet und nichts für Neulinge sind).
Die Zählung begann nach 2000 neu, also mit Staffel 1. Zunächst mimte Christopher Eccleston den Doctor, Billie Piper seine Begleiterin. Dieser Neubeginn war bunt und etwas chaotisch. Ein Szenenfoto mit diesen beiden Hauptdarstellern hätte man auch mit einem fiktiven Film "Der Zuhälter und seine Schwalbe" zuordnen können. Piper allerdings wuchs über die Folgen hinweg, Eccleston zum Glück durch David Tennant bereits zur zweiten Staffel ersetzt. Er verkörperte besser, was den Doctor ausmacht; allerdings wirkt seine Mimik - meist aufgerissene Augen und Mund bei allerlei Lauferei - etwas fehlplatziert. Doch spätestens zur dritten Staffel hatte man einen eigenen Stil gefunden, woran drei Personen für Produktion, Drehbücher und Regie maßgeblich verantwortlich sind: Chris Chibnall, Russel T. Davies und Steven Moffat. Besonders der Letztgenannte entwickelte ein paar Ideen, die man nur grandios nennen kann.
Mit Staffel 5 kam der Wechsel von Tennant zu Matt Smith. Dieser Schauspieler stellt von sich aus das dar, was man sich vom Doctor denkt. Er wirkt zerbrechlich wie stark, überlegen und doch naiv, kühl und voller Emotionen. Dazu erhielt er sowohl mit der Rolle Amy Pond als Begleiterin, als auch durch deren Darstellerin Karen Gillan (für die diese Serie zur letzten Sprosse hin zu ihrem Erfolg in Hollywood wurde) kongeniale Gegenstücke. Die erste Folge stellt den einfachsten wie tiefgründigsten Einstieg für Neulinge dar, sie sollte als Blaupause für andere Serien gelten. Am Schluss weiß selbst der völlig Uninformierte, was er von einem Doctor Who zu erwarten hat, und jeder Fan ist ergriffen von dem sich abzeichnenden Mythos.
Matt Smith als Doctor mit Amy und Rory als Begleiter bleiben zweieinhalb Staffeln lang erhalten. Dazu kommt noch die immer wieder auftauchende, geheimnisvolle River Song, die, weil sie selbst durch die Zeit hoppst, ihre Begegungen mit dem Doctor in anderer Reihenfolge erlebt als er (geniale Idee). Diese Rolle wurde bereits unter Tennant als Doctor eingeführt, aber man muss diese Folgen nicht gesehen haben.
Die Staffeln 5 bis 7 1/2 sind als Serie unglaublich. Es gibt, zugegeben, auch ein paar schwache Folgen. Aber die meisten sind sehr gut bis überwältigend. Anders als zuvor gibt es neben den Konstanten der Serie nicht nur eine deutliche Fortentwicklung der anderen Charaktere, sondern auch zwei Geschichten, die über diese Staffeln hinweg aufgeklärt werden, zum Teil mit Bang-Momenten. Vielleicht das Negativste, was man dazu sagen kann, ist die letzte gemeinsame Folge dieser vier Darsteller. Denn das Ende kommt zu rasch und zu sehr etwas Altes aufwärmend. Und trotzdem wird diese Folge bei Fans hoch geschätzt, besonders durch die gezeigte Emotionalität.
Mit der danach erfolgten Einführung von Carla als neue Begleiterin und gleichzeitig neues Geheimnis beginnt - nach meiner Meinung - der Abstieg. Man versucht etwas Neues nach alten Rezepten. Das kann man auch daran erkennen, dass die "Ära" zuvor mit "Das wartende Mädchen" (=Amy) zusammengefasst wird, die Geschichte um Clara aber mit "Das unmögliche Mädchen". Nach meinem Eindruck verschoben sich hier die Stimmverhältnisse zwischen den drei wichtigen, zuvor genannten Personen für die Produktion. Die Qualität der Folgen leidet darunter noch nicht, aber die Serie verliert an Ausstrahlung.
Diese Entwicklung wird mit dem neuen Doctor durch Peter Capaldi abgeschlossen. Dieser Schauspieler ist eine Fehlbesetzung für mich. Er ist offensichtlich zu dominant in Rolle und seiner Position, so dass es hier über die nächsten beiden Staffeln zu einer Umdeutung kommt. Zum ersten Mal gibt es schließlich Folgen allein mit dem Doctor. Capaldi legt alles düsterer an, er wirkt in seiner Rolle verschlossen und bisweilen arrogant. Die besonderen Momente gehen verloren, auch große Geschichten werden nicht mehr erzählt. Die Folge, die gerade Fans sich wohl kaum bewusst machten, waren schwindende Zuschauerzahlen.
Mit Staffel 11 kommt der komplette Umbruch. Jodie Whittaker wird der erste weibliche Doctor. Moffat und Davies ziehen sich zurück. Hier kann ich nur noch eine ganz persönliche Wertung abgeben. DAS ist nicht mehr Doctor Who, weder in der Rolle, noch als die liebgewonnene Serie. Alles wurde umgekrempelt, nichts funktioniert mehr wie zuvor und, vor allem, die Folgen sind schwach bis langweilig. Es ist so schlimm, dass die Versuche des Gegensteuerns seitens der Macher nur peinlich auffallen. Die Folge 11.3 mag dafür Beispiel sein: Wo frühere Doctoren historische Personen wie van Gogh, Shakespeare oder Hitler besuchten, um in diesem Kontext eine Geschichte zu erzählen, in der diese Persönlichkeit allenfalls eine Nebenrolle einnahmen, wird hier aus einer historischen Geschichte um Rosa Parks die eigentliche Handlung. Außerdem bleiben sämtliche Rollen eigenartig farblos.
Wer sich neu für diese Serie interessiert, mag also mit ein wenig Geduld bei Staffel 2 einsteigen, eher mit Staffel 4 oder gleich mit dem Meisterstück Staffel 5. Danach wird er bis Folge 7.6 gefesselt und überwiegend begeistert sein. Wie lange er danach noch aushält, ist abhängig vom Geschmack. Aber - meine Empfehlung - besser vor der letzten Folge der zehnten Staffel aufhören. Und lieber auf DVDs die Extras einschließlich der Kurzfilme schauen.