Die Spionageserien unserer Zeit wagen sich zunehmend auf politisch brisantes Territorium. Nachdem in Homeland, womit die hier besprochene Serie auch wiederholt von der Presse verglichen wurde, bereits die Tätigkeiten der USA in Pakistan und Afghanistan den Rahmen für allerlei durchtriebene Aktionen bildeten, ist nun der Nahe Osten an der Reihe. Ein Thema, das im warsten Sinne des Wortes eine Menge Sprengstoff birgt.
Die Titelheldin Nessa Stein (Maggie Gyllenhaal) hat schwer an ihrem Erbe zu tragen. Ihr Vater, ein renommierter Waffenproduzent, belieferte einst den Staat Israel mit schwerem Kriegsgerät. Dafür wurde er vor ihren Augen von einem palästinensischen Attentäter ermordet. Viele Jahre später ist sie endlich selbst Chefin des Konzerns und setzt sich nun für den Frieden ein. Hilfsprojekte wie der Aufbau von Kommunikationsanlagen und Bildungseinrichtungen sollen die Armut und damit auch den Terror bekämpfen. Doch gewissen Instanzen passt ihr Engagement überhaupt nicht in den Kram und so wird sie zu einem Spielball politischer Interessen, Intrigen und Verbrechen. Ein grausames Geheimnis aus ihrer Vergangenheit trägt sein übriges dazu bei, dass sie und ihre Familie schon bald in Lebensgefahr schweben.
Ohne Zweifel ist der Konflikt zwischen den palästinensischen Gebieten und dem Staat Israel ein Thema, über das sich leidenschaftlich debattieren lässt. Auch so mancher eher mäßig informierte Mitteleuropäer schaltet sich gerne in die Debatte ein und ergreift spontan Partei für die eine oder andere Seite, als ginge es für ihn um Leib und Leben. Jeder hat eine Meinung dazu, doch nur wenige haben sich eingehend damit befasst oder sind jemals vor Ort gewesen. Da liegt es nahe, dass eine europäische Fernsehserie noch einen guten Schuss Populismus hinterherschiebt und den Streit weiter anheizt. Weit gefehlt. Showrunner und Regisseur (und Drehbuchautor) Hugo Blick stellt die Charaktere in den Vordergrund, in deren Leben der immerwährende Krieg unübersehbare Spuren hinterlässt. Das Drehbuch verbittet sich einseitige und schlecht ausgedachte Schuldzuweisungen und eine grundsätzliche Aufklärung des ganzen Zwistes, sondern erzählt mit viel Gespür für die redlichen Bemühungen dieser "ehrbaren Frau" davon, wie gute Absichten an einer gnadenlosen Realität zugrunde gehen.
Wie so oft in britischen Serien, sind die Schauspieler das A und O. Maggie Gyllenhaal legt eine intensive Performance hin, die ihresgleichen sucht. Selbst Claire Danes' Carrie Matheson aus Homeland könnte da noch einiges dazulernen. Eine nach außen hin taffe Frau, die nichts erschüttern kann. Scheinbar. Die Leidenswege, die sie beschreitet und bereits beschritten hat, erwecken trotz aller Kühle Mitgefühl und Respekt für ihre Figur. Dann reagiert sie aber doch auch wieder so impulsiv, dass man sich fragt, wo ihre Vernunft geblieben ist. Würde es für Serien einen Oscar geben, sie hätte ihn längst hinterhergeworfen bekommen. Aber immerhin ein Golden Globe war drin und das völlig zu recht.
Auch alle anderen Darsteller machen ihre Sache gut. Andrew Buchan macht als Nessas Bruder Ephra erstmal einen soliden Eindruck, darf sich im Lauf der Serie aber noch gehörig weiterentwickeln. Stephen Rea tritt als gescheiterter Charmeur und Möchtegern-Gentlemanagent mit schwarzem Regenschirm, Schal und Mantel auf, spielt aber meist dezent genug, um nicht mit seinem prominenteren Kollegen 007 verwechselt zu werden. Die hierzulande nicht allzu bekannten Damen Eve Best und Janet McTeer beweisen, dass auch Frauen in geheimdienstlichen Führungspositionen überzeugen können und ganz nebenbei mit allen Wassern gewaschen sind.
Erzählerisch ist The Honourable Woman vor allem zweierlei: ernsthaft und ausführlich. In der ersten Folge passiert zwar schon das eine oder andere, man versteht allerdings nicht gleich, in welcher Beziehung die Figuren zueinander stehen, wie ihre Loyalitäten und Ziele aussehen und die Handlung nimmt erst gegen Ende dieser fünfzig Minuten so richtig Fahrt auf. Aber spätestens zu diesem Zeitpunkt ist der Suchtfaktor unübersehbar. Es wurde genug angedeutet und in Gang gesetzt, so dass man einfach weitergucken muss. Wer dazu neigt, enge Beziehungen zu fiktiven Charakteren aufzubauen, der wird diesen Entschluss möglicherweise bereuen. Aus den Konflikten geht niemand ungeschoren hervor und es gibt so manche mörderische Wendung, die man nicht erwartet hat.
Was fast völlig fehlt und wohl in der Themenwahl begründet liegt, ist jeglicher Humor. Einzig Stephen Reas Geheimdienstler Sir Hugh Hayden-Hoyle und Nessas Sicherheitsberater Caleb Schwako (John Mackay) bringen schon aufgrund der Schrägheit ihrer Charaktere ein wenig Auflockerung in die sonst eher düstere Atmosphäre. Dass hier keine Comedy-Glanzleistungen zu erwarten sind, liegt natürlich auf der Hand, aber die Auftritte dieser beiden Figuren machen vieles erträglicher. Denn auch das Ende passt in mehrfacher Hinsicht zu dieser Serie. Es soll nicht zuviel verraten werden, aber man kann getrost davon ausgehen, dass die zentralen Konflikte und die permanente Kriegsproblematik nicht mit einem Fingerschnippen aufgelöst werden.
Alles in allem liegt hier ein anspruchsvolle Serie vor, die sowohl Liebhaber von politisch geladenen Spionagethrillern, als auch von dialogreichen Dramen mit starken Darstellern begeistern wird. Gerade wenn man mit der nicht immer sofort übersichtlichen aber durchaus realistischen Verworrenheit der Handlung leben kann, dann öffnet sich hier der vielleicht spannendste fiktive "westliche" Blick auf den Nahostkonflikt.
Die DVD-Ausgabe enthält alle neun Folgen mit englischer und deutscher Tonspur, sowie ein kurzes MakingOf, in dem knapp auf die wichtigsten Aspekte der Serie eingegangen wird.